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Marina Weisband
Der Online-Wahlkampf ist bunt, aber unkreativ

Die Parteien wollen mit ihren Wahlslogans unbedingt auf die Smartphones der ganzen Republik kommen, beobachtet unsere Kolumnistin. Der Online-Wahlkampf sehe bisher aber mehr nach dem Produkt von Werbeagenturen aus als nach leidenschaftlicher Politik.

Von Marina Weisband | 24.08.2017
    Neben herkömmlicher kommerzieller Werbung benutzen politische Parteien am 22.08.2017 Straßenlaternen im Berliner Bezirk Marzahn um ihre Wahlplakate für die Bundestagswahl zu platzieren. Am 24. September sind die Bundesbürger aufgerufen eine neue Bundesregierung zu wählen.
    Phrasen und bunte Bilder prägen unserer Kolumnistin zufolge den aktuellen Wahlkampf. (picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm)
    Deutschland ist noch im Urlaub, aber der Wahlkampf düdelt schon mal vor sich hin. Ehrlich. Sogar online. Online, sagen die Parteien 2017, ist sehr zentral für den Wahlkampf. Da bekommt man die meiste Wirkung für den geringsten Aufwand. Deshalb haben die Grünen, zum Beispiel, ihr halbes Wahlkampfbudget ins Internet investiert. Und wie läuft das so? Es läuft okay.
    Bunte Bilder mit Schriftzügen
    Auf den Accounts der Parteien bei Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat tummeln sich bunte Bilder mit Schriftzügen, die möglichst viel geteilt werden sollen. Digitale Plakate.
    Video ist eine der Innovationen, auf die die Parteien sich ebenfalls übergreifend einstellen konnten. Man möchte möglichst viele Klicks. Möglichst auf die Handys kommen. Smartphone-Bildschirme sind neue Plakatflächen geworden.
    Es gibt auch einige innovative Beispiele, digitale Medien so zu bespielen, wie kein Plakat und kein Fernsehspot es könnte. Der Wahl-O-Mat und Abgeordnetenwatch helfen durch eine Reihe von Fragen, die passende Partei zu finden. Dieses Jahr gibt es mit "Dein Wal" auch einen Wahl-O-Mat, der sich nicht an Wahlversprechen, sondern an vergangenen Abstimmungen orientiert. Die Parteien nehmen diese Angebote zum Glück ernst.
    Auch interaktiv – aber nicht emotional
    Die SPD bietet ihr Wahlprogramm auch interaktiv an. Man beantwortet Fragen zur eigenen Lebenssituation und es wird ein verkürztes Wahlprogramm zusammengestellt, das sagt, was die SPD für einen persönlich tun würde.
    Dennoch fehlt in diesem Wahlkampf irgendwie die Energie. Es gibt kaum neue Ideen, es wird nicht emotional gekämpft. Auch der Online-Wahlkampf ist eher analytisch-zweckdienlich und sieht oft mehr nach dem Produkt von Werbeagenturen aus als nach leidenschaftlichem Kampf für die Sache.
    Dabei ist es ja nicht so, dass sich Menschen im Moment nicht wahnsinnig emotional über Politik unterhalten. Das tun sie nur woanders, als die Wahlkampfteams ihre Bilder posten. In Diskussionen zu Online-Artikeln über Lohnungerechtigkeit müsste sich die Linke einklinken. Bei Online-Protesten gegen Überwachung müsste die FDP sichtbar mitziehen. Und wenn ein Video über Trumps Leugnung des Klimawandels viral geht, müsste das Team der Grünen mitdiskutieren. Und zwar nicht einfach um zu zeigen: "Wir sind hier, uns gibt es!"
    Digitalisierung bedeutet mehr als Hashtags und Tweets
    Das Internet erlaubt ja gerade, sehr konkrete Wahlversprechen oder Verweise auf bisherige Abstimmungen an sehr konkreten Stellen zu posten.
    Man kann jede Zielgruppe ganz individuell und spezifisch mit Inhalten ansprechen, die sie tatsächlich interessieren. Denn je mehr Menschen von einer Botschaft angesprochen werden sollen, desto oberflächlicher muss die Botschaft sein. Deswegen fällt der CDU ja auch nichts Besseres ein als "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Was auch immer das heißt. Und dazu gibt es ja natürlich das Akronym auch als Hashtag #fedidwgugl. Online-Wahlkampf!
    Phrasen sind 2017 ein sehr, sehr stumpfes Schwert. Digitalisierung mitzumachen bedeutet mehr als Hashtags und Tweets und möglichst viel Verbreitung. Dazu gehört auch, konkrete Politik dort anzubieten, wo hilflose Kommentarschreiber nach Lösungen suchen. Dazu gehören viele Wahlkämpfer, die bestehende Diskussionen lesen und echte Lösungen anbieten können.
    Das ist allerdings auch wirklich notwendig beim wachsenden Parteienverdruss.
    Der Graben zwischen Wählern und Gewählten muss durch konkrete Argumente und Handlungen geschlossen werden. Sonst ist Onlinewahlkampf nur die Fortsetzung des Plakatwahlkampfs mit anderen Mitteln.