Mittwoch, 24. April 2024

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Manuskript: Mission Weltrettung

Unsere Erde ist einem ständigen kosmischen Beschuss ausgesetzt: Meist ist das ungefährlich, denn Staubteilchen oder kleine Steine verglühen in der Atmosphäre. Doch hin und wieder schlagen auch größere Brocken auf der Erde ein. Ein Asteroid oder Kometenkern von mehreren hundert Metern Durchmesser könnte ganze Landstriche verwüsten. Beim Einschlag eines mehr als einen Kilometer großen Asteroiden wäre eine globale Katastrophe die Folge. Raumfahrtagenturen wie Nasa und Esa, aber auch die Vereinten Nationen haben die Gefahr aus dem All erkannt. Große Suchprogramme sollen eine vollständige Übersicht über die gefährlichen Objekte liefern. Doch bei einer Bestandsaufnahme soll es nicht bleiben: Experten tüfteln an Abwehrmaßnahmen, die bei einer Vorwarnzeit von vielen Jahren durchaus realistisch sind.

Von Dirk Lorenzen | 02.12.2012
    Detlef Koschny: "Es wird auf jeden Fall wieder einen Einschlag auf der Erde geben. Die Frage ist nur wann."

    Blitze zuckten über dem Himmel auf, Donner dröhnte und ein schreckliches Beben erschütterte die Erde. (Offenbarung, 16, 18)

    Koschny: "Da haben wir das Tunguska-Ereignis, das ist ein bisschen vor 100 Jahren in Sibirien gewesen. Da ist ein 40 Meter großes Objekt in der Atmosphäre explodiert und hat viel Wald flach gelegt. Wenn so etwas über einer Stadt passiert, kann das ziemlich Schaden anrichten."

    Seit Menschengedenken, gab es noch nie ein solch schweres Beben. Die Städte aller Völker - zerstört. Alle Inseln versanken im Meer und auch die Berge verschwanden spurlos. (Offenbarung, 16, 18ff)

    Koschny: "Das ist normalerweise die Größe, bei der wir sagen: Da müssen wir wissen, wo die rumfliegen und da müssen wir vorhersagen können, wenn so etwas auf die Erde trifft."

    Ein furchtbarer Hagel ging über die Erde nieder – zentnerschwer fielen die Brocken vom Himmel auf die Menschen. (Offenbarung, 16, 21)

    Fast scheint es, als beschreibe die biblische Offenbarung den Einschlag eines mächtigen Asteroiden. Was sich laut frühchristlichem Propheten Johannes am Berg Hermagedon abspielte, lieferte die Vorlage für Hollywoods Katastrophen-Epos Armageddon. Im Film droht ein 1000 Kilometer großer Brocken nur drei Wochen nach seiner Entdeckung die Erde in Schutt und Asche zu legen – doch natürlich gelingt einer heldenhaften Mission in letzter Minute die Rettung der Erde. Rasant inszeniert, aber physikalisch unsinnig. In Wirklichkeit arbeitet nicht Hollywood am Schutz unseres Planeten, sondern eine Gruppe von Wissenschaftlern 9000 Kilometer weiter östlich. Detlef Koschny:

    "Wir stehen jetzt hier vor dem Seiteneingang der Estec, das gehört zur Europäischen Raumfahrtbehörde und ist in der Nähe von Amsterdam."

    Das weitläufige Gelände des Esa-Zentrums für Weltraumforschung und Technologie erstreckt sich nahe der Nordseeküste zwischen Dünengürtel, Wäldchen und Golfplatz. Vögel zwitschern und von Ferne dröhnen die Maschinen des Flughafens Schiphol. Das verwinkelte Hauptgebäude beherbergt hinter seiner dunklen Holzfassade zahlreiche Büros und Besprechungsräume, die Fußwege sind mit zerkleinerten Muschelschalen bedeckt und vom Meer weht eine leichte Brise. Ein idyllischer Ort, an dem man fast alles tut, um den Weltuntergang abzuwenden. Koschny:

    "Wir versuchen hier in einem unserer Programme herauszufinden, ob irgendwelche Asteroiden die Erde bedrohen – bis jetzt noch keine Gefahr."

