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Manuskript: Quantenzirkus mit Licht und Atomen

Der Physiknobelpreisträger und Visionär Richard Feynman hielt 1981 einen viel beachteten Vortrag. Darin schlug er vor, neuartige Rechenmaschinen zu bauen, so genannte ‚Quantensimulatoren’, um mit deren Hilfe endlich das Verhalten komplexer Materialien zu begreifen. Vor 30 Jahren war das Zukunftsmusik, doch mittlerweile ist Richard Feynmans Vision Wirklichkeit.

Von Ralf Krauter | 17.02.2013
Am 7. Mai 1981 tritt in einem Sitzungssaal in Cambridge bei Boston ein prominenter Physiker ans Mikrofon. Sein Name: Richard Feynman. Der Nobelpreisträger spricht zur Eröffnung einer Konferenz am Massachusetts Institute of Technology.

"On the program it says this is a keynote speech – and I don’t know what a keynote speech is... I do not intend in any way to suggest what should be in this meeting as a keynote of the subjects or anything like that. I have my own things to say and to talk about. And there’s no implication that anybody needs to talk about the same thing or anything like it."

Es geht um die Frage, wie sich physikalische Phänomene möglichst genau mit Computern nachspielen lassen.

"Trying to find a computer simulation of physics seems to me to be an excellent program to follow out. The real use of it would be with quantum mechanics."

Richard Feynman ist nicht nur ein begnadeter Redner, dem seine Zuhörer an den Lippen hängen. Er ist auch ein Visionär, der Entwicklungen voraussagt, die seine forschenden Zeitgenossen damals für Spinnerei halten.

"Nature isn’t classical. And if you want to make a simulation of Nature, you’d better make it quantum mechanical. And, by golly, it’s a wonderful problem, because it doesn’t look so easy."

In seinem Vortrag erklärt der Professor: Konventionelle Computer seien prinzipiell untauglich, um Phänomene wie Magnetismus und Elektrizität bis ins kleinste Detail zu berechnen. Auf Ebene der Atome gelten die bizarren Gesetze der Quantenwelt. Und die werden durch Gleichungen beschrieben, an deren Lösung selbst künftige Superrechner scheitern dürften. Um Antworten zu finden, müsse man deshalb völlig neuartige Maschinen bauen, sagt Richard Feynman: "Quantensimulatoren"

Tilman Esslinger: "Eine Zielrichtung ist, große offene Fragen zu beantworten. Fragen, die die Physiker schon Jahrzehnte interessieren, die sie aber noch nicht beantworten können."

Ignacio Cirac: "Es gibt viele Probleme, die wir im Moment nicht lösen können weil unsere Computer nicht so mächtig sind. Aber mit einem Quantensimulator könnten wir das machen."

Immanuel Bloch: "Das war die ursprüngliche Idee von Richard Feynman. Das war seine Vision, schon in den 80er-Jahren. Und heute sind wir soweit, dass wir das im Labor realisieren können."

Immanuel Bloch hat den Lebenslauf eines Überfliegers. Er ist 40, seit gut drei Jahren Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und wurde für seine Forschung schon Dutzend Mal ausgezeichnet. Seine Labors liegen im selben Gebäudetrakt wie jene des Nobelpreisträgers Theodor Hänsch, bei dem er einst seine Doktorarbeit schrieb. Seitdem zähmt und manipuliert Immanuel Bloch die Atome kalter Gaswolken. Gemeinsam mit zwei ehemaligen Laborkollegen, die heute in Zürich und in Harvard forschen, zählt er zu den Vorreitern der Quantensimulation.

"Hier auf dem optischen Tisch sieht man jetzt diese Fülle von Optik: Hunderte von Spiegeln, Hunderte von Linsen, Schalter für Licht, akusto-optische Modulatoren, elektro-optische Modulatoren, mit denen wir die Frequenz der Laser ganz genau kontrollieren können und ganz genau auf die Wellenlänge einstellen, die wir brauchen, um mit den Atomen zu wechselwirken."

Immanuel Bloch steht vor einem 4 mal 1,50 Meter großen Metalltisch. Der Wald optischer Bauteile darauf ist so dicht, dass es unmöglich wäre, irgendwo eine Kaffeetasse abzustellen. Knapp ein Dutzend Laserstrahlen laufen im Zickzack über die Platte.

