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Martin Schulz: Im Euro ist es hart, außerhalb des Euros wird es härter werden

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat vor einem Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone gewarnt. Im Deutschlandfunk sagte Schulz, dieser Schritt wäre riskant. Die Wirtschaft des Landes würde innerhalb von Tagen zusammenbrechen und die Europäische Union müsste weitere Milliarden zur Verfügung stellen.

Martin Schulz im Gespräch mit Dirk Müller | 18.05.2012
    Dirk Müller: Immerhin, nicht immer ist alles unklar und ungeklärt in Griechenland: Die nächsten Neuwahlen stehen seit gestern fest, Mitte Juni werden die Griechen erneut an die Wahlurnen gerufen in der Hoffnung, diesmal für klare Machtverhältnisse zu sorgen. Und die Europäische Union hofft dabei auf noch viel mehr, dass die Wähler die Parteien stärken, die jahrzehntelang für das Land Verantwortung getragen haben, für die Krise verantwortlich, weil genau diese Parteien bereit sind, die Spielregeln der Eurozone offiziell zumindest zu akzeptieren. Hunderte von Milliarden Euro stehen auf dem Spiel, falls Athen rausgeht aus der gemeinsamen Währung - ein Szenario, das längst nicht mehr ausschließlich als Schreckensszenario bei allen gilt. Martin Schulz, SPD, Präsident des Europäischen Parlaments, will Griechenland nach wie vor helfen. Er ist zu Gesprächen nach Athen gereist, dort erreichen wir ihn nun. Guten Morgen!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Schulz, wann schreiben Sie Griechenland ab?

    Schulz: Ich bin ja hier, um genau das Gegenteil zu tun, um dafür zu sorgen, dass die Vereinbarungen ... oder mit zu sorgen, dass die Vereinbarungen, die getroffen worden sind zwischen der Europäischen Union, dem Internationalen Währungsfonds und Griechenland, dass die Maßnahmen zur Sanierung des griechischen Haushalts, zum Abbau der Staatsschulden, dass die eingehalten werden, und den Griechen zu sagen, ihr habt jetzt zwei Jahre wirklich schon Opfer gebracht, brecht jetzt nicht den Weg eurerseits mitten in der Phase, in der es zum ersten Mal in der EU ja auch zu konkreten Überlegungen zu wachstumsstimulierenden Maßnahmen kommen soll, brecht nicht genau da, wo wir die Wende erreichen können, ab! Und umgekehrt, für uns in der Europäischen Union: Ich halte die ganze Spekulation, dass Griechenland abzuschreiben ist, für nicht ungefährlich, das ist heute Griechenland, morgen Portugal, übermorgen Spanien, dann Italien. Man sollte sich keine Illusionen machen: Es gibt genug Leute, deren Geld, deren Wetten auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone ja Zinsen bringen soll, und die warten nur auf solche Schritte. Also, wir sind gut beraten, den Versuch zu unternehmen, beidseitig Vernunft walten zu lassen.

    Müller: Es gibt ja, Herr Schulz, nun auch die politische Option der Drohung. Denn viele sagen ja nun, es ist inzwischen so absurd, dass - Sie machen das ja im Grunde jetzt auch - die EU als Bittsteller in Athen auftritt, um die Athener, um die Griechen zu bitten, das einzulösen, was wir von ihnen wollen beziehungsweise was wir wollen, damit wir ihnen helfen können!

