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Mariengrotte Covadonga
Spaniens umstrittener Erinnerungsort

Im nordspanischen Covadonga soll vor mehr als tausend Jahren die christliche Rückeroberung begonnen haben. Bis heute wird der Ort verehrt, wegen seiner Mariengrotte und der berühmten Schlacht im Jahr 722. Doch nicht alle Spanier mögen diese Vermischung von Geschichte und Religion.

Von Brigitte Kramer | 18.10.2016
    Ein beliebter Marien-Wallfahrtsort in Spanien und eine Station am Jakobsweg ist Covadonga im Nationalpark Picos de Europa in Asturien.
    Symbol katholisch-spanischer Identität: Covadonga, der Marien-Wallfahrtsort in Asturien. (dpa-Zentralbild)
    Vier Dinge hat Asturien. So besagt es das Volkslied, das Alicia singt: Den Apfelwein Sidra, die Kohle des Bergbaus, die Jungfrau von Covadonga und das Opernhaus Campoamor in der Hauptstadt Oviedo. Landwirtschaft und Bergbau, Religion und Kultur. Was braucht man mehr? In der nordspanischen Region Asturien stiften diese Dinge Identität. Seit Jahrhunderten und heute noch.
    Alicia ist 15 Jahre alt und gehört zu einer Folkloregruppe. Sie lebt in Bimenes, einem Dorf mitten in Asturien. Die Gegend ist abgelegen und ärmlich. Im einzigen Laden weit und breit, in dem man Matratzen ebenso kaufen kann wie Babylätzchen, Kaffeetassen oder Lampenschirme, sitzt Alicia in einer abgeschirmten Nähstube und probiert ihre Tracht an.
    Parade zur Grotte
    Alicia ist voller Vorfreude, der Regionalfeiertag ihrer Heimat Asturien steht bevor und damit ihr großer Auftritt in der Folkloregruppe. Jedes Jahr gestaltet eine andere Gemeinde der Region die Feier.
    Alicia: "Wir bringen dieses Jahr die Weihgaben, das ist wirklich etwas Besonderes: Erst zur Messe, dann spielt unsere Kapelle, dann die Parade zur Grotte, und dann tanzen."
    Die Weihgaben sind Äpfel, eine Flasche Sidra, Kohlestücke, die an die längst geschlossenen Minen erinnern, und Räucherwürste aus einer der drei Fabriken des Dorfes. Die Delegation aus Bimenes reist in vier Bussen nach Covadonga. Alle strahlen, trotz des strömenden Regens.
    Der Feiertag wird in den Bergen begangen, zwischen üppigen Laubwäldern und hohen Felswänden. Hier ist die Grotte von Covadonga. In ihr steht eine Marienfigur. Sie trägt einen roten, mit Goldfäden bestickten Samtumhang und ist von frischen Blumen umgeben.
    Schlange stehen für einen Kuss
    Hunderte Besucher stehen Schlange. Sie wollen ein weißes Band küssen, das am Mantel der Figur hängt. Geduldig warten sie in einem Felsgang, der in den Berg gesprengt wurde. Der Gang ist erleuchtet von unzähligen Opferkerzen.
    Viele Menschen in Asturien besuchen an diesem Tag die Grotte und gehen zur Messe, die der Erzbischof von Oviedo feiert. Es sind nicht nur Folkloregruppen und Pilger gekommen. Die vorderen Reihen in der Basilika sind reserviert für Vertreter der Kirche, für Politiker und Angehörige der Guardia Civil. Die paramilitärische Polizeieinheit erinnert viele bis heute an die Diktatur.
    Umstrittenes Symbol
    Covadonga ist auch ein Symbol für Spaniens Geschichte. Die Region liegt im Norden, an der Küste des Golfs von Biskaya.
    "Covadonga ist ein wunderschöner Ort. Und er hat mit der jahrhundertealten Geschichte unseres Volkes zu tun. Hier begann die Reconquista, die Verteidigung unserer ureigenen, christlichen Lebensvorstellung. Und dann ist der Ort auch ein Ort des Glaubens. Covadonga ist ein Symbol, ein Emblem, eine Flagge, die für Natur, Geschichte und Religion steht."
    Die Einheit von Glaube und Geschichte, wie sie Erzbischof Jesús Sanz nach der Messe zusammenfasst, finden nicht alle Spanier gut. Auch weil die Deutung der historischen Ereignisse umstritten ist.
    Besonders in den fast 40 Jahren der nationalkatholischen Franco-Diktatur wurde der Ort Covadonga als Nationalheiligtum verehrt. Hier soll Pelayo, ein Führer der christlichen Westgoten, im Jahr 722 die Araber geschlagen haben. Seine muskulöse, überlebensgroße Statue steht auf dem Vorplatz der Basilika.
    Wie das katholische Spanien entstand
    Die legendäre Schlacht von Covadonga gilt als Beginn der christlichen Rückeroberung Spaniens. Die Reconquista begann im Norden und endete im Süden, 1492 fiel Granada. Fast 800 Jahre lebten in Spanien also Christen und Muslime. Dennoch gilt das Land seit jeher als tief katholisch.
    Carlos García de Andoin ist Politologe, Theologe und Sozialist. Seit 20 Jahren beschäftigt sich der 52-Jährige mit dem Verhältnis von Kirche und Staat in Spanien.
    "Schon im 15. Jahrhundert haben die katholischen Könige ihre Vorstellung vom katholischen Glauben dazu benutzt, Spanien zu konstruieren. Die Religion hat fünf Jahrhunderte lang eine sehr wichtige Rolle gespielt beim Aufbau einer nationalen Identität. Dabei war sie auch immer stark umstritten: Letztlich wirkt sie bis heute als Bremse, beim Kampf um mehr bürgerliche Rechte und mehr Freiheit."
    Erinnerung an die christliche Rückeroberung
    Religion als Mittel der Repression und Symbol nationaler Identität: Carlos García de Andoin fordert seit Jahren deutlichere Signale gegen diese althergebrachte Verbindung von Macht und Kirche. Vor allem den muslimischen Immigranten gegenüber sollte sich das Land öffnen.
    "Die Machthaber sollten mehr Respekt anderen Religionen gegenüber zeigen. Wenn der Ramadan endet und die muslimische Gemeinde dazu einlädt, dann sollte ein Bürgermeister da auch ruhig hingehen!"
    Verhältnis von Kirche und Staat
    Auch viele Pilger sind unzufrieden, mit der stagnierenden Politik im Land, mit ihren Lebensumständen. Amable zum Beispiel. Auch sie war im Bus aus Bimenes. Das Band der Marienfigur hat sie schon geküsst. Aber die Zeit der Messe verbringt sie lieber außerhalb der Kirche: in einer Bar. Während die Worte des Erzbischofs per Lautsprecher ins Freie übertragen werden, spricht sie deutlich aus, was viele Spanier denken:
    "Das hier ist eher für die Wichtigen, die Leute mit Macht, Minister, Stadträte … die kommen nur heute, sonst nie. Für mich hat Religion nichts mit Politik zu tun. Ein paar von denen sind vielleicht gläubig, schon möglich, aber die Minister und so sicher nicht. Sonst hätten wir nicht die Politiker, die wir haben und würden für unser Land nicht so leiden."