"Und all die Optik sieht aus wie so ein Riesen-Legoland an Bauteilen. Die brauchen wir eben, um die Laser genau zu kontrollieren. Es sieht sehr chaotisch aus, aber es ist in der Tat sehr geordnet. Jeder Spiegel von den Hunderten hier hat genau seine Bedeutung und darf nicht dejustiert sein."

Fünf Jahre hat der Aufbau der Präzisionsoptiken gedauert. Bündel von Glasfasern leiten die Laserstrahlen zur Messapparatur, die schwarze Aluminiumwände ringsum abschirmen. Immanuel Bloch öffnet eine der Schiebetüren.

"Und jetzt schauen wir mal in das eigentliche Experiment rein, machen mal den anderen Tisch auf. Und da sehen wir jetzt auch wieder eine Fülle von Optik. Jetzt sieht man, hier wird schon in die dritte Dimension gebaut."

Auch hier ein Gewirr von Linsen und Spiegeln, diesmal wuchert es sogar einen Meter hoch über die Tischplatte. In der Mitte darunter begraben: Ein luftdichter Stahlzylinder vom Format eines Kochtopfes, mit gläsernen Bullaugen. Die Forscher verwenden ihn, um tiefgekühlte Rubidium-Atome festzusetzen. Bloch:

"Bei diesen Nanokelvin-Temperaturen, bei diesen Milliardstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt, dürfen wir natürlich keinen Wärmekontakt mit der Umgebung haben. Das heißt, wir brauchen die perfekte Isolierung von der Umgebung. Und das erreichen wir durch ein Ultrahochvakuum."

Sechs sich kreuzende Laserstrahlen im Zentrum des Stahlkessels bilden eine Art Käfig aus Licht. In einem Bereich groß wie ein Stecknadelkopf fangen die Physiker einige Hundert bis Tausend Rubidium-Atome. Das Ganze passiert computergesteuert, auf Knopfdruck, in unter 30 Sekunden. Sobald die Atomwolke in der Falle sitzt, kann das Spiel beginnen: Bloch und seine Leute schalten drei weitere Laser an. Wo sich ihre Strahlen überlagern, entsteht ein Lichtmuster aus hellen und dunklen Bereichen, ein sogenanntes optisches Gitter. Findet sich die Atomwolke darin wieder, passiert etwas Bemerkenswertes: Die Atome verteilen sich über die Gitterplätze und sitzen dort dann fest wie Tischtennisbälle in den Vertiefungen eines Eierkartons. Das Resultat ähnelt einem Kristall: Eine periodische Anordnung von Atomen, die jeweils nur Hundertstel einer Haaresbreite von ihren Nachbarn entfernt sind. Es ist ein aus Licht und Atomen gebasteltes Modell von Materie.

"Und das Schöne ist eben, dass wir alles in diesem künstlichen Material kontrollieren können. Wir können die Gitterform kontrollieren, wir können die Gitterstärke kontrollieren – alles durch die Laserfelder. Wir können die Wechselwirkung zwischen den Atomen kontrollieren. Und dadurch auch einzelne Effekte an- und ausschalten und dann genau sehen: Was macht diese Komponente jetzt? Was ändert sich, wenn wir jetzt die Wechselwirkung ändern?"

Die fundamentalen Eigenschaften von Materie entstehen durch das Zusammenspiel Tausender Partikel. Die Kräfte zwischen ihnen entscheiden darüber, ob eine Substanz fest oder flüssig ist, ob sie magnetisch wirkt oder nicht, und wie gut sie elektrischen Strom leitet. Bei ihren künstlichen Kristallen können die Max-Planck-Forscher all diese Eigenschaften einstellen und gezielt verändern. Durch ein Mikroskopobjektiv unter der Apparatur sind sie in der Lage, das Verhalten des Kollektivs Atom für Atom zu beobachten.

"Die Triebfeder für uns ist eben, wirklich zu verstehen: Wie ergeben sich aus der Wechselwirkung vieler einzelner Teilchen kollektive Eigenschaften?"