    Schulz: Als Bittsteller trete zumindest ich hier nicht auf, sondern ich bin hierhergekommen, um der EU und ihrer Politik ein Gesicht zu geben. Es gibt auch Psychologie, die in der Politik und in der Wirtschaft eine große Rolle spielt, und zunächst mal bemängele ich seit geraumer Zeit, dass niemand hierher reist. Für die meisten Griechen ist die Troika der EU oder die sogenannte Taskforce zum Aufbau des Landes eine anonyme Einheit ohne Gesicht, Beamte, die hierher reisen, die keiner kennt, die aber über das Schicksal der Leute entscheiden. Das finde ich falsch. Ich finde, die EU muss Gesicht zeigen, muss herkommen und sagen, ich bin der oder ich bin die, ich bin verantwortlich für diese oder jene Entscheidung und ich sage euch jetzt, warum wir sie so treffen, wie wir sie treffen. Das ist der erste Punkt. Und Bittsteller: Ich trete hier nicht als Bittsteller auf, sondern sage: Es gibt nichts neu zu verhandeln, aber wir wollen euch in der Eurozone halten, haltet durch! Im Gegenteil, meine Botschaft heute ist, diejenigen - an die griechischen Wählerinnen und Wähler, denn am 17. Juni wird ja gewählt -, diejenigen, die euch erzählen, wir brauchen nichts zurückzuzahlen, wir brauchen nichts zu sanieren, die Europäer, die zahlen schon weiter, die führen euch ins Desaster! Also ...

    Müller: Das heißt ...

    Schulz: ... bin ich hier nicht als Bittsteller, sondern schon als jemand, der versucht, im offenen Dialog auch unbequeme Themen anzusprechen.

    Müller: Herr Schulze, das heißt aber auch ja umgekehrt, dass wir große Schwierigkeiten haben, das Wählervotum der Griechen zu akzeptieren. Die Griechen, zugegebenermaßen, haben es auch selbst, diese Schwierigkeiten, das zu akzeptieren, aber die Europäer wissen mal wieder besser, was für die Griechen gut ist, nur die Griechen wissen es nicht besser.

    Schulz: Das sehe ich auch bei dieser Frage anders. Sehen Sie, wir sitzen alle in einem Boot, es werden hier seit geraumer Zeit Gelder hingebracht. Es sind schon enorme Summen aus unserem Land, aus Deutschland hierhergeflossen. Ich will nicht, dass die unwiederbringlich abgeschrieben werden, sondern dass das, was wir bisher investiert haben, auch seine Früchte trägt. Also, das wird natürlich alles stattfinden, im Rahmen der vollen Souveränität des griechischen Volkes. Wenn sich die Griechen mehrheitlich am Ende für Parteien entscheiden werden, die sagen, nein, wir machen Schluss, dann werden wir damit leben müssen, damit umgehen müssen. Aber sie wollen sicherlich nicht von mir umgekehrt hören, dass ich als Präsident eines Parlaments, in dem auch etliche griechische Abgeordnete sitzen, mit denen ich jeden Tag über ihre Rolle in der EU und über die Rolle der EU in deren Land diskutiere, dass ich denen nicht meine Position sage. Die sagen mir ja auch ihre. Also, wir leben in Europa längst in einer europäischen Innenpolitik, sonst würden wir uns nicht, Sie und ich, über griechische Wahlen am 17. Juni unterhalten. Und in dieser Innenpolitik ist es nicht nur das gute Recht, sondern auch die Pflicht eines jeden zu sagen, was er denkt.

    Müller: Aber es sind ja zwei Innenpolitiken, wenn man das so formulieren will, Herr Schulz. Also, wir hatten ja einmal die Eurozone und wir haben die anderen europäischen Länder. Keiner bestreitet ja die Existenzberechtigung Griechenlands innerhalb der Europäischen Union, es geht ja um die Eurozone. Aber damit verbunden noch einmal die Frage: Wenn man - und in Demokratien haben wir in den vergangenen Monaten ja im Diskurs gelernt, dass es immer Alternativen in den Demokratien gibt -, wenn man diese Alternative Rauswurf, Rausschmiss oder Ausscheiden aus der Eurozone definitiv ausschließt, wie Sie das zum Beispiel tun, dann hat die Politik doch weniger Handlungsmöglichkeiten?

    Schulz: Bin ich jetzt über Ihre Frage sehr erstaunt! Ich dachte, ich hätte mich präzise genug ausgedrückt, das liegt sicher an mir, deshalb versuche ich es noch mal: Ich habe nicht gesagt, dass ein Ausschluss oder ein Austritt aus der Eurozone alternativlos ist, also ein ewiger Verbleib in der Eurozone, im Gegenteil. Ich habe ...

