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Marisa Merz im Met Breuer
Vom Küchentisch ins Museum

Marisa Merz wird als einzige Frau mit der Arte Povera, der "armen Kunst" assoziiert. Jetzt zeigt das Met Breuer in New York ihr Werk aus fünf Jahrzehnten. Kitsch als Berufsrisiko hat sie dabei immer in Kauf genommen.

Von Sacha Verna | 04.02.2017
    Das Met Breuer in New York.
    Das Met Breuer in New York. (dpa/ picture alliance/ Justin Lane)
    Von der Decke in Marisa Merz' Turiner Küche hing jahrelang ein amorphes Objekt aus Aluminium. Dasselbe eröffnet nun mit einem halben Dutzend ähnlichen Gedärmen in Ritterrüstung die grosse Retrospektive auf die italienische Künstlerin im Met Breuer. Die Bedeutung der Küche für diese und für die über 150 übrigen Exponate betont Kurator Ian Alteveer:
    "Ein Teil des frühen Werkes ist Marisa Merz' Leben zuhause entsprungen. Sie schuf es, während sie ihre Tochter Beatrice erzog, die 1960 geboren wurde. Man kann diese Arbeiten "häuslich" nennen, ohne dabei herablassend zu klingen. Sie nahmen im Wohnzimmer, im Esszimmer, am Küchentisch Gestalt an, was ihnen ein spezielles Flair verleiht."
    Man hat das Werk der 1926 geborenen Marisa Merz immer wieder als "weiblich" und eben "häuslich" bezeichnet. Als einzige Frau im losen Kreis der Arte Povera-Künstler musste sie zumal zu Beginn ihrer Karriere vor fünfzig Jahren mit solche stereotypen Projektionen wohl rechnen. Ihre unverwechselbaren Strickarbeiten aus Kupferdraht verlieren dadurch jedoch nicht an Reiz und Eigenart, auch nicht die Engel, Madonnen und Jeanne d’Arcs, die ihre neueren Werke auf Leinwand und Papier bevölkern.
    Wandelbarkeit der Materialen
    Was Marisa Merz' Arbeiten wirklich kennzeichnet, ist die Wandelbarkeit der Materialen. Da sind der Zimmerspringbrunnen aus Bienenwachs und die Geigenform, die langsam von flüssigem Paraffin ausgefüllt wird. Da sind die winzigen Schuhe aus Nylonfäden, wie gemacht für die Lotusfüsse der Frauen im untergegangenen chinesischen Kaiserreich. Schliesslich die Köpfe aus ungebranntem Lehm, die einmal an die Skulpturen von Amedeo Modigliani erinnern und dann wieder an Kartoffeln.
    Alltag und Kreativität, Goldplättchen und Silberspray, monumental und minimal - bei Marisa Merz geht alles ineinander über.
    Ian Ateveer: "Keine Grenze, keine Wertung, vielmehr ein wundervolles Experimentieren."
    Es ist beachtlich, wie treu sich Marisa Merz über so lange Zeit hinweg geblieben ist, ohne zum Fossil zu werden. Kitsch als Berufsrisiko hat sie dabei immer in Kauf genommen. So erinnern manche ihrer grossformatigen Zeichnungen gelegentlich unangenehm an Designs für Duschvorhänge. Solche Ausrutscher sind jedoch selten.
    Großer Einfluss auf junge Künstler
    Kurator Ian Alteveer hat bei der Vorbereitung dieser Ausstellungen mit vielen jungen zeitgenössischen Künstlern gesprochen. Vom bleibenden Einfluss Marisa Merz' sind so unterschiedliche Protagonisten der aktuellen Kunstszene wie die britische Videokünstlerin Tacita Dean und der amerikanische Maler Richard Aldrich überzeugt:
    "Sie sind von Marisa Merz' Vielfältigkeit und Experimentierfreude fasziniert. Sie bewundern ihre Vision und die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Kunst lebt."
    Von dieser Beharrlichkeit der Marisa Merz zeugt Retrospektive - und vom Werk einer Persönlichkeit, das in seiner Originalität über jede Hausfrauenmetaphorik erhaben ist.