Auch im Mikrokosmos ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Bei der Entwicklung neuer Werkstoffe - sei es für schnellere Datenspeicher, effizientere Stromkabel oder hellere Displays – wäre es hilfreich, etwa den elektrischen Widerstand oder die Magnetisierung im Voraus berechnen zu können. Doch genau daran scheitern Fachleute bis heute.

"Herr Feynman hat schon in den 80er-Jahren gedacht, dass Quantensysteme mit normalen Computern sehr schwer zu simulieren sind. Es gibt viele Probleme, die wir im Moment nicht lösen können, weil unsere Computer nicht so mächtig sind."

Auch Ignacio Cirac ist Direktor am Max-Planck Institut für Quantenoptik in Garching. Der gebürtige Spanier ist Experte für die bizarren Naturgesetze, die im Reich der kleinsten Teilchen Regie führen.

"Selbst mit den besten Supercomputern, die wir im Moment haben, kann man nur 50 Teilchen beschreiben. Und natürlich wollen wir wissen, was passiert, wenn ein System Tausende oder Hunderttausende Teilchen hat. Und dann kann man mit diesen Supercomputern nicht rechnen."

Die Quantentheorie besagt, dass sich die Bausteine der Materie wie Wellen verhalten. Atomkerne, Elektronen und Lichtteilchen können sich deshalb an mehreren Orten gleichzeitig befinden und selbst über große Entfernungen auf mysteriöse Weise miteinander verbunden bleiben. Die mathematischen Formeln, die diese Phänomene beschreiben, sind seit Jahrzehnten bekannt. Dass sich die Natur im Kleinen tatsächlich so merkwürdig verhält, wie sie vorhersagen, haben zahllose Experimente bestätigt. Versucht man allerdings, diese Gleichungen für ein Ensemble vieler Teilchen zu lösen, wächst die Zahl der Rechenschritte bei einem normalen Computer rasch ins Uferlose. Cirac:

"Sogar wenn diese Supercomputer wachsen und viel größer werden, viel mächtiger werden, werden wir nicht fähig sein, diese Probleme zu lösen. Aber mit einem Quantensimulator könnten wir das machen."

Einen Quantensimulator zu bauen, das war der geniale Vorschlag des Visionärs Richard Feynman. Der US-Physiker verstand darunter eine Ansammlung extrem kontrollierbarer Atome, Elektronen oder Lichtteilchen, die das Verhalten anderer Quantensysteme nachahmen können.

"Let the computer be built of quantum mechanical elements which obey quantum mechanical laws ... I believe that with a suitable class of quantum machines you could imitate any quantum system, including the physical world."

Richard Feynmans Idee war bestechend: Wenn wir schon nicht berechnen können, welche kollektiven Eigenschaften ein bestimmtes Material an den Tag legen und wie es sich verhalten wird, dann lasst uns einfach ein naturgetreues Modell davon bauen und beobachten, was passiert.

Tilman Esslinger: "Vor 15 Jahren hätte niemand gedacht, dass es uns gelingt, Atome nebeneinander in einem Gitter aus Licht zu halten. Das schien völlig unvorstellbar."

Immanuel Bloch: "Heute sind wir soweit, dass wir das im Labor realisieren können."

Esslinger: "Die andere Zielrichtung ist zu sehen: Können wir vielleicht völlig neue Phänomene beobachten, mit diesem Zugang der Quantensimulation?"

"Wir gehen am Besten mal in das Labor. Also da drüben ist ein fertiges Experiment. Und hier ist ein Experiment im Aufbau."

Markus Greiner ist seit einem Jahr Physikprofessor an der Universität Harvard in Cambridge - in jener Studentenstadt bei Boston also, wo Richard Feynmans Vortrag die Dinge vor über 30 Jahren ins Rollen brachte.

"Und alle Teile werden auch wirklich gebraucht. Also hier ist alles voller Spiegel und Strahlteiler, Laser und optischen Modulatoren, Linsen und alles Mögliche."

Dass die Apparaturen in seinem Labor jenen in Garching ähneln, ist kein Zufall. Theodor Hänsch war auch sein Doktorvater. Und wie sein früherer Laborkollege Immanuel Bloch fängt auch Markus Greiner kalte Atome in Lichtgittern. 2011 wurde er dafür mit einem Genie-Stependium in Höhe einer halben Million Dollar ausgestattet.