    Müller: ... also gibt es die Option, es gibt die Option des Ausschlusses?

    Schulz: Ich hatte in meiner vorausgegangenen Antwort auf Ihre Frage schon einmal gesagt: Wenn es in diesem Land Parteien gibt, die den Griechen erzählen, wir können das alles auch anders machen, wir treten aus oder wir zahlen nicht mehr, dann muss man mit denen darüber reden, was das bedeutet, für sie bedeutet und für uns bedeutet. Und das ist das, was ich zurzeit tue. Ich habe nicht gesagt, dass diese Alternative nicht existiert. Ich sage nur: Ich halte sie für risikoreich und beschreibe deshalb in dem, was ich hier in meiner Rede heute sagen werde, diese Szenarien, nämlich das Szenario, dass ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone - oder ein Ausschluss, ich weiß zwar nicht, wie das rechtlich funktionieren soll, weder das eine, noch das andere ist auf der Grundlage der geltenden EU-Verträge so einfach möglich, aber nehmen wir mal an, es käme so -, wird Griechenlands Wirtschaft binnen weniger Tage nach meinem Dafürhalten zusammenbrechen. Dann werden wir wahrscheinlich als Europäische Union Milliarden Hilfszahlungen leisten, denn wir werden sicher nicht zulassen, dass dieses Land völlig zusammenbricht. Was übrigens auch wahrscheinlich schwere Auswirkungen auf unsere Bankensysteme hätte und zur sofortigen Destabilisierung europäischer Banken führen würde. Also, wir drehen uns da ein bisschen im Kreis. Und man kann in den warmen Stuben von irgendwelchen Forschungsinstituten Szenarien beschreiben, wenn man selbst nach Feierabend gemütlich nach Hause gehen kann, das sieht dann in der rauen politischen Wirklichkeit etwas anders aus. Und deshalb: Die Worst-Case-Szenarien beschreiben ist eine Sache, sie zu vermeiden ist eine andere Sache. Und das empfinde ich, meinen Beitrag dazu zu leisten, das empfinde ich als meine Aufgabe.

    Müller: Herr Schulz, es gibt aber auch - Sie haben das jetzt so beschrieben auf der einen Seite -, es gibt aber auch definitiv die andere Seite: Seit Monaten bekommen wir nur - die Politik, die Medien, die Öffentlichkeit - Hiobsbotschaften aus Athen. Niemand sieht so wirklich, dass sich dort etwas bewegt, diese Neuwahl, die es gegeben hat vor anderthalb Wochen, war ein weiterer Rückschlag, keiner weiß, wie die nächsten Neuwahlen ausgehen werden. Und diese Krise, die die Griechen ausgelöst haben, wird immer mehr zur Krise der gesamten Eurozone. Ist dieser Schaden nicht längst viel, viel größer, als der Schaden, wenn Griechenland geht?