    Um die erdnahen Asteroiden, also jene Objekte, die im Prinzip irgendwann die Erde treffen könnten, kümmert sich Detlef Koschny. Der Raumfahrtingenieur und Planetenwissenschaftler leitet den Bereich für erdnahe Objekte im Esa-Programm zur Weltraumlageerfassung. Er beschäftigt sich also mit allem, was der Erde um die Ohren fliegt.

    "Einen Lieblingsasteroiden? – Den vom kleinen Prinzen."

    B612, die Heimat des kleinen Prinzen, des Helden von Antoine de Saint-Exupérys Erzählung, gilt als friedlich. Doch im Laufe der Erdgeschichte haben zigtausende Asteroiden und Kometen unseren Planeten getroffen. Fast 200 Einschlagskrater sind noch erhalten und zeugen von der himmlischen Gefahr.

    "So, hier geht es rein, wie man unschwer sehen kann..."

    Veranstaltungsposter, Fotos von Asteroidenmissionen, Karikaturen schmücken den Eingang zum kleinen Büro. Rechts oben hängen Noten, die es dem Schlagzeuger der Estec-Bluesband besonders angetan haben.

    "Ich habe hier einen Ausdruck von einem Musikstück, das 'immanent impact' heißt. Ich wollte herausfinden, was immanent eigentlich bedeutet. Das heißt einfach nahe bevorstehend. Da gibt es wirklich, wenn man das googelt, ein Funk-Rock-Stück – sogar mit Soundtrack im Internet und das hat mir ziemlich gut gefallen, deswegen klebt das hier an meiner Tür."

    Nahe bevorstehend ist auf astronomischen Zeitskalen ein dehnbarer Begriff. Als sicher gilt, dass irgendwann der nächste Einschlag droht – aber niemand weiß, wann genau. Raumfahrtagenturen wie Nasa oder Esa haben die Gefahr lange ignoriert. Zu aussichtslos schien es, gegen einen möglichen Einschlag etwas auszurichten – zudem galt die Beschäftigung mit erdnahen Objekten noch vor gut zwei Jahrzehnten als unseriös. Doch die Zeiten ändern sich. Seit vier Jahren betreibt die Europäische Weltraumorganisation Esa ein Projekt, das erdnahe Objekte entdecken, ihre Gefährlichkeit einschätzen und mögliche Gegenmaßnahmen entwickeln soll. Etwa drei Millionen Euro stehen dafür jedes Jahr zur Verfügung – nicht viel, wenn man bedenkt, um welch große Aufgabe es sich handelt, eher ein Anfang. Zunächst geht es schlicht darum, zu ermitteln, wie viele Objekte sich in der Nähe der Erde tummeln. Koschny:

    "Die Faustregel ist: Je kleiner, desto mehr. Wenn ich nachts rausgehe und eine Stunde lang zum Himmel hoch schaue, sehe ich fünf oder zehn Sternschnuppen. Das ist das kleine Ende. Das sind so millimetergroße Objekte, größer sind die gar nicht. Da gibt es unwahrscheinlich viele, aber die werden durch die Atmosphäre abgefangen. Das andere Extrem ist das Ereignis, was vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier und noch vieles andere Leben ausgelöscht hat. Das ist ein zehn Kilometer großes Objekt. Das passiert typischerweise so alle 50, 60 bis 70 Millionen Jahre."

    Auf der Erde finden sich etliche Spuren von Kratern derart dramatischer Einschläge. Mittlerweile ist so gut wie ausgeschlossen, dass ein Zehn-Kilometer-Asteroid aus dem Nichts auftaucht und die Erde verwüstet. Im inneren Sonnensystem dürften längst alle Objekte dieser Größe bekannt sein – denn sie sind so hell, dass sie in Teleskopen kaum zu übersehen sind. Kopfzerbrechen bereiten vor allem jene Brocken, die nur schwer zu beobachten sind, die aber im Falle eines Einschlags zumindest regional verheerende Folgen hätten.

    "Die Objekte, die uns am meisten interessieren, die sind so im Bereich wie das Tunguska-Ereignis, vierzig, fünfzig Meter. Da schätzen wir, dass es eine Million im Sonnensystem gibt von dieser Größe und dass alle paar 100 Jahre so etwas auf die Erde einschlägt. Kennen tun wir von diesen Objekten aber nur ein paar 1000, da haben wir noch ziemlich Nachholbedarf."