"Hier haben wir ein so genanntes Quantengasmikroskop gebaut, zum ersten Mal, was uns erlaubt, an den einzelnen Gitterplätzen die einzelnen Atome wirklich zu sehen. Hier ist ein Bild zum Beispiel, wo man sieht, dass man einzelne Atome hier als helle kleine Wölkchen sieht. Was toll ist, weil uns das wirklich eine ganz neue Einsicht gibt, in die Welt von den ultrakalten Quantengasen."

Der Clou des Ganzen: Wegen ihres Drehimpulses verhalten sich die gefangenen Atome ganz ähnlich wie die Elektronen im Kristallgitter eines Festkörpers. Greiner:

"Wir haben jetzt ein künstliches Modell davon. Wir haben jetzt nicht Elektronen, die in einem Kristall umherschwirren. Stattdessen haben wir Atome, die in einem künstlichen Kristall umherschwirren, der aus Licht gebildet wird. Dieser Kristall heißt optisches Gitter. Und wenn wir da jetzt Atome rein laden, dann formen diese Atome neue Materiezustände, die eben eine enge Verwandtschaft haben zu dem, was man von echten Materialien kennt: Dass man einen Supraleiter hat, einen Isolator, und so weiter."

Je nachdem, wie die Physiker das Lichtgitter einstellen, verändert sich der Aktionsradius der Atome. Ist die Potenzialbarriere hoch, sitzen sie so unverrückbar fest an ihren Plätzen, wie die Elektronen in einem Isolator. Wird die Hürde kleiner, können sie sich ein Stückchen bewegen, wie die Elektronen in einem Halbleiter. Wird die Barriere noch schwächer, haben die Atome freie Bahn wie die Ladungsträger in einem Metall.

Die künstlichen Objekte sind damit das perfekte Werkzeug, um Theorien über die elektrischen und magnetischen Eigenschaften von Festkörpern auf den Prüfstand zu stellen. Greiner:

"Ein theoretischer Festkörperphysiker hat sich vielleicht ein Modell ausgedacht, wo man denkt, dass man dort einen spannenden Effekt erwartet. Wir können dann hergehen und überlegen: Wie können wir dieses Modell im Labor basteln. Das ist ein bisschen wie Quantenlego."

Man nehme ein recht simples Quantensystem, um ein anderes, viel komplexeres, zu simulieren. Das ist die Vision der Quanten-Dompteure. In ihren Labors können Forscher wie Markus Greiner heute schon Lichtkristalle aus Tausenden Atomen zusammenbauen und mit beeindruckender Präzision manipulieren. Eine Schlüsselrolle dabei spielt ein computergesteuerter Spiegel: Ein silbernes Scheibchen mit Millionen Mikrospiegeln, die sich einzeln an- und abschalten lassen.

"Was natürlich toll ist, weil ich damit jetzt wirklich beliebige Potenzial-Landschaften erzeugen kann. Wir haben da wirklich so einen Chip drin, so einen elektronisch angesteuerten Spiegelchip. Und mit dem können wir dann beliebige Muster erzeugen, genau wie das mit einem Videoprojektor funktioniert."

Der Spiegelchip im Strahlengang erlaubt es, die Atome des optischen Kristalls nach Lust und Laune mit Laserlicht zu kitzeln. Egal ob einzeln oder in Gruppen - alles ist möglich. Markus Greiners aktuelle Arbeiten zielen darauf ab das Rätsel der Hochtemperatur-Supraleiter zu lösen, die bei Temperaturen unter minus 140 Grad Celsius ihren elektrischen Widerstand verlieren. Entdeckt wurden die exotischen Materialien bereits in den 1980er-Jahren, doch wie sie funktionieren, weiß bis heute keiner genau. Als sicher gilt, dass sich die Elektronen in ihrem Inneren paarweise verbinden, zu so genannten Cooper-Paaren. Aber wie und warum das passiert, ist seit 25 Jahren ungeklärt.

