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Markttag in Cacao

Sonntagmorgen, zehn Uhr. Noch ist nicht viel los auf dem Wochenmarkt von Cacao. Die meisten Händlerinnen und Händler sitzen etwas gelangweilt hinter ihren Ständen oder bereiten Essen zum Verkauf vor. Hier und da kommt jemand aus dem Dorf vorbei, um ein wenig Gemüse einzukaufen und einen Plausch zu halten.

Von Sven Barske | 13.01.2013
    Es wird noch ein bisschen dauern, bis die ersten Touristen hier aus dem Auto steigen. Anderthalb Stunden braucht man für die Fahrt von der Hauptstadt Cayenne bis hierher, über die breite, gut ausgebaute Straße quer durch den Dschungel. Nach dem Weltraumbahnhof von Kourou und der berüchtigten Teufelsinsel rangiert der Markt von Cacao auf Platz drei der Sehenswürdigkeiten Französisch-Guayanas. Denn es sind Hmong, Angehörige eines Bergvolkes aus Laos in Südasien, die hier nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch laotisches Essen und traditionelle Stickereien anbieten.

    Viele der älteren Bäuerinnen, die hier einen Stand haben, tragen leuchtend bunte Kleidung, die an die Trachten ihrer Heimat erinnert.

    Und trotzdem dürfte mancher Tourist enttäuscht sein. Denn der Markt ist klein. Kaum mehr als 25 Stände drängen sich unter dem Dach zusammen, das die Menschen in der Regenzeit vor Wolkenbrüchen schützt.

    Stong Koujéry ist einer der Händler hier. Der schlanke 31-Jährige steht im T-Shirt hinter einem Holztisch mit karibisch-bunter Wachstuchdecke und bietet Gebäck an. Apfelsinengroße Kugeln mit Sesam zum Beispiel.

    "Wir verkaufen hier traditionelle Kuchen. Hmong-Kuchen. Also, da hätten wir Kokosperlen und Sojakugeln - und eine kleine hausgemachte Spezialiät mit Maracuja. Alles das ist selbstgemacht. Das sind Kuchen, wie man sie in Laos findet. Man findet sie in allen asiatischen Ländern, und wir machen sie auch hier bei uns in Cacao."

    Gekauft werden die exotischen Küchlein nicht nur von Touristen, die mal etwas ganz Anderes probieren möchten. Sondern auch von Dorfbewohnern, für die der Markt hier vor allem ein Treffpunkt ist.

    "Das hier ist eine Art kleiner Versammlung, wo sich alle mal wieder sehen, so wie heute. Es ist auch einfach eine kleine Abwechslung."

    Im Hauptberuf ist Koujéry Bauer, wie die meisten der rund 950 Einwohner des Dorfs. Sie gehören fast alle zur ethnischen Minderheit der Hmong. Insgesamt leben rund 2100 Hmong in Französisch-Guayana. Sie sind Flüchtlinge, die der Vietnamkrieg hierher gebracht hat.

    Die CIA hatte schon in den fünfziger Jahren begonnen, in Laos eine Geheimarmee aufzubauen, die die Aufstandsbewegungen der Region bekämpfen sollte. Rekrutiert wurden die Dschungelkrieger vor allem unter den Bewohnern der unzugänglichen Bergregionen - den Hmong. Die Kämpfer, deren Zahl auf zuletzt rund 10 000 Mann anwuchs, sollten den Nachschub der Vietcong unterbinden, sie sollten abgeschossene US-Piloten retten und die kommunistische Aufstandsbewegung in Laos bekämpfen. Als der Krieg 1975 zu Ende war und die USA abziehen mussten, verließen auch Tausende Hmong das Land und flüchteten ins benachbarte Thailand.

    Viele von ihnen wanderten später nach Nordamerika aus, andere nach Frankreich. Der französische Staat, der während des Indochinakriegs ebenfalls Hmong-Soldaten zur Aufstandsbekämpfung rekrutiert hatte, machte ein Experiment: Er beschloss, eine größere Hmong-Gemeinschaft in seinem Überseedepartement Französisch-Guayana anzusiedeln. Und so stieg im Winter 1977 die erste Gruppe von 45 Hmong in Cayenne aus dem Flugzeug und wurde noch in der Nacht in Armeelastern zu einer ehemaligen Kakaoplantage mitten im Dschungel gebracht: nach Cacao.

    Wir schlendern einige Stände weiter und treffen die 21-jährige Alice, die zusammen mit ihrer Mutter selbstgepressten Saft aus tropischen Früchten anbietet. Mit ihrem Lippen-Pearcing, den kajalgeschminkten Augen und toupierten Haaren unterscheidet sie sich schon äußerlich stark von den älteren Frauen hier, die oft leuchtend bunte Kopftücher und geblümte Kittelblusen tragen. Sie erzählt, dass viele junge Hmong nicht in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen.

