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Mannheimer Schiller-Tage
Große Ambitionen, mäßiger Erfolg

Bei den Schiller-Tagen in Mannheim vom 16. bis 24. Juni gab es dieses Jahr gleich zwei Uraufführungen: "Demetrius" und "Second Exile". Beide Stücke beschäftigen sich auf ihre Weise mit den Themen Flucht, Gewalt und Exil. Die Botschaft: Wir sind alle Migranten. Eine Botschaft, die ihr Publikum aber nur bedingt erreicht.

Von Christian Gampert | 24.06.2017
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    Bei den Schiller-Tagen in Manheim stand unter anderem die Frage auf dem Programm: Was bedeutet Freiheit? (picture alliance / dpa / Inga Kjer)
    Wollen wir Schillers "schöne Freiheit" wirklich verpflanzen ins – wo auch immer befindliche – Vaterland? "Exporting freedom"? Ist allen klar, was das bedeutet, auch militärisch?
    Der Regisseur Tobias Rausch hat Schillers "Demetrius"-Fragment weitergeschrieben in die Gegenwart. Er führt das Publikum in die Katakomben des Theaters und lässt dort Flüchtlinge und Augenzeugen zu Wort kommen, aus Syrien, der Ukraine, der Türkei. Die Botschaft: Schaut, diese Leute haben gelitten. Aber was bedeutet diese Erfahrung dann für den "Demetrius"-Text, der im Anschluss von vier Schauspielern höchst konventionell daherdeklamiert wird? Immerhin wurde der Aufrührer Demetrius nur als Werkzeug für fremde Interessen benutzt.
    Keine Bedeutung für die Aufführung
    Es bedeutet für die Aufführung offenbar gar nichts. Vier Schauspieler beratschlagen in popbunten Kostümen auf einem innerstädtischen Platz, der an Maidan- und Tahirplatz erinnern soll. Demetrius, angeblich der Sohn des Zaren, zuerst verschwunden und totgesagt, wiegelt die Polen auf, mit ihm gegen den Emporkömmling Boris Godunow zu ziehen, der illegitim auf dem Zarenthron sitzt. Die unterschiedlichen Strategien, die zum revolutionären Ziel führen, werden aber mitnichten von der Schiller-Inszenierung beglaubigt.
    Regisseur Rausch fühlt sich nach einer vollen Stunde Schiller bemüßigt, uns von einem Politikberater verschiedene Revolutionsmodelle erklären zu lassen. Das ist rührend pädagogisch und hilflos.
    Erstaunlich handzahm, aber selbstbezogen und nervend
    Hilflosigkeit ist nun überhaupt nicht die Sache von Oliver Frljic. Der bosnische Regisseur ist von Beruf Provokateur, gibt sich in Mannheim aber, bis auf ein paar Vergewaltigungsszenen, erstaunlich handzahm. Zuerst im Exil im immer noch faschistoid geprägten Kroatien, jetzt im besseren "Second Exile" in Deutschland, erzählt Frljic ausufernd von seinen Flüchtlings-Erfahrungen.
    Trotz aller Demütigungen in der Fremde: Das ist selbstbezogen und nervend – ständig ist Frljic die Hauptfigur. Dass der Theaterregisseur Frljic in Warschau und Rijeka Probleme mit rechten Demonstranten hatte, dass seine Frau unter Schlafproblemen leidet und sein Sohn in der Schule angepöbelt wird, wirkt wie eine private Abrechnung auf offener Bühne.
    Dazugeholt hat sich der Regisseur, neben seiner Ehefrau, fünf Mannheimer Schauspieler und einen bosnischen Muslim als Frljic-Double. Auch sie dürfen aus ihrem Leben erzählen, weil das Theater irgendwie mitten im Leben stehen soll, dann aber doch nicht – denn die Biografien der Schauspieler sind nur zum Teil authentisch.
    Es klappert erheblich
    Wo die Fiktionalisierung anfängt, ist bei Frljic ebenso unklar wie etwa bei Milo Rau und Yael Ronen. "Machen wir Gorki?", fragt man denn auch selbstironisch auf der Bühne. Ja, sie machen es wie Ronen im Gorki-Theater, nur hat das Ganze keine Form; es klappert beim Zusammenstoppeln der Episoden erheblich. Dass der Schauspieler Jacques Malan aus Südafrika kommt, will man noch gerne glauben; dass er seine gewaltgeprägte Familiengeschichte bis ins 11.Jahrhundert zurückverfolgen kann, ist offensichtlich Fiktion.
    Aber wir alle sind von Irgendwoher zugezogen, wir alle sind Migranten – das ist die Botschaft. Egal, ob wir aus Schlesien oder Düsseldorf kommen. Das wird in allen möglichen Genres durchdekliniert: Cabaret, Show, Performance, Bericht.
    Flüchtlingsein hat zumindest im Theater Vorteile
    Viel origineller sind dann die selbstironischen Teile der Aufführung: Frljic hat natürlich gemerkt, dass er mit seinem Flüchtlings-Theater gut Geld verdient und im deutschen Theaterbetrieb nicht nur ideologisch auf der Gewinner-Seite steht. Diese Tatsache wird dann ausgiebig karikiert – Flüchtling sein hat zumindest im Theater Vorteile. Die einzige Szene, in der Frljic das Problem der Flüchtlinge, der Ausgegrenzten wirklich überzeugend fasst, kommt ganz am Schluss: Der Schauspieler Boris Konieczny erzählt von einem Vorsprechen am Berliner Ensemble, kurz nach dem Fall der Mauer. Ein hilfloses Menschlein spricht da den Karl Moor, beäugt von misstrauischen Theatermenschen.
    Was, Sie wollen politisches Theater machen? Fragen die ausgebufften DDR-Regisseure. Machen Sie sich nicht lächerlich! Die Demütigungen des einsamen Vor-Sprechers sind die Demütigungen der Emigranten an der Grenze. Das politische Theater aber desavouiert und dekonstruiert sich an diesem Abend selbst.