"Es gibt ein mathematisches Modell, mit dem viele Leute glauben, dass man das Phänomen beschreiben kann. Bedauerlicherweise kann man selbst mit den stärksten Rechnern nicht die Lösung dieses Modells finden. Und man weiß nicht: Erklärt das tatsächlich die Hochtemperatur-Supraleitung oder nicht?"

Die Hoffnung, endlich Antworten zu finden, treibt auch Martin Greiners einstigen Laborkollegen Tilman Esslinger an. Der Professor von der ETH Zürich hat kürzlich einen Prozess nachgestellt, der der Supraleitung ähnelt - mit Laserstrahlen und Lithium-Atomen in der Rolle der Elektronen.

"Was wir uns gefragt haben: Kann man Experimente machen, die ähnlich sind wie in der Festkörperphysik? Wo man einfach oftmals ein Material nimmt, dann befestigt man daran zwei Drähte, schickt einen Strom durch das Material. Und dann fragt man sich, was passiert, und misst den Widerstand. Dieses Konzept von Experiment wollten wir in die Quantengase bringen. Dazu haben wir ein System aufgebaut, wo wir zwei Reservoire, zwei Bäder mit Atomen hatten. Und die haben wir verknüpft mit einem flachen Kanal zwischen diesen zwei Bädern von Atomen."

Die beiden Reservoire und die Verbindung zwischen ihnen formten die Forscher aus Laserlicht. Dann öffneten sie die Schleuse, die den Kanal versperrte, und schauten, wie schnell die Atome hindurchströmten.

"Und so konnten wir Messungen machen, wo wir gesehen haben: Wie fließt der Strom von Atomen von einem Bad, vom volleren Bad zum leereren Bad. Und dann haben wir natürlich noch den Hebel, dass wir jetzt in diesem Kanal den Zustand des Gases ändern können. Wir können es superfluid machen oder normal leitend."

Mit einem Magnetfeld können die Zürcher Forscher die Wechselwirkung zwischen den Atomen im Kanal so einstellen, dass sie sich gegenseitig anziehen und paarweise zusammentun. Die Folgen dieser Pärchenbildung sind beeindruckend: Die Atome strömen plötzlich ohne Widerstand durch den Kanal – ganz ähnlich wie die Cooper-Paare durchs Kristallgitter eines Hochtemperatur-Supraleiters. Da Tilman Esslinger nach Belieben zwischen normalem und widerstandsfreiem Fluss hin- und herschalten kann, lässt sich nun erstmals genau studieren, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der begehrte Pärchenbildungseffekt eintritt. Der potenzielle Nutzen wäre enorm. Bislang stochern Materialforscher nämlich im Nebel. Um neue Hochtemperatur-Supraleiter aufzuspüren, synthetisieren sie mehr oder weniger auf gut Glück immer neue exotische Verbindungen. Der große Durchbruch - ein Stoff, der den Effekt schon bei Raumtemperatur zeigt und deshalb auch ohne aufwändige Kühlung funktioniert -, blieb dabei aus. Esslinger:

"Ich denke, die Hoffnung ist natürlich, dass wir bestimmte Eigenschaften von möglichen zukünftigen Materialien testen können, bevor man überhaupt diese Materialien bauen kann. Dann weiß man schon: Aha, diese oder jene Eigenschaft ist nützlich. Vielleicht kann man so ein Material in Realität synthetisieren. Bei anderen Materialien weiß man vom Experiment dann: Aha, das ist keine nützliche Eigenschaft. Da brauchen wir uns gar nicht darum zu kümmern. Also ich würde mir erhoffen, dass unser Erkenntnisgewinn dazu führt, dass man in der Materialforschung eine bessere, eine schärfere Richtung bekommt."

Im März 2012 gelang Tilman Esslinger bereits ein anderer Coup. Mit Atomen in einem Lichtgitter simulierte er die elektronischen Eigenschaften von Graphen. Der zweidimensionale Kristall aus Kohlenstoffatomen, dessen Entdecker 2010 den Nobelpreis bekamen, gilt als Hoffnungsträger der Halbleiterindustrie. In ihrem Experiment bauten die Zürcher Forscher die wabenförmige Struktur von Graphen mit Laserlicht nach. Dann streckten und dehnten sie den Lichtkristall und schauten, wie leicht sich Kaliumatome hindurch bewegten.

