Freitag, 19. April 2024

Archiv


Marie Galante

Kurt Weill war kaum 33, als in Deutschland die Nazis an die Macht kamen, und er zog die rasche und richtige Konsequenz, sofort nach Paris zu fliehen. Dort bekam er vom Théâtre des Champs-Elysées gleich einen Kompositionsauftrag: "Die sieben Todsünden" nach einem Text von Berthold Brecht. Außerdem schrieb er in Paris seine zweite Sinfonie. Zwischen diesen beiden Werken entstand die Oper "Marie Galante", die bei der Uraufführung 1934 durchfiel und dann rasch in Vergessenheit geriet. Erstmals nach 73 Jahren wurde sie jetzt in Rom wieder gespielt.

Von Thomas Migge | 21.02.2007
    Die junge Prostituierte Marie Galante wird in Bordeaux gekidnappt und auf einem Schiff nach Südamerika verschleppt. Im Hafen von Carupano in Venezuela wird sie ihrem Schicksal überlassen.

    Marie Galante reist nach Panama, dem einzigen Hafen, von dem aus eine Überfahrt nach Europa möglich ist. Um die teure Schiffspassage zu bezahlen, muss Marie Galante arbeiten, als Prostituierte. Doch in ihrer Großherzigkeit gibt sie das ersparte Geld für einen kranken alten Mann aus, den sterbenden Josiah. Um an neues Geld zu kommen lässt sie sich in eine Spionageaffäre um den japanischen Geschäftsmann Tsamatsui verwickeln. Eine fatale Entscheidung: Marie Galante wird ermordet und in einem Sarg nach Frankreich zurückgebracht.

    Eine Handlung, wie geschaffen für Kurt Weill. Der Komponist hielt sich 1934 in Paris auf, er war aus Nazideutschland geflohen. In jenem Jahr war der Roman "Marie Galante" des Franzosen Jacques Deval ein Bestseller. Weill bat Deval, ein Libretto für ein Schauspiel mit Musik zu schreiben. Deval willigte ein, lieferte aber einen Text, der weder den Komponisten noch das Publikum überzeugte. "Marie Galante", am 22. Dezember 1934 im Theatre de Paris uraufgeführt, war ein Fiasko und nach nur zwei Wochen abgesetzt - und damit auch vergessen, erklärt Joseph Rochlitz, Regisseur der Wiederaufführung von "Marie Galante" nach rund 73 Jahren im römischen Opernhaus:

    "Vor drei Jahren bat mich der Direktor der römischen Staatsoper dieses Werk auszugraben. Ich hatte noch nie von Marie Galante gehört. Der Direktor meinte: ein Werk der Pariser Zeit von Weill, forsch mal nach. Und so begann meine Recherche, das war nicht einfach, denn es existiert nichts Geschriebenes zu diesem Werk."

    Joseph Rochlitz begann mit seiner Sucharbeit nach dem verschollenen Werk Weills. Als Ausgangsbasis hatte er nur den Roman von Deval und einige Lieder, die immer wieder gesunden werden, von Ute Lemper und anderen, und als deren Quelle der Hinweis "Marie Galante" angegeben wird:

    "Es gibt Einspielungen einiger Lieder, jedoch immer nur von Frauenstimmen gesungen und nicht, wie wir jetzt wissen, für einen Gospelchor, für einen Tenor, für zwei Jugendliche, für einen betrunken deutschen Spion usw. Dank des Musikwissenschaftlers John Mucci kam ich auf die richtige Fährte, zur Kurt-Weill-Foundation in New York."

    Doch dort war man nicht besonders daran interessiert "Marie Galante" zu rekonstruieren. Immer wieder und aus unbegreiflichen Gründen wurde der Regisseur abgewiesen, bis man schließlich, auch auf Druck des römischen Opernhauses, nachgab und die Partitur plus Libretto herausrückte. Die Stiftung habe Angst, so Joseph Rochlitz, dass eine Wiederaufführung des Flops von 1934 dem Ansehen Weills Schaden zufügen könnte.

    Von einem Flop kann aber keine Rede sein. Unter der musikalischen Leitung von Vittorio Parisi, einem Experten für die Musik des 20. Jahrhundert, und mit Chiara Muti, der schauspielernden und singenden Tochter von Riccardo Muti, in der Hauptrolle der Marie wird in Rom ein musikalisch ungemein vielseitiger Weill vorgestellt.

    Für Chiara Muti handelt es sich bei der Rolle der Marie Galante um eine für Weill typische Frauenfigur:

    "Er schuf eine Frau mit zwei Gesichtern: die sprechende und nicht singende Marie kommt leichtfüßig daher, eine Lebefrau. Doch wenn sie singt, dann zeigt sie ihr verletztes Ich, dann singt sie davon, wie sie ausgenutzt wird, von ihrer Würde. Vor allem in der Musik überzeugt Marie als Charakter."

    Weills Musik für "Marie Galante", meint Vittorio Parisi, unterscheidet sich von den in Deutschland komponierten Werken des Komponisten:

    "Das ist ein Weill, der dem eher weichen musikalischen und damit französischen Geschmack entgegen kommt. So wählt er Instrumente aus, wie zum Beispiel ein Akkordeon für Musette-Walzer aus. Er kommt damit sehr der französischen Volksmusik entgegen."