    Gut eine Million Objekte, so groß wie ein Parkhaus, kreuzen die Erdbahn – und die Astronomen kennen bisher nicht einmal ein Prozent davon. 1908 hat eines von ihnen, vermutlich ein recht poröser Asteroid oder ein Kometenkern, das Gebiet rund um den Fluss Steinige Tunguska in Sibirien getroffen. Bei der Explosion wurde ein Bereich größer als das Ruhrgebiet verwüstet. Ein ähnlicher kosmischer Treffer mitten in Deutschland führte zu Millionen von Opfern. Große Asteroiden-Suchprogramme sollen endlich zeigen, wie groß die Gefahr ist, dass sich das Tunguska-Ereignis wiederholt.

    "Die kleineren Objekte, diese 40, 50 Meter großen, sieht man nur, wenn die wirklich nah an der Erde sind. Und das ist nur ein paar Tage, dass die so hell sind, dass man sie sieht. Wir wollen bei der Esa jetzt ein Programm aufbauen, bei dem wir mit Teleskopen den Himmel einmal in der Nacht abscannen und da können wir dann wirklich auch diese kleinen Objekte sehen."

    Bisher nutzt das Esa-Team ein Ein-Meter-Spiegelteleskop auf Teneriffa nur für vier Nächte pro Monat. Damit lassen sich nur Stichproben der himmlischen Vagabunden gewinnen – in drei bis vier Jahren soll die kosmische Volkszählung her. In einigen Jahren sollen spezielle Teleskope, die allein für dieses Projekt zum Einsatz kommen, eine kosmische Volkszählung ermöglichen. Die Grundidee bei der Asteroidensuche ist ganz simpel: Im Gegensatz zu den unverändert stehenden Sternen bewegen sich die Asteroiden am Nachthimmel. Auf den Aufnahmen ist das zu sehen. Entdecken die Astronomen einen Asteroiden, bestimmen sie seine Bahn. Interessant wird es immer dann, wenn sich herausstellt, dass das Objekt der Erde bedrohlich nahe kommt – laut Definition also dichter als 50 Millionen Kilometer. Fürs erste ein recht grober Filter.

    "Wenn das der Fall ist, haben wir in Europa ein System an der Universität Pisa. Das guckt sich den Orbit ganz genau an. Und rechnet auch bis 90 Jahre in die Zukunft. Da guckt er dann, wie nahe kommt dieses Objekt der Erde."

    Genau wie Venus, Erde oder Mars umrunden auch Millionen von Asteroiden innerhalb von Monaten oder Jahren die Sonne – unser Planetensystem gleicht einem tanzenden Mückenschwarm. Das Rechenzentrum in Pisa versucht daher, den Lauf jedes potentiell gefährlichen Asteroiden oder Kometenkerns möglichst lange vorauszuberechnen. Denn verlief in einem Jahr die Begegnung mit einem Objekt noch ungefährlich, kann es bei der nächsten Passage schon ganz anders aussehen.

    Es wird aber der Tag kommen, an dem die Himmel vergehen mit großem Krachen. (2. Petrus, 3, 10)

    "Wenn da zum Beispiel herauskommt, er hat eine Chance, auf die Erde selber zu treffen, dann fangen die Alarmglocken zu läuten an und dann sagt der Wissenschaftler: Hier muss man irgendjemand informieren und was tun wir denn jetzt."

    Die Elemente werden vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen. (2. Petrus, 3, 10)

    Vor 65 Millionen Jahren mussten die Dinosaurier die Katastrophe biblischen Ausmaßes einfach hinnehmen. Die Menschheit heute will auf Einschläge vorbereitet sein. Und sie will sie nach Möglichkeit abwehren. Koschny:

    "Ich habe hier so eine kleine Papierrakete. Und an meiner Decke hängt ein Faden und da habe ich einen Papier-Pappmaschee-Asteroiden. Und ich versuche jetzt mit meiner Papierrakete den Asteroiden zu treffen."