"Das Schöne an unserem Experiment ist, dass wir das Kristallgitter verändern können."

Da sich die Kaliumatome ähnlich durchs Lichtgitter bewegen wie Elektronen durch Graphen, konnten die Forscher messen, wie minimale Verzerrungen des Wunderwerkstoffs den Transport von Elektronen beeinflussen – und damit seine Fähigkeit, Strom und Wärme zu leiten. Für die Entwicklung mikroelektronischer Bauteile aus Graphen, an der weltweit intensiv gearbeitet wird, könnten sich diese Erkenntnisse als nützlich erweisen. Esslinger:

"Die Theoretiker sind sehr interessiert an dem was wir machen. Mit Experimentalforschern im Bereich der Materialforschung haben wir wenig zu tun. Aber die Theoretiker, die sind Feuer und Flamme."

Die Fortschritte sind beeindruckend. Alle paar Wochen werden neue Ergebnisse publiziert. Bislang waren es vor allem Bestätigungen bekannter physikalischer Phänomene. Doch das ändert sich allmählich.

Markus Greiner: "In mehreren Labors kommen die Experimente genau jetzt an den Punkt, wo man wirklich Sachen machen könnte, die man kaum mehr rechnen könnte."

Tilman Esslinger: "Ich glaube, wir sind gerade an dem Schritt, wo die Quantensimulation neue Erkenntnisse bringt."

Immanuel Bloch: "Und ich bin sicher, dass wir das in Zukunft auch noch viel mehr sehen werden."

Immanuel Bloch hat den beiden Metalltischen mit dem Gewirr aus Linsen, Lasern und Spiegeln darauf den Rücken gekehrt und geht in die hintere Ecke des Labors. Neben Computern und Monitoren stehen dort Elektronikschränke, von denen Hunderte von Kabeln zum Experiment führen.

"Das ist unser Computersystem, mit dem wir das alles steuern. Das sind mittlerweile über 200 Digitalkanäle und viele analoge Ausgangskanäle, mit denen wir Steuersignale vorgeben können für das Experiment. Das ist zwar noch nicht ganz wie in der Hochenergiephysik, aber für unsere kleinen Experimente schon auch extrem komplex."

Interessante Anwendungen gibt es zuhauf. So haben die Garchinger kürzlich untersucht, was passiert, wenn man die Ordnung in einem künstlichen Kristall stört. Dazu haben sie eins ihrer Atome so mit dem Laser angestupst, dass die winzige Magnetnadel, die es repräsentiert, umklappt. Da sich die Nachbaratome ebenfalls wie Kompassnadeln verhalten, spüren sie eine Kraft, richten sich zum Teil selbst neu aus, beeinflussen dadurch wiederum ihre Nachbarn und so weiter. Der Verlauf dieses Umordnungsprozesses lässt sich per Quantensimulation Schritt für Schritt verfolgen. Bloch:

"Dann bauen wir diese Störstelle ein, lassen die sich ein bisschen ausbreiten – und dann nehmen wir einen Schnappschuss. Dann präparieren wir wieder das System, bauen wieder die Störstelle ein, lassen das noch ein bisschen länger sich ausbreiten und machen wieder einen Schnappschuss. Und so peu à peu, können wir die Dynamik verfolgen. Und die Dynamik passiert bei uns relativ langsam, weil die Abstände zwischen den Atomen so groß sind bei uns im Kristall. Das ist auch ein schöner Effekt: Alles was im Festkörper bei Femtosekunden oder Attosekunden passiert, passiert bei uns im Millisekundenbereich."

Der Vorgang lässt sich also wie in Zeitlupe analysieren. Ein weiterer Trumpf der Lichtkristalle: In ihrem Inneren können Bedingungen herrschen, die in einem echten Kristall unerreichbar sind. Bloch:

"Wir können zum Beispiel künstliche Magnetfelder erzeugen, die ungefähr hundert- bis tausendmal stärker sind, als alles, was Sie heute in den stärksten Magneten der Welt erzeugen können. Das heißt, wir können diese künstliche Quantenmaterie diesen extrem starken Magnetfeldern aussetzen. Und ehrlich gesagt, wissen wir gar nicht, was da passieren wird."

