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Marstall München
Eine "Madame Bovary" von heute?

Der Münchner Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier hält Flauberts "Madame Bovary“ in Ehren. Er wollte den Roman unbedingt auf die Bühne bringen. Einfach umgeschrieben hat Ostermaier das Werk von Flaubert nicht - er hat es umgestaltet.

Von Sven Ricklefs | 22.11.2014
    Das Bild ist zunächst einmal durchaus imponierend. Da steht ein rechteckiges weißes Podest im hohen nackten geklinkerten Münchner Marstall, begrenzt im Eck nur von einer ebenso rechteckigen weißen Wand. Und auf dem Podest, da kann sich ein etwas kleineres weißes Rechteck drehen, sodass immer mal wieder ein Abgrund frei wird, aus dem wahlweise Figuren auf- oder abtreten können. Und oben, sich drehend, da steht sie, im blasblau-seidenen Morgenmantel: Emma Bovary, die Frau, die sich zunächst mithilfe billiger Romane und später mit handfesten Affären und exzessivem Konsum aus der Banalität ihrer Landarztehe hinfort träumt, um sich zum Schluss im Konkurs ihres Lebens mit Arsen einen ebenso unangenehmen wie höchst theatralen Tod zu inszenieren. Gustave Flaubert musste sich einst für Madame Bovary vor Gericht verantworten, sprengte er doch mit diesem Roman die engen Grenzen der französischen Gesellschaft des 19.ten Jahrhunderts:
    "Verbiete ihr die schrecklichen Romane, verschreibe ihr Bescheidenheit. Mach ihr ein Kind einen Sohn, sorge dafür, dass sie sich beschäftigt. Handarbeit.
    Aber sie beschäftigt sich doch.
    Aha, sie beschäftigt sich. Womit denn. Schlechte Bücher. Du musst ihr das Romanlesen verbieten.
    Sie liebt das Lesen.
    Sie soll dich lieben. Und dir deine Wünsche von den Lippen lesen. Das reicht. Sie soll die Bibel lesen." (25)
    Das Bild also ist zunächst einmal stark und passt in seinem Fluss auch zu dem - allerdings nicht ganz neuen - dramaturgischen Kunstgriff, den der Münchner Autor Albert Ostermaier für seine Auftragsbearbeitung des Jahrhundertromans gewählt hat: das Ende der Bovary, ihr jämmerliches Sterben und der Flash, der dabei entsteht und mit dem ihr Leben in Momentaufnahmen noch einmal an ihr vorüberzieht, dieses Ende ist zugleich der Ausgangspunkt des Stückes. Und so klettern im Münchner Marstall die Männer ihres Lebens wie Lemuren unter Bovary hervor, und sie, sie träumt sich noch einmal in die jeweiligen Situationen hinein.
    Ostermaier beweist sicheres Gespür
    Doch so wuchtig sich auch Mateja Koležnik ihre Bildidee für Albert Ostermaiers "Bovary" gedacht hat, so schnell bekommt man dann doch die sich zu jeder Gelegenheit drehende Plattform über, zumal deren Kreisen wohl weniger dramaturgischen als dekorativen Charakter hat. Ohnehin entpuppt sich das Theater der slowenischen Regisseurin als in seiner Denkungsart höchst dekorativ und letztlich konventionell. Das zeigt sich nicht nur in dem vor sich hin wabernden Soundtrack, sondern, das zeigt sich insbesondere auch in der Darstellung der Emma Bovary durch Sophie von Kessel, die dieser durchaus schillernden Figur nicht viel mehr abgewinnen darf, als die Klischees einer manisch depressiven Antiheldin zwischen Haare raufen, Schwerem Atmen und weit aufgerissenen Augen:
    "Mein Herz ist so voll, so vollgesaugt mit allem, mir schwindelt andauernd, so erregt es mich, und ich fühle mich wie all die Liebenden in meinen Romanen, als wäre ich selbst in einem Buch." (18)
    Die Tagträumerei mit der Emma Bovary ihr gesamtes Leben in Fiktion verwandeln möchte, das ist es, was Albert Ostermaier nach eigenen Worten an der berühmten Romanfigur interessiert hat - auch für eine Gegenwart. Mit durchaus sicherem Gespür hat er die markantesten Stellen des Romans herausgelöst und in den Fluss seiner Rückblende montiert, sodass die Aufführung nun nicht länger als 90 Minuten dauert. Dass ihm dabei manches sprachlich allzu blumig geraten ist, würde man wahrscheinlich in einer anderen Inszenierung verzeihen. Dieser Münchner Uraufführung allerdings verzeiht man vor allem eines nicht, dass sie eine Binsenweisheit ignoriert hat, die da heißt: Wer von Langeweile erzählt darf vor allem eines nicht: selbst langweilig sein.