Donnerstag, 28. März 2024

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Martin Opitz
Der Vater der deutschen Poetik

Mit seinem 1624 erschienenen "Buch von der Deutschen Poeterey" hat Martin Opitz Geschichte geschrieben. Viele der von ihm darin aufgestellten Regeln sind heute noch gültig. Vor 375 Jahren, am 20. August 1639, starb er an einer Pesterkrankung.

Von Christian Linder | 20.08.2014
    Ein Tagebuch des deutschen Wanderpredigers Gustaf Nagel (1874-1952).
    Opitz prägte das Verständnis von der deutschen Sprache. (picture-alliance/ dpa / Jens Wolf)
    "Von Leibe zwar nicht groß / doch groß genug von Sinn."
    Klein gewachsen und sich selbst auch als hässlich empfindend, hat Martin Opitz tatsächlich Großes geleistet. In einer Epoche, in der nach seiner Wahrnehmung die meisten ihre Zeit durch
    "Fressereien, Brettspiel, unnütze Geschwätze, Verleumdung ehrlicher Leute und sonderlich die lustige Überrechnung des Vermögens hinbringen",
    setzte er auf eine Aufklärung durch Literatur und erfand zu diesem Zweck eine Poetik, die zum ersten Mal allgemeine Regeln für die Verwendung der deutschen Sprache festlegte. Das schmale "Buch von der Deutschen Poeterey" ist 1624 in Breslau erschienen.
    "Was bißanhero von einem vnnd dem andern / auch vornemen Leuten / zum offteren an mich ist begehret worden / das ich nemlich von vnserer Deutschen Poeterey / derselben art vnd zuegehör / etwas richtiges auffsetzen möchte / habe ich vorwichene tage zue wercke gebracht."
    Poetikwerk im Alter von 26 Jahren
    Zu Werke gebracht hatte Opitz seine Poetik im Alter von 26 Jahren in nur fünf Tagen. Als er knapp 15 Jahre nach ihrer Veröffentlichung am 20. August 1639 in Danzig an den Folgen einer Pest-Erkrankung starb, verneigte sich Deutschland an seinem Grab und rief ihm in einem dem barocken Zeitalter gemäßen Pathos nach:
    "Du Pindar, du Homer, du Maro unserer Zeiten."
    Autoren wie Homer und Pindar, die das Publikum bis dahin vorwiegend aus lateinischen Textfassungen kannte, hatte Opitz als Übersetzer seinen Zeitgenossen zum ersten Mal in deutscher Sprache nahe gebracht.
    Mit der nachgelieferten Poetik ersetzte er das Lateinische als gängige Amtssprache in Wissenschaft und Kultur auch in der Theorie und eröffnete seinen Zeitgenossen den Sinn für die Schönheit des Deutschen – neben Martin Luther, dessen erstmals verwendete kräftige Alltagsprache innerhalb der offiziellen Religion das Lateinische ebenfalls abgelöst und eine Revolution bewirkt hatte, schrieb sich Opitz durch seine Poetik als "Vater der deutschen Poesie" in die Literaturgeschichte ein.
    Viele seiner entwickelten Regeln zum Beispiel hinsichtlich einer "natürlichen" Bildung und Stellung von Wörtern innerhalb eines Satzes oder der "Reinheit" und "Festigkeit" eines Ausdrucks und seines "Wohlklangs" im Zusammenhang seiner "Tonmalerei" sind heute noch gültig.
    Heute noch gültige Analysen
    Noch die feinsten Unterschiede arbeitete er heraus, so, wenn er darauf hinwies, dass im Deutschen im Gegensatz zu den romanischen Sprachen ein "regelmäßiger Wechsel von betonten und unbetonten Silben" verlangt sei:
    "Dass wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen / welche sylbe hoch und welche niedrig gesetzt werden soll."
    Opitz wusste, was er tat:
    "Durch mich wird jetzt das thun in Deutschland auffgebracht / Das künfftig trotzen kann der schönsten Sprachen pracht."
    Seine Einsichten versuchte Opitz auch in einer eigenen Literatur anzuwenden. Aber er lebte und lehrte in schwierigen Zeiten: Geboren einen Tag vor Heiligabend 1597 in Bunzlau in Niederschlesien, fing er zu Beginn des 30-jährigen Krieges an zu schreiben – "Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Krieges".
    "Das Volk ist hin und her geflohn mit hellem Haufen ... / Der Mann hat seine Frau beweint, die Frau den Mann, / Und was ich weiter nicht aus Wehmut sagen kann."
    Auch Opitz war während des 30-jährigen Krieges, dessen Ende er nicht erlebte, ständig auf der Flucht: Von Heidelberg aus, wo er Jura studiert und nebenbei Studentenlieder geschrieben hatte, reiste er kreuz und quer durch Deutschland und halb Europa und verdiente seinen Lebensunterhalt in den durch die konfessionelle Spaltung Deutschlands mitbestimmten Wirren der Zeit im diplomatischen Dienst am zahlreichen Orten unter verschiedenen Landesherren. Das Schreiben hat er darüber nie vernachlässigt. Er begründete die sogenannte Schäfer-Literatur, hatte das Motiv des einfachen Landlebens allerdings aus der alten römischen Literatur bloß adaptiert. Auch die in leichtem Ton hingeschriebene geistliche und weltliche Lyrik ließ die antiken Vorbilder immer erkennen.
    Mit Ausnahme des "Buchs von der Deutschen Poeterey" ist Opitz' eigene Literatur heute so gut wie vergessen. Die ihm als Schriftsteller folgten, Gryphius, Wieland, Lessing, Schiller und Goethe, wussten allerdings, dass Opitz ihnen und dem folgenden Zeitalter der Aufklärung als "Impresario allergrößten Stils" mit den Weg bereitet hatte.