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Marguerite-Duras-Adaption in Paris
Im Herz der Liebesfinsternis

Die britische Theaterregisseurin Katie Mitchell kehrt nach installativen Arbeiten wie ihren Hamburger "Glücklichen Tagen" wieder in den Filmrealismus zurück - mit einer Adaption des berühmten Buches "Die Krankheit Tod" von Marguerite Duras. Die Pariser Inszenierung wird dem Text nur in Teilen gerecht.

Von Eberhard Spreng | 18.01.2018
    Die französische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Marguerite Duras, aufgenommen an ihrem Schreibtisch in ihrer Wohnung in Paris in den frühen 50-er Jahren.
    Die französische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Marguerite Duras, aufgenommen an ihrem Schreibtisch in ihrer Wohnung in Paris in den frühen 50-er Jahren. Duras starb 1996. (picture-alliance/dpa)
    "Vous ne devriez pas la connaître, l’avoir trouvée partout à la fois, dans un hôtel, dans une rue, dans un train …"
    Versuchsanordnung für ein Date. Gesprochen von der Schauspielerin Irène Jacob. Sie sitzt in einer Sprecherkabine links neben der Bühne. Die Bühne selbst ist ein Hotelzimmer unter einer Filmleinwand, in dem ein Mann eine ihm unbekannte Frau dafür bezahlt, dass sie ihn während einiger Nächte in diesem Hotel am Meer besucht, ihm zu willen ist, nicht redet, oder nur dann, wenn er sie darum bittet.
    "Taisez-vous, je veux que vous vous taisiez,
    Pardon? Juste pendant que je vous regarde."
    Betrachten möchte der von Nick Fletcher verkörperte Mann die Frau, die da nackt vor ihm auf seinem Hotelbett liegt. Und er möchte ausprobieren, ob es ihm gelingt, sie zu lieben, vielleicht nicht sofort, aber irgendwann.
    Der Mann ist unfähig, zu lieben
    Zu erleben ist eine unerträgliche Situation aus Macht und Dominanz des Mannes über eine sich prostituierende Frau. Aber dieses Verhältnis ändert sich schleichend, wenn klar wird, dass er, obwohl er Sex mit dieser Frau haben kann, unfähig zu dem ist, was er sich vorgenommen hat: zu lieben. Mehr noch, überhaupt eine Ahnung von dem zu bekommen, was Liebe sein könnte. Nun ist es sie, die die Herrschaft über ihn erlangt und in einer der langen Nächte, mit einem Pullover bekleidet, ein Weinglas in der Hand, dem nackten, vor ihr auf dem Hotelbett liegenden Mann ihre Diagnose mitteilt.

    "La maladie de la mort. Encore. La - Maladie – de – la – Mort. Encore. La - Maladie – de – la – Mort"
    Wieder und wieder muss Laetitia Dosch die Worte "Die Krankheit Tod" wiederholen. Wie schon zu Beginn spielt sie die Frau mit einer Mischung aus Gereiztheit und Ungeduld: Immer wieder war sie im Morgengrauen aus dem Hotelzimmer geeilt, zum Fahrstuhl, auf die Straße in einer verlassenen Ortschaft am Meer. Diese voraufgenommenen Bilder mischen sich in diejenigen, die zwei Kameraleute von den beiden Akteuren in dem kühl möblierten Hotelzimmer anfertigen, in einer fein einstudierten filmischen Bilddramaturgie.
    Bei Marguerite Duras ist der Mann nicht ein Mann, sondern alle Männer. Die Frau ist nicht eine Frau sondern alle Frauen. Und sie ist metaphorisch auch noch das unergründliche Meer, eine Urgewalt. Katie Mitchell tilgt Symbolik und Allegorie und versetzt das poetische Geschehen in einen realistischen Kontext. Ihre Frau hat eine Vorgeschichte: Der Theaterfilm zeigt sie uns immer wieder als Mädchen, das schließlich den eigenen Vater am Strick baumeln sieht. Wie aber das Trauma des väterlichen Selbstmordes die Protagonistin Jahre später in die Nähe eines daseinskalten, offensichtlich an sich selbst verzweifelnden Mannes getrieben haben soll, bleibt unerklärt.
    Noch unergründlicher ist das Trauma des Mannes. Ein durchschnittlicher Freier ist er sicher nicht. Ihn treibt ein unlösbares Verlangen, es gipfelt in seinen Schmerzensschreien und schließlich in ihrer entnervten Beschimpfung.
    Versöhnliche Mutter-Sohn-Idylle am Ende
    "Vous n’aimez pas, personne, jamais. Jamais. Dites-le. J’aime pas. Encore. J’aime pas."
    Der Liebesunfähige scheint bei Katie Mitchell nur Opfer seiner pornografischen Schaulust zu sein. Er ist ein aufs Auge fixierter Besessener, der die Schlafende mit seinem Smartphone filmt: ihr Geschlechtsorgan, dann eines ihrer Augen in Großaufnahme, so als könne er durch ihr Sehorgan hindurch Zugang finden zum Leben und zur wirklichen Welt.
    Klar, der Mann ist das Symbol des Todes. Ein Tod, der unentwegt das Leben befragen muss zu Dingen, die er nicht spüren kann und der deshalb ständig mit externen Werkzeugen auf die Suche nach Erkenntnis geht. Auch sie hat ein Smartphone, aber das zückt sie im Hotelflur, um zu telefonieren. Ganz am Ende sehen wir, wen sie da wohl angerufen haben könnte: Die Filmleinwand über der Bühne zeigt sie am Strand, zusammen mit einem kleinen Jungen, eine versöhnliche Mutter-Sohn-Idylle, die allerdings mit Duras' düsterer Reise ins Herz der Liebesfinsternis nichts mehr zu tun hat.
    Katie Mitchell kehrt nach installativen Arbeiten wie ihren Hamburger "Glücklichen Tagen" nun wieder in den Filmrealismus zurück, aber der wird dem Text nur in Teilen gerecht. Und er liefert nicht genug Anhaltspunkte für die angedeutete Aussage, dass es eine pornografische Zivilisation ist, die das Ende der Liebe und die Krankheit Tod auslöst.