    In seinem Büro nimmt Detlev Koschny die Papierröhre mit Kegelspitze wie einen dicken Filzstift zwischen Daumen und Zeigefinger, zielt.

    "Die Rakete wird jetzt gleich gestartet. Achtung, jetzt geht es los."

    Dann schleudert er das Geschoss auf den apfelsinengroßen Pappmaschee-Asteroiden.

    "Man sieht, wie der sich aus seiner Bahn ablenken lässt und wie er jetzt hin- und hertaumelt. In echt würde er einfach in einer Richtung abgelenkt und dann an der Erde vorbeifliegen."

    Es gibt tatsächlich Möglichkeiten, einem Asteroiden-Beschuss zu begegnen. Steve Chesley ist Astronom am Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena und fast so etwas wie der oberste Asteroidenwächter der Nasa.

    "Wir haben zwar noch nie Asteroiden abgelenkt, aber wir wissen, wie man das macht. Vor einigen Jahren haben wir die Sonde Deep Impact gezielt in einen Kometenkern gelenkt. Wir könnten so eine Mission notfalls also schnell auf die Beine stellen."

    Schnell ist hier durchaus relativ: Ein paar Jahre Vorwarnzeit brauchen die Raumfahrtingenieure in der Regel schon, um so eine Mission durchzuführen. Die großen Suchprogramme vor allem in den USA sollen jetzt dafür sorgen, dass es am Himmel keine bösen Überraschungen gibt, dass also die Forscher Gefahren rechtzeitig erkennen. Chesley:

    "Wir wissen nie ganz exakt, wo der Asteroid ist. Es gibt da immer eine gewisse Unschärfe, weil die Position nicht genau bekannt ist. Je weiter wir die Bahn in die Zukunft berechnen, desto größer wird dieser Unsicherheitsbereich. Bei vielen neu entdeckten Asteroiden kann irgendwann auch die Erde in der Fehlerbox liegen. Das ist dann ein möglicher Einschlag. Und genau nach diesen Objekten suchen wir."

    Im Jahr 2004 entdeckten Astronomen den Asteroiden Apophis. Alle elf Monate kreist er einmal um die Sonne – auf einer Bahn, die ihn immer wieder sehr nah an die Erde heranführt. Kurz nach seiner Entdeckung deuteten erste Bahnberechnungen einen möglichen Einschlag im April 2029 an – ausgerechnet an einem Freitag, dem 13..

    Da ward ein großes Beben und die Sonne ward schwarz und der Mond ward wie Blut. (Offenbarung, 6, 12)

    Apophis hat einen Durchmesser von 300 Metern. Seine Masse wird auf mehr als 20 Millionen Tonnen geschätzt. Bei einer Kollision könnte er ganze Länder verwüsten oder einen katastrophalen Tsunami verursachen.

    Und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde wie Feigen von einem Baum, wenn er von großem Wind bewegt wird. (Offenbarung, 6, 13)

    Inzwischen ist klar: Apophis wird im Jahr 2029 noch unterhalb der Höhe der geostationären Orbits an der Erde vorbeiziehen. Zusätzliche Beobachtungen haben die Unschärfe in der Positionsbestimmung deutlich verkleinert. Erst sieben Jahre später, bei einer weiteren Passage, könnte es mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1:100.000 noch einmal eng werden. Doch auch dieses Risiko dürfte in wenigen Wochen verschwinden, wenn Apophis sich der Erde bis auf einige Millionen Kilometer nähert. Es wartet ein Großeinsatz auf Steve Chesley und seine Kollegen:

    "Wir werden Apophis mit optischen Teleskopen und per Radar beobachten. Radarmessungen sind äußerst wichtig, aber immer nur möglich, wenn ein Asteroid der Erde sehr nah ist. Mit ihnen erfahren wir nicht nur die genaue Position des Asteroiden, sondern auch seine Ausmaße, seine Form und wie er sich dreht. Diese Informationen müssen wir haben, wenn wir eine geeignete Mission entwerfen wollen, die den Asteroiden ablenkt. Radardaten sind also nicht nur wissenschaftlich interessant – wir brauchen sie vor allem, um unseren Planeten zu verteidigen."

