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Marsmännchen

Was zieht Präsident Bush auf den Mars? Dieses Multimilliardenprojekt mit ungewissem Ausgang?

Oliver Ramme | 14.01.2004
    Aus der begrenzten Anzahl von Informationen habe ich drei Extrapolationen geschlossen: 1. sind unsere Freunde vom Mars eine auf Kohlestoff basierende Lebensform. 2. sie atmen Stickstoff und 3. das weitläufige Großhirn hier indiziert telepathische Fähigkeiten.

    Ist es die Suche nach einer höherentwickelten Spezies? Immer wieder hat deshalb die Menschheit den Mars im Auge. Als einer der Anfänge – 1877 - steht ein verklärter Blick durchs Teleskop. Künstlich angelegte Gräben, will der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli auf dem benachbarten Planeten entdeckt haben. Dem Wassermangel sind die hochentwickelten Marsianer mit einem ausgeklügelten Kanalsystem entgegengetreten. So viel geballte Intelligenz auf dem Mars – das erkannte bereits der deutsche Schriftsteller und Philosoph Kurd Lasswitz – würde auf der Erde seines gleichen suchen: Den Deutschen nämlich und seine Sprache.

    Was aber die schnellere Erlernung desselben hauptsächlich bewirkte, war der Umstand, dass das Deutsche als Sprache eines hochentwickelten Kulturvolkes dem geistigen Niveau der Martier soviel näher stand.

    Auf zwei Planeten von Kurd Lasswitz ist der wohl erste deutschen Science-Fiction-Roman. Nur, diese wilhelminisch - marsianische Ehrerbietung war von kurzer Dauer. Die USA und Russland sollten den Deutschen den Rang auf dem Mars ablaufen. Der Ton wurde damit rauer. Marsianer waren nicht mehr Vorbild, sondern Gegner.
    H.G.Wells ließ in "Krieg der Welten" anno 1898 die Erde und ihre Bewohner an den Abgrunde gleiten. Ungeheure, kalte und unheimliche Marsianer von grauenvolle Hässlichkeit saugten am Blut der Menschheit. Doch, hinter dem Gemetzel steckte nach Wells Ansicht eine humanistische Botschaft:

    Die bloße Vorstellung dieses Vorgangs erscheint uns ohne Zweifel grauenhaft und abstoßend, aber wir sollten uns, denke ich, zugleich erinnern, wie widerwärtig unsere fleischfressenden Gewohnheiten einem vernunftbegabten Kaninchen erscheinen würden.

    40 Jahre später versetzt Orson Welles seine amerikanischen Landsleute in Angst und Schrecken. Seine Hörspielfassung von "Krieg der Welten" lässt keine Gnade zu. Die Menschheit wird von den Marsianern ausgelöscht. 1938 – es ist der Vorabend des zweiten Weltkriegs.

    Auch Russische Schriftsteller bemühten sich um den Mars. Anfang des 20. Jahrhunderts entwirft Aleksandr Bogdanov auf dem roten Planeten eine klassenlose Gesellschaft – das Buch heißt Roter Stern . So weit ist Aleksej Tolsoij in seinem Roman Aelita noch nicht. Auf dem Mars herrscht ein totalitäres Regime. An Bord der sowjetischen Marsmission befindet sich glücklicherweise Rotarmist Gussew. Er zettelt – auf dem roten Planeten angekommen – eine Revolution an.

    Marsgespinste als Spiegel der Zeit. Beeinflusst von den Erfahrungen des 2.Weltkriegs, der Zensur, Rassismus und dem kalten Krieg erscheinen 1950 Ray Bradburys "Marschroniken".

    Ich meine, sie haben doch jeden Tag mehr Rechte gekriegt. Was wollen sie also? Die Pro-Kopfsteuer gibt’s nicht mehr, und immer mehr Staaten verabschieden Anti-Lynch-Gesetze, und überall Gleichberechtigung. Sie verdienen fast so gut wie die Weißen – und trotzdem ziehen sie ab!

    Der Mars ist Projektion bei Bradbury. Jeder andere Planet könnte für die Sorgen der Menschheit herhalten. Genau so in Isaac Asimovs The Martian Way . Siedler auf dem Mars werden von der Wasserversorgung der Erde abgeschnitten. Ein demagogischer Politiker zeichnet dafür verantwortlich. Anfang der 50er Jahre erscheint "The Martian Way" – es ist die Zeit der McCarthy Ära.
    Heute finden um den Mars keine ideologischen Grabenkämpfe mehr statt. Viele Rätsel sind gelöst. Auf dem Nachbarplaneten werden allenfalls Bakterien vermutet und gefrorenes Wasser. Sicher keine Brutstätte des internationalen Terrorismus. Was also reizt Bush? Die Episode, die jetzt aufgeschlagen wird, heißt nicht mehr und nicht weniger als: Wahlkampf 2004.