    "Die meisten von uns haben keine Lust auf Landwirtschaft. Wir sind lieber wie die modernen Leute, wie die Franzosen. Unser Land gehört zu Frankreich, und wir wollen uns einfach wie Franzosen verhalten. Also einen Beruf haben, ein Büro ... solche Dinge halt."

    Sie selbst ist nur zu Besuch hier. Für ihr Studium ist sie nach Paris gezogen. Viele der Hmong-Jugendlichen gehen nach Europa, wie uns Léon Yang bestätigt. Wir treffen den 26-jährigen Bauern einige Meter weiter an einem Imbissstand, für den er an den Markttagen arbeitet.

    "Ja, das stimmt. Es stimmt, denn man muss Guayana verlassen, wenn man ein interessantes Fach studieren will. Hier gibt es einfach nicht die Strukturen, um bestimmte Berufe zu erlernen. Deshalb muss man nach Kontinentalfrankreich gehen, wenn auch nicht unbedingt nach Paris - manche Leute gehen auch in die Provinz. Und die Chance ist groß, dass die Leute dann nicht wieder zurückkommen. Sie haben schon eine lange Zeit hier mit ihren Eltern und der Landwirtschaft verbracht. Die haben die Landwirtschaft ein bisschen satt. Junge Leute von 18 Jahren wollen oft nicht bloß Bauern sein. Und deshalb kommen sie nicht zurück."

    Die Abwanderung der Jugend führt aber nicht dazu, dass die Dorfgemeinschaft schrumpft oder überaltert.

    "Es gibt eine massive Abwanderung, eine Landflucht unter der Jugend, aber zugleich existiert eine genau entgegengesetzte Bewegung, eine Zuwanderung. Denn es gibt auch sehr viele Leute unter den Hmong, die sich für die Landwirtschaft interessieren. Das sind vor allem Leute, die diesen Beruf schon ausüben, die zum Beispiel aus der Gegend von Nîmes in Frankreich kommen und hier sehr viel höhere Erträge erwarten als dort. Es gibt ebenso viele Menschen, die weggehen, wie Menschen, die neu dazukommen. "

    Doch die ethnische Minderheit der Hmong hat noch andere Spannungen auszuhalten. So ist das Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung nicht immer ungetrübt. Manche Hmong beklagen sich über Ausgrenzung. Die Mehrheitsbevölkerung Französisch-Guayanas sei neidisch wegen des wirtschaftlichen Erfolgs der Hmong-Community. Tatsächlich produzieren die Hmong bis zu 90 Prozent des im Land verkauften Obsts und Gemüses, obwohl sie weniger als ein Prozent der Bevölkerung stellen.

    Viele von ihnen haben es zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Cacao zeugt davon: Große Holzhäuser im asiatischen Stil prägen das Straßenbild, davor parken meist gepflegte Toyota-Pickups.
    Für Léon Yang ist der Neid sogar die größte Schwierigkeit der Hmong in Französisch-Guayana - allerdings der der eigenen Nachbarn:

    "Die größten Probleme, mit denen unser Volk sich schon rumschlägt, solange es existiert, kreisen um Macht und Neid. Und hier in Guayana, wo die meisten von uns demselben Beruf nachgehen, ist der Neid sogar noch viel schlimmer als anderswo. In anderen Ländern ist der Neid nicht so schlimm, auch wenn es ihn gibt. Wenn die Leute nicht denselben Beruf ausüben, gibt es halt keine so direkte Form davon. Aber hier bei uns bietet ein Bauer zum Beispiel ein bestimmtes Gemüse an, und der Bauer gegenüber, der dasselbe Gemüse anbaut, sieht sich sofort als Konkurrent. Und das zerstört allmählich die Gemeinschaft. Leider ist das seit Generationen und Generationen so."

    Es ist ein eher düsteres Bild, das der junge Bauer da vom inneren Zustand der Dorfgemeinschaft zeichnet. Auf dem Markt ist davon wenig zu spüren. Und auch Léon Yang selbst blickt positiv in die Zukunft der Hmong in Französisch-Guayana.

    "Während es einen Exodus von jungen Leuten gibt, die ihre Eltern verlassen, um zu reisen und in anderen Ländern ihre Ausbildung zu machen, gibt es auch Heiraten mit Menschen anderer ethnischer Herkunft. Und zwar mehr und mehr. Wir sind eine Gesellschaft, die ein bisschen blockiert ist. Wir haben Sitten und Gebräuche, die sehr hart und rau sind, zum Beispiel die Morgengabe, bei der der Bräutigam den Eltern der Braut eine hohe Summe Geld bezahlt. Und solche Sachen werden von der jungen Generation nicht mehr gemacht. Heutzutage vergessen wir nach und nach diese Art von Brauch. Die Mischehen machen die Gemeinschaft interessanter. Die Mischung hilft uns voranzukommen. Das ist ja selbst in der Natur so: Das, was sich vermischt, wird widerstandsfähiger. Und deshalb sind wir fast schon gezwungen, uns zu vermischen. Das ist der einzige Weg für uns."