    Per Radar lässt sich die Entfernung eines Asteroiden aus dieser Distanz auf Meter genau bestimmen – seine Geschwindigkeit auf den Bruchteil eines Millimeters pro Sekunde. Sobald Apophis in Reichweite der Radarteleskope ist, lässt sich seine Bahn für viele Jahrzehnte mit größter Präzision berechnen. Dass sich dann doch herausstellt, Apophis werde mit der Erde kollidieren, gilt als höchst unwahrscheinlich. Grund zur Panik gäbe es dennoch nicht. Denn es bliebe genug Zeit, die Gefahr abzuwehren, erklärt Ed Lu, Astrophysiker und Ex-Nasa-Astronaut.

    "I have been interested in the topic just from being flown in space and watched meteors hit the Earth below and watch shooting stars from above..."

    Während zweier Shuttle-Flüge und eines Sechs-Monatsaufenthalts auf der Internationalen Raumstation konnte Lu sehen, wie verwundbar unsere Erde ist. Zum Glück hätten nur Sternschnuppen die Erde getroffen, während er von oben zugesehen habe, doch die Möglichkeit eines großen Einschlags habe ihn nicht mehr los gelassen, erzählt Ed Lu. Er gründete die Stiftung B612, benannt nach jenem Asteroiden des kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry, mit dem Ziel, privat finanzierte Projekte zum Schutz der Erde durchzuführen. Nach Lus Ansicht tat die Nasa viel zu wenig in der Asteroidenabwehr. Bis zum Jahr 2010 standen nicht einmal sechs Millionen US-Dollar zur Verfügung, lächerlich wenig verglichen mit anderen Projekten. Mittlerweile wurde der Betrag auf etwa 20 Millionen fast vervierfacht. Allerdings hat auch B612 bisher keine Unsummen einwerben können. Dabei träumt Ed Lu davon, einen Einschlagskandidaten ganz friedlich aus der Bahn zu locken:

    "Man nimmt eine kleine Raumsonde und lässt sie dicht neben dem Asteroiden herfliegen. Die Raumsonde zieht mit ihrer Masse den Asteroiden minimal an. Das sind winzige Ablenkungen – aber es summiert sich mit der Zeit. Schließlich zieht man so den ganzen Asteroiden ein wenig zur Seite und bringt ihn vom Kollisionskurs ab. Dafür reicht schon eine normale Raumsonde von etwa einer Tonne Gewicht. Damit ließen sich viele Asteroiden wegräumen."

    Schwerkraft-Traktor nennt Ed Lu dieses Verfahren. Das Abschleppen erfolgt nicht mit einer Leine, sondern allein durch die Anziehungskraft. Es mag unspektakulär klingen, ist aber äußerst effizient – sofern es viele Jahre, am besten Jahrzehnte vor dem möglichen Einschlag zum Einsatz kommt. Ed Lu:

    "Bei Apophis würden schon wenige Wochen Formationsflug reichen. Bei größeren Objekten oder bei kürzerer Vorwarnzeit kann das durchaus ein Jahr oder länger dauern."

    Denkbar wäre auch, ein gefährliches Objekt mit Hilfe kleiner Ionentriebwerke abzulenken. Dazu müsste eine Raumsonde auf dem Asteroiden landen. Spezielle Triebwerke, die sehr wenig Treibstoff brauchen, könnten das Objekt ganz langsam aus seiner Bahn schieben. Auch die brachiale Hollywood-Variante ist nicht komplett aus dem Spiel. Detlef Koschny:

    "Das Sprengen ist die letzte Notlösung. Natürlich wird in diesem Kreis der Planetary-Defense-Leute – vor allem von den militärischen Leuten – diese Nuklearexplosion gerne gebracht."

    Bei keiner anderen Methode wirken in so kurzer Zeit so starke Kräfte auf einen Asteroiden ein. Dabei würde man den Asteroiden keinesfalls sprengen, wie es im Kinofilm Armageddon geschieht. Bei so einem Vorgehen wäre die Erde nicht einem Geschoss ausgesetzt, sondern einer ganzen Schrotladung. Vorstellen kann man sich vielmehr, allein die Wucht einer Explosion zu nutzen. Koschny:

    "Man macht eine Stand-off-Explosion, man setzt sich in einen kleinen Abstand vom Asteroiden, zündet dort die Atombombe und dann entstehen lauter Röntgenstrahlen, furchtbar energiereiche Strahlen, die schieben den Asteroiden weg. Und außerdem verdampft Material von der Oberfläche des Asteroiden und das wirkt auch wie so ein Raketentriebwerk."