    Schulz: Also, wenn ich diese Auffassung vertreten würde, die Sie da in Ihrer Frage vertreten, dann wäre ich sicher nicht hier. Deshalb ist meine Antwort auf Ihre Frage noch einmal ziemlich klar: Ich sehe die enormen Risiken, die durch die Entwicklung in Griechenland entstehen, für Griechenland, und ich sehe sie für die Eurozone. Ich sage deshalb noch einmal: Das Faktum, dass Griechenland möglicherweise nicht im Euro zu halten ist oder von sich aus rausgehen will, ist für mich im Gegenteil eben zu vielen, die das als Ende einer negativen Entwicklung sehen, möglicherweise der Beginn einer noch negativeren Entwicklung, nämlich einer Entwicklung, in der sichtbar wird: Man kann die Eurozone spalten. Und dann werden Sie möglicherweise ganz schnell das nächste Problem, nämlich Portugal und danach Spanien bekommen. Also. Ich glaube übrigens auch nicht, dass es nur negative Botschaften gibt. Ich las gestern zum Beispiel in der "Financial Times", dass zum ersten Mal es offensichtlich wieder Indikatoren für ein leichtes Wachstum in der griechischen Wirtschaft gibt. Ich habe eben mit dem deutschen Botschafter gesprochen, der mir gesagt hat, dass es zum ersten Mal auch offensichtlich eine Ausbalancierung zwischen Importen und Exporten gibt. Es gibt - auf sehr niedrigem Niveau, zugegebenermaßen - erste Indikatoren für eine leichte Erholung der Wirtschaft. Also, man müsste sich das genauer anschauen, bevor man eine Entscheidung trifft, die möglicherweise von historischer Dimension ist und in eine sehr negative Richtung gehen kann. Mein Eindruck ist: Es ist noch nicht alles unternommen worden, um beide Seiten doch noch zum Erfolg zu bringen, den Euro insgesamt und Griechenland in seiner Bereitschaft, seine Hausaufgaben zu machen.

    Müller: Martin Schulz, werden Sie jetzt Gelegenheit haben, auch mit der Linkspartei zu reden?

    Schulz: Habe ich, ich werde den Führer der Linkspartei heute treffen.

    Müller: Und klare Worte finden?

    Schulz: Ach ... Ich ... Wir beide sind uns, glaube ich, noch nicht so oft begegnet, Herr Müller, aber einen Vorwurf, den musste ich mir in meinem Leben bis dato nicht machen lassen, nämlich, dass ich unklar reden würde.

    Müller: Aber Sie sind ja jetzt Parlamentspräsident, das heißt, Sie haben jetzt Gesamtverantwortung.

    Schulz: Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich in dem Gespräch, das wir beide führen, den Eindruck hätte geben können, ich sei nicht klar genug. Natürlich werde ich Herrn Tsipras klar sagen, was ich denke, nämlich das, was ich Ihnen eben in der Antwort auf eine vorhergehende Frage gesagt habe: Diejenigen, die den Griechen erzählen, alles easy, wir brauchen nichts zu zahlen, wir brauchen nichts zu reformieren, erzählen den Menschen in Wirklichkeit den Weg ins Desaster. Und das werde ich auch in Klarheit so sagen.

    Müller: Und es ist auch klar für Sie, ich meine, wir für uns alle, die wir uns damit beschäftigen oder dafür interessieren: Sie müssen im Grunde versuchen, ihn umzustimmen?

    Schulz: Nein, das glaube ich nicht, dass man Herrn Tsipras umstimmen kann. Das ist auch, Herr Müller, ein Stück von dem, was Sie eben in einer anderen Frage beschrieben haben: Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe von Politikern aus anderen Ländern oder Europapolitikern, Politiker Griechenlands umzustimmen, sondern ich glaube, ich muss meine Meinung sagen, meine Position vertreten. Und ich haben nicht den Eindruck, dass meine Aufgabe ist, jetzt Herrn Tsipras umzustimmen. Ich wende mich übrigens auch gar nicht so sehr bei meinem Besuch hier an die Führer der Parlamentsparteien. Ich werde hier heute Rentnerinnen und Rentner treffen, Studentinnen und Studenten treffen. Ich wende mich in einer öffentlichen Rede an jeden, der dahinkommen will, der da eingeladen ist. Und ich glaube, man muss nicht den Dialog mit Taktikern im Parlament führen, sondern mit den direkt betroffenen Menschen. Ich bin ziemlich sicher, wenn man diese Dialogform wählt, wird man möglicherweise viel mehr Leute davon überzeugen, dass taktische Spiele das Land mehr in die Krise führen als die wirklich harten Maßnahmen. Ich will den Leuten hier sagen, im Euro ist es hart und wird noch hart bleiben, außerhalb des Euros wird es härter werden!

    Müller: Live aus Athen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, SPD. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Schulz: Danke Ihnen, Herr Müller, Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.