Im Fachmagazin "Nature" beschrieben die Forscher um Immanuel Bloch im November 2012, wie hoch angeregte Rubidiumatome neuartige "Quantenkristalle" formen. Die stark aufgeblähte Elektronenhülle dieser Atome führt dazu, dass sie sich gegenseitig abstoßen. Beim Versuch, sich so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, bilden die Atome unterschiedliche geometrische Muster aus. Das Faszinierende daran: Die verschiedenen räumlichen Anordnungen liegen alle gleichzeitig vor. Das Atom-Ensemble befindet sich also in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand – genau wie Schrödingers Katze im berühmten Gedankenexperiment, die gleichzeitig tot und lebendig ist.

Noch erstaunlicher ist die jüngst veröffentlichte Arbeit. In ihr zeigten die Garchinger Forscher, dass sich in Kristallen aus Licht Temperaturen unter dem absoluten Nullpunkt erzielen lassen. Im wirklichen Leben ein Ding der Unmöglichkeit, doch Kölner Theoretiker hatten vor zwei Jahren berechnet, dass der Effekt in künstlichen Kristallen zu beobachten sein müsste.

"Solche verrückten Sachen kann man eben nur in diesen isolierten, absolut kontrollierten Systemen machen, die gehen im realen Material nicht."

Ob solche exotischen Zustände und Formen von Materie einmal praktischen Nutzen haben werden, ist offen. Doch das tiefere Verständnis kollektiver Phänomene, das Quantensimulationen erlauben, liefert Materialforschern schon heute wertvolle Anregungen. Und wer weiß? Möglicherweise beschert die junge Disziplin der Welt ja einmal effizientere Elektromotoren, ultraschnelle Datenspeicher oder präzisere Atomuhren.

Im Nachbarlabor baut Immanuel Blochs Team gerade ein weiteres Experiment auf. Das Ziel: Eine Mischung aus Natrium- und Kaliumatomen in Lichtgittern zu fangen, um die Entstehung chemischer Bindungen unter die Lupe zu nehmen.

"Eine Sache, die wir dann hier machen wollen, ist dann: Aus diesem Natrium und Kalium ein Molekül machen, ein Natrium-Kalium-Molekül, und dann mit dem Molekül Experimente machen. Wir wollen das hier unter ganz kontrollierten Bedingungen herstellen, die chemische Reaktion perfekt kontrollieren, dass wir auch in ganz bestimmten Quantenzuständen das Molekül dann erzeugen. Und damit haben wir dann auch die ultimative Kontrolle über diese einfache chemische Reaktion erreicht."

Der Startschuss für den Quantenzirkus fiel 2002. Ein Artikel im Fachmagazin "Nature" beschrieb damals wie ein Lichtkristall, dessen Atome perfekte Freizügigkeit genossen, auf Befehl zum Isolator mutierte. Zu den Autoren zählten Markus Greiner, Tilman Esslinger und Immanuel Bloch. Und Theodor Hänsch, der Doktorvater aller drei. Seitdem gingen die jungen Quanten-Jongleure getrennte Wege und sind natürlich längst auch Konkurrenten beim Wettlauf um neue Erkenntnisse und Einsichten.

Tilman Esslinger: "Das sind Freunde und Konkurrenten zugleich. Im Grunde gibt’s natürlich nichts Schöneres, als wenn Ihre eigenen Studenten dann halt sehr erfolgreich sind."

Immanuel Bloch: "Ich nenne das immer freundliche Konkurrenz, friendly competition. Wir sind gute Freunde, aber trotzdem will natürlich jeder von uns die Sachen zuerst machen."

Esslinger: "Manchmal ist dann halt der eine vorne, manchmal der andere vorne."

Bloch: "Aber wir helfen uns schon gegenseitig. Und wenn mich einer fragt, wie macht Ihr das, dann antworte ich ganz ehrlich, wie wir die Sachen machen. Davon lebt die Wissenschaft ja auch, von dieser Offenheit."

Esslinger: "Dadurch dass das Gebiet so dynamisch ist, sind wir alle sehr glücklich mit der Situation. Wir sind eigentlich verwöhnt."