    Der Einsatz von Atomwaffen für den Planetenschutz ist ein reines Gedankenspiel. Zivile Einrichtungen wie Esa und Nasa dürfen sich damit gar nicht näher befassen – und die Militärs lassen sich ohnehin nicht in die Karten schauen. So geht es der Nasa zunächst einmal darum, den Gegner beim kosmischen Katz- und Mausspiel besser kennenzulernen. Steve Chesley und seine Kollegen wollen mit Hilfe einer Raumsonde einen besonders interessanten Asteroiden erforschen.

    "OSIRIS-REx wird Materialproben eines Asteroiden auf die Erde holen. Die Sonde soll 2016 starten und drei Jahre später ihr Ziel erreichen. Anfangs wird OSIRIS-REx den Asteroiden in allen Details untersuchen und später auf der Oberfläche aufsetzen, Proben gewinnen und diese nach Hause bringen."

    Das Ziel ist gut gewählt: Es ist der erdnahe Asteroid 1999 RG36. Der ist noch völlig ungefährlich, könnte sich aber Ende des nächsten Jahrhunderts der Erde gefährlich nähern. Vielleicht werden unsere Nachfahren dann mit Freuden auf die OSIRIS-REx-Daten zurückgreifen. Bevor sich eine Mission zur Abwehr eines Asteroiden konzipieren lässt, müssen neben der Bahn des Objekts auch seine genaue Größe, die Masse und der chemische Aufbau bekannt sein. Denn erdnahe Objekte gibt es in vielen Varianten. Beim Tunguska-Ereignis ist vermutlich ein recht poröses Objekt von knapp 50 Metern Größe noch in der Luft explodiert und hat keinen Krater hinterlassen. Dagegen riss ein ähnlich großer Eisenmeteorit in Arizona ein mehr als ein Kilometer großes Loch in die Landschaft von Arizona. Detlef Koschny, Asteroidenjäger bei der Esa, erläutert dieses Phänomen am liebsten mit seinem außerirdischen Briefbeschwerer.

    "Da habe ich hier ein Stück liegen auf dem Tisch. Nicht vom Arizona-Krater, aber von einem, der in Russland runter kam. Kann man das hören, wenn ich hier so gegen klopfe? Ich klopfe mal mit einem Löffel dagegen. Das hört sich schon ziemlich massiv an. Bei der gleichen Größe würde ein Eisenklumpen viel, viel mehr Schaden anrichten als wenn ich jetzt ein lockeres Gestein habe. Also das Material ist sehr wichtig."

    Die Astronomen liefern die Daten, wann, wo, welches Objekt die Erde treffen könnte. Wie aber einem drohenden Einschlag zu begegnen ist, was, wann, wer zu machen hat, ist nicht mehr Sache der Weltraumexperten, erklärt Rusty Schweickart. Er gehört zum Urgestein der Astronautenszene, hat an Bord von Apollo 9 vor mehr als vierzig Jahren die Erde umkreist – und setzt sich seitdem vehement für die Rettung unseres Planeten ein, auch im Rahmen der Stiftung B612.

    "We see no way other than the United Nations coming to grips with this challenge of how and when to deflect an asteroid."

    Ein Einschlag aus dem All bedrohe den gesamten Planeten, deshalb gehöre die Angelegenheit in die Hände der Vereinten Nationen, sagt er. Die Entscheidungen dürften dabei nicht einfach werden – denn wissenschaftliche Fakten müssten politisch bewertet werden. Einen 200 Meter großen Asteroiden müsse man in jedem Fall ablenken, glaubt Schweickart, aber was solle man mit einem nur 50 oder gar nur 30 Meter großen Brocken anfangen? Schweickart:

    "Unterhalb einer bestimmten Größe wird man sich entscheiden, nichts zu tun und den möglichen Einschlag abzuwarten, weil man ein Ablenken für zu aufwändig hält. Aber muss das Land, in dem der Einschlag stattfinden wird, eine solche Uno-Entscheidung hinnehmen? Muss die Uno womöglich haften? Hilft sie bei Evakuierungen? Über all das muss man nachdenken."

