Dienstag, 16. April 2024

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Mararia

Natürlich freut sich der kanarische Erzähler und Lyriker Rafael Arozarena darüber, daß eines seiner Bücher nun endlich auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Aber das es nun ausgerechnet wieder der Roman "Mararia” sein muß, der ihn zunehmend nun auch im Ausland bekannt macht, paßt ihm eigentlich überhaupt nicht. Sagt er zumindest. Ach, na ja, meint der 75jährige während unseres Gesprächs in einem Café seiner Heimatstadt Santa Cruez, der Roman sei eben sein Erstling, vor Jahrzehnten bereits verfaßt. Das sei alles schon so lange her. Außerdem habe er doch letzendlich nur niedergeschrieben, was ihm die Menschen in Fermés, einem kleinen Dorf auf Lanzarote, damals erzählten. "Mararia” sei also in diesem Sinne gar nichts Eigenes. Er sei hier nur Chronist. Aber die Landschaft, betont Arozarena, die sei für ihn und seinen Werdegang als Schriftsteller ein auschlaggebendes Erlebnis gewesen. "Das ist Teil meines Programms", so Rafael Arozarena. "Seit meinem Aufenthalt auf Lanzarote und der Entdeckung der außergewöhnlichen Landschaft dort. Ich fuhr damals von Teneriffa aus auf diese Insel. Teneriffa ist eine lyrische Insel: sehr grün, reichlich Schatten, etwas zuviel Postkartenidylle. Deshalb war Lanzarote für mich wie ein Schock: diese blendende, karge, trockene Landschaft! Unamuno war ein Dichter, der sich von dieser Kargheit inspirieren ließ. Und mich hat das sofort beeinruckt. Mich interessierten fortan die Abgründe der Bescheidenheit im Leben und das leidvolle, entbehrungsreiche Leben der Menschen im Süden. Das hat mich zum Schreiben veranlaßt.”

Angela Gutzeit | 16.02.1999
    Und so spielen in "Mararia” die Landschaft die Hauptrolle und eine Frau. Der Ich-Erzähler des Romans, von dem Arozarena sagt, er sei mit ihm als Autor identisch, macht zuerst einmal auf unangenehme Weise Bekanntschaft mit dieser Landschaft Lanzarotes und ihren Menschen. Er möchte nämlich das Dörfchen Fermés aufsuchen, wird aber von dem Lastwagenfahrer Petro el Geito fünf Kilometer vorher rüde bei sengender Hitze in gottverlassener Gegend abgesetzt. Um nichts in der Welt fahre er nach Fermés, so Petro. Das Dorf sei verflucht und es geschehen dort Dinge, meint er vielsagend. Damit ist der Ton angeschlagen, der fortan das Romangeschehen bestimmt. Ein düsteres Geheimnis lastet auf Fermés und der Besucher ist offensichtlich gekommen, um es zu lüften. Nach langem Fußmarsch ereicht er das Dorf bei Nacht und es erscheint ihm wie eine Fata Morgana. "Zahlreich sind die Kuppeln, die Mauern und Backöfen (...)", heißt es im Roman, "hinzu kommen der Halbmond, die verhüllten Frauen, die Palmen und das Weiß der gekalkten Wände. Fermés ist ein Dorf des Orients, mit den Winden aus Afrika auf die Insel gelangt.” Der Erzähler betritt dieses etwas unheimlich und unwirklich erscheinende Dörfchen nun wie eine Bühne. Das Geheimnis, um das es ihm geht, trägt den Namen Maria - oder "Mararia", die Hexe, die Räbin, wie sie von den Bewohnern genannt wird: Eine dunkel verhüllte Frau, die zu kaum jemandem Kontakt hat und von fast allen gemieden wird. Warum, das läßt sich der Gast nun erzählen. Nacheinander, Kapitel für Kapitel, haben vorzugsweise nun die Männer von Fermés ihren Auftritt: Der Totengräber Marcial, der versoffene Arzt Don Ermìn, der ehemalige Pfarrer und Eremit Don Abel, der Briefträger Senor Alfonso, der Schankwirt Isidro - um nur die wichtigsten zu nennen. Sie berichten dem Fremden, was sie selbst einst mit Maria, als sie noch jung und die schönste Frau der Insel war, verband. Das Ganze gestaltet sich wie eine Beichte. Die Beteiligten lassen sich nicht lange bitten, ja, scheinen fast erleichtert zu sein, endlich reden zu können. Denn, so stellt sich heraus, alle sind sie mehr oder weniger schuldhaft am Schicksal Marias beteiligt. Der Mord an ihrem Bräutigam, der tödliche Badeunfall ihres kleinen Sohnes, der Wahnsinn, der sie befiel - alles geht auf das Konto dieser Männer, die sie wegen ihrer Schönheit begehrten und zerstörten.

