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Marokko
Auf den Spuren des Extremismus

Seit 2011 hat Marokko keinen terroristischen Anschlag mehr erlebt. Unter den Attentätern des sogenannten IS sind jedoch immer wieder Männer aus Marokko zu finden - so auch bei den jüngsten Anschlägen in Spanien. Wie verwurzelt ist religiöser Extremismus in dem nordafrikanischen Königreich?

Von Jens Borchers | 24.08.2017
    Ein Marokkaner geht am Mittwoch (28.03.2007) am Ufer des Flusses Oued Fes in der Medina, der Altstadt der Königsstadt Fes, entlang.
    Blick auf das Armenviertel der marokkanischen Königsstadt Fes. Die marokkanische Regierung versucht u.a. mit Investitionen in den Slums der großen Städte gegen den Extremismus vorzugehen. (dpa / Marijan Murat )
    Abou Hafs war mal berühmt in Marokko. Berühmt als junger, radikaler Salafisten-Prediger. Dieser Abou Hafs hat mittlerweile wieder seinen richtigen Namen angenommen: Mohamed Rafiqui. Und er erzählt, wie er zum religiösen Extremisten wurde.
    Der Vater: religiös sehr konservativ, sehr dominant. Die Freunde: ebenso. Seine Ausbildung bekam der junge Mohamed Rafiqui teilweise in Saudi Arabien. Dort wird der Koran nach wahhabitischer Lehre, also puristisch, fast wörtlich, interpretiert.
    Wahhabismus als Nährboden des so genannten IS
    "Mir wurde immer nur eine Auslegung des Islam beigebracht. Dass es viele weitere Interpretationen gibt, das hatten mir meine Lehrer nie beigebracht. Das habe ich erst viel später gelernt. Und das war ein heftiger Schock."
    Bis zu diesem Schock gehörte Rafiqui zu den Predigern in Marokko, die gegen Ungläubige wetterten und die Terroranschläge vom 11. September begrüßten. Als gerechte Strafe für Ungläubige.
    Der Wahhabismus, diese extrem konservative Lehre, gilt heute als Nährboden des so genannten Islamischen Staates. In den 70er und 80er Jahren kam sie auch nach Marokko. Diese Phase einer Re-Islamisierung spielte sich unter König Hassan II. ab. Er wollte der Linken, die Marokkos Monarchie in Frage stellte, etwas entgegensetzen. Ahmed Assid, Religionsexperte an einem königlichen Institut in Rabat, beschreibt das so:
    "Der Wahhabismus sollte für Ruhe sorgen. Denn der Wahhabismus gründet auf der Idee, dass der Herrscher weiß, was im Interesse der Muslime zu tun ist und dass jeder das zu akzeptieren hat. Sich gegen den Herrscher zu wehren, gilt im Wahhabismus als Verbrechen."
    "Alle Fächer wurden islamisiert"
    Die konservative Interpretation des Islam setzte sich in Marokko fest. In den Schulen, an den Universitäten. Dhriss Khrouz, lange Jahre Direktor der Königlichen Nationalbibliothek in Rabat, erinnert sich an diese Zeit:
    "Vor dem Jahr 2000 wurde keine Philosophie unterrichtet. Man lehrte Sozialwissenschaften. Aber eben Soziologie nach islamischem Verständnis. Geschichte wurde nicht als Weltgeschichte gelehrt, sondern als Geschichte des Islam. Alle Fächer wurden islamisiert."
    Marokko wurde religiös konservativer und autoritärer, sagt Khrouz. Und teilweise radikaler. Salafisten stachelten junge Leute am Rand der Gesellschaft zur Gewalt in Namen des Islams auf. 2003 töteten zwölf Attentäter aus einem Elendsviertel von Casablanca insgesamt 40 Menschen. Das war ein grauenhafter Weckruf für das Königreich Marokko.
    Marokkos Anti-Terrorzentrale
    Seitdem versucht man, gegenzusteuern: Mehr Kontrolle über die Prediger und Imame, mehr Investitionen für das Lumpenproletariat in den Slums der großen Städte.
    2015 wurde die "Zentralstelle für juristische Ermittlungen", BCIJ, gegründet. Sie gilt als marokkanische Anti-Terrorzentrale. Der Chef Abdelhaq Khiame sagt, seit ihrer Gründung habe man 46 terroristische Zellen in Marokko zerschlagen. Und noch eine Zahl nennt Abdelhaq Khiame: 1664 - so viele Marokkaner hätten sich verschiedenen Dschihadistengruppen im Ausland angeschlossen. Die meisten gingen zum IS.
    Rolle von Familie, Schule und Zivilgesellschaft
    Khiame sagt: "Man muss die Ursachen des Radikalismus bekämpfen. Dabei müssen die Familien eine Rolle spielen, die Schule, die Zivilgesellschaft - jeder, weil das eine gemeinsame Herausforderung ist."
    Der ehemalige Salafisten-Prediger Mohamed Rafiqui hat neun Jahre im Gefängnis gesessen. Und schon dort damit begonnen, junge Extremisten vom Salafismus wegzubringen. Er behauptet, das will er auch weiterhin tun.
    "Ich war nahe dran an den Dschihadisten. Ich weiß wie sie denken, welche Motive sie haben, wie sie den Koran für sich nutzen. Heute bin ich bereit diese Erfahrungen zu nutzen, um den Terrorismus zu bekämpfen."