    Würde man einen Einschlag in der Mongolei eher hinnehmen als einen in Kalifornien? Eine brisante Frage. Die größte Gefahr geht derzeit vom Asteroiden 2011 AG5 aus, der in knapp 30 Jahren die Erde treffen könnte. Die Wahrscheinlichkeit liegt derzeit bei immerhin 1:500. Auch wenn weitere Beobachtungen vermutlich für Entwarnung sorgen, so dürften die großen Suchprogramme bis zum Jahr 2020 etliche ähnlich gefährliche Objekte entdecken.

    "Um etwas gegen einen Asteroiden zu tun, der die Erde bedroht, muss man sehr früh handeln – am besten Jahrzehnte im voraus. Planung, Bau und Flug dauern lange. Da ist man schnell bei 30 oder 40 Jahren, wobei das konkrete Vorgehen bei jedem Asteroiden anders ist."

    Solche Zeiträume werfen weitere politische und gesellschaftliche Fragen auf. Gäbe es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wirklich den Willen, einer sehr geringen Gefahr, die in einem halben Jahrhundert oder später droht, schon jetzt zu begegnen? Einen Asteroiden abzulenken kostet mindestens einige hundert Millionen Euro. Das Tückische an Asteroideneinschlägen ist, dass sie zwar extrem unwahrscheinlich sind, aber im Fall des Falles die schlimmste denkbare Katastrophe verursachen. Und da solche Unglücke niemals nur ein Land betreffen, haben die Vereinten Nationen das Heft in die Hand genommen. Detlef-Koschny, der Asteroidenexperte der Esa:

    "Wir haben im Moment ein Action Team mit der Nummer 14, das arbeitet für das Committee for Peaceful Use of Outer Space, ein Komitee der United Nations. Da haben wir den Auftrag bis nächstes Jahr im Februar ein Dokument zu schreiben, wie dieser politische Entscheidungsprozess ablaufen muss. Da sind wir auch ziemlich nah dran. Wir haben das in mehreren Jahren mit verschiedenen Working Groups diskutiert: mit Wissenschaftlern, mit Vertretern der Politik. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe ist aus Mexiko, da sind Amerikaner dabei, wir haben Japaner, Chinesen und natürlich viele Europäer. Das ist sehr international."

    Die UN-Mühlen mahlen seit vielen Jahren, aber sie mahlen. In absehbarer Zeit werden die Experten endlich ein Verfahren entwickelt haben, wie mit einem möglichen Einschlag umzugehen ist. Doch ob irgendwann wirklich "Blauhelm-Raumsonden" eine Gefahr für die Menschheit abwehren, ist noch völlig offen. Angesichts der vielen Suchprogramme dürfte die Zahl der bekannten potentiell gefährlichen Asteroiden von derzeit etwa 400 bald in die Höhe schnellen. Allerdings brauche niemand in Panik zu geraten, uns falle bald der Himmel auf den Kopf, mahnt der Nasa-Asteroidenexperte Steve Chesley:

    "Wenn man von potentiellen Einschlägen hört, muss man immer bedenken, dass Asteroiden von bedeutender Größe die Erde nur alle paar tausend oder zehntausend Jahre treffen. Die Chance, dass so etwas zu unseren Lebzeiten passiert, ist wirklich sehr gering. Für uns ist es viel gefährlicher zu rauchen, unangeschnallt Auto zu fahren oder in einem Flugzeug zu sitzen."

    Bald werden Sonne und Mond den Schein verlieren und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. (Matthäus 24, 29)

    Natürlich ist den Experten klar: Das Risiko ist äußerst klein. Andererseits: Es geht nicht darum, ob die Erde wieder Ziel eines kosmischen Geschosses wird, sondern nur, wann das geschieht. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich gerade dramatisch: Erstmals seit mehr als vier Milliarden Jahren muss die Erde einen Schlag aus dem All nicht wehrlos hinnehmen. Sie hat Leben hervorgebracht, das bald über Mittel verfügt, sich vor der himmlischen Bedrohung schützen.