    "Mararia” ist ein Roman, der vom Fluch der Schönheit erzählt und von einer patriarchalischen Dorfgemeinschaft, die eine Frau vernichtet, die sich ihr nicht unterordnet. Soweit die eine Ebene des Romans, die sich mosaikartig aus den verschiedenen Perspektiven der Männer, aus ihren Berichten oder den Dialogen mit dem Erzähler zusammensetzt, was spannend zu lesen ist. Aber der Roman hat noch eine weitere, eine Art Metaebene, die das Geschehen geradezu ins Philosophische, ja Religiöse transzendiert. Denn Maria, die gegenüber dem Erzähler selbst nie zu Wort kommt und eigentlich ein Phänomen bleibt, wird für ihn zum Synonym für die Insel Lanzarote. Wenn die Männer von Marias wilder, rauher Schönheit berichten, ihrer Unnahbar- und Unbezwingbarkeit, von ihren glühenden Augen und dem schmalen hohen Wuchs, sowie ihrer Ausstrahlung, die betörte, aber auch verzehrte, so ist das auch eine Liebeserklärung an die Magie der Landschaft Lanzarotes. Und wenn Maria sich schließlich selbst verbrennt, um sich vom Fluch der Schönheit zu befreien, die der ehemalige Dorfpfarrer Don Abel als die vollkommene Maske der Sünde bezeichnet, so korrespondiert auch dieses Geschehen mit den Naturgewalten der kanarischen Insel. "Mararia läuterte ihre Schönheit durch das Feuer", so Arozarena. "Wie auch die Insel durch das Feuer ihrer Vulkane geläutert wird. Diese Eindrücke von Maria und von der Insel haben mein Schreiben bestimmt. Deshalb sage ich, daß Maria mehr Einfluß auf mich ausgeübt hat als ich auf die Erzählung.”

    Diese ständigen Bezüge zwischen innerer und äußerer Realität, zwischen der Landschaft und den Befindlichkeiten der Menschen erinnert stark an das, was in der Nachkriegszeit auch bei uns als ‘Magischer Realismus’ hervortrat und heutzutage nicht selten als etwas überspannt und wirklichkeitsfern anmutet. Und auch Arozarena hat ja seinen ersten Roman nach der Zeit des Zweiten Weltkrieges, also noch während der Franco-Ära geschrieben. Er und einige Schriftstellerkollegen, so berichtete Arozarena, hätten sich "Die Generation des Niedergangs” genannt - Ausdruck einer kulturellen Hoffnungslosigkeit angesichts der Diktatur. Die politische und kulturelle Stagnation in Spanien bewirkte bei ihm und Freunden eine Rückbesinnung auf Religion, Tradition, Mythen, auf "Schönheit und Reinheit”, wie es etwas nebulös in Selbstaussagen der Schriftstellergruppe "Fetasa” hieß, der Arozarena angehörte. Und "Mararia” ist ganz offensichtlich der literarische Ausdruck dieser Rückbesinnung, eines Rückzugs in die Innerlichkeit. Auf den Kanarischen Inseln ist "Mararia” Pflichtlektüre, nicht nur in den Schulen, und sein Autor wird verehrt wie ein Star. Rafael Arozarena hat mit diesem Roman den Kanaren ein Denkmal gesetzt, den kanarischen Inseln, wie sie vielleicht einmal waren, zumindest in den Mythen noch erhalten sind. Und das hat für die Kanaren angesichts der Zerstörung von Natur und Kultur durch Tourismus und Bauboom größere Bedeutung denn je.