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Martinshorn
Von der Kavallerie-Trompete zum Tatütata

Erst Jagdhörner und Trompeten für Reitertruppen, dann Autohupen und schließlich Signalhörner für Feuerwehr und Polizei: Die Deutsche Signalinstrumentenfabrik Martin entwickelte ihre Produkte stetig weiter - bis das Martinshorn geboren war.

Von Anke Petermann | 05.01.2018
    Martinshorn mit Blaulicht auf einem Einsatzfahrzeug der Feuerwehr Themenbild, Symbolbild, Blaulicht, Martinshorn, Feuerwehr, 05.10.17 Solingen
    Pressluftbetriebene "Martinshörner" werden bei der Philippsburger Signal-Instrumenten-Fabrik Martin im Schallschutzkasten auf ihren charakteristischen Akkord gestimmt (imago / Deutzmann)
    "Tatütata" nennt der Volksmund die genormte Tonfolge A1, A1 - D2, D2. Das Unverwechselbare: Sie geht durch Mark und Bein.
    "Das ist dieser Tremolo-Effekt, den wir erzeugen", erklärt Martin Brender.
    Die Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik führt er gemeinsam mit seiner Frau Viola, gebürtige Martin und Urenkelin des Gründers. Wie das Martinshorn die durchdringenden Töne hervorbringt:
    "Wir haben Membran-Schallbecher, das kommt auch aus dem Musikinstrumenten-Bereich heraus, wurde dann weiterentwickelt von einer Trompetenform zum Membran-Schallbecher. Und wenn Sie Volumen haben, sprich einen Schallbecher, können sie einen Ton viel besser formen."
    Von der Trompete zum Martinshorn
    Mit Jagdhörnern und Kavallerie-Trompeten hatte die Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik im sächsischen Markneukirchen 1880 angefangen. In der frühen Auto-Ära kamen Hupen und Feuerwehrhörner hinzu. Damit, dass ihr Betrieb in der DDR ein "volkseigener" werden sollte, fand sich die Unternehmer-Familie Martin nicht ab. Im Zuge der Enteignung wanderte sie 1952 aus dem vogtländischen "Musikwinkel" ins badische Philippsburg aus und baute dort die Fabrik wieder auf. Immer noch ergeben vier Schallbecher unterschiedlicher Länge das unverwechselbare Spektrum an Ober- und Untertönen des Martin-Horns, durchdringender als alle anderen Signalanlagen auf dem Markt.
    Hightech und Handarbeit
    In der kleinen Fabrikhalle aus den Fünfzigern stehen modernste computergestützte Stanz-, Dreh und Fräsmaschinen dicht an dicht. Industriemechaniker fertigen hier unter anderem das Martinshorn - samt den Motoren, die seit fast hundert Jahren dazu gehören. 2014 wurden sie bei gleicher Leistung um 40 Prozent verkleinert. Neben der CNC-Technik gibt es aber auch Handarbeit in der immer wieder erweiterten Philippsburger Produktion. Zubehörteile und Musikinstrumente wie Ballhupen werden manuell gelötet.
    Wie eine Ronde, also ein rundes Messingteil an einer hydraulischen CNC-Drückbank im neuen Hallenanbau zu einem Schallbecher geformt wird, demonstriert Dimitri Hörner. Er öffnet die Scheibe an der schrankartigen, neuen Maschine und holt einen fertigen klangprägenden Metalltrichter heraus.
    "So praktisch zum nächsten Schritt, zum Schleifen und Vernickeln."
    Vernickelt werden die Martinshörner in einem benachbarten Galvanikbetrieb. Danach gehen sie ins Akustiklabor zum Justieren und Testen. Und zwar in einem schalldichten Kasten mit Messinstrumenten für Lautstärke und Frequenz.
    Verschiedene Tonfolgen für die ganze Welt
    Das Martinshorn wird in unterschiedlichen Tonfolgen in die Welt geliefert: Cis und Gis für die Schweiz, A - H für Belgien, Fis - H für die Niederlande. Das deutsche "Tatütata" dauert drei Sekunden, anderswo länger. Allen Befürchtungen zum Trotz blieb das altertümlich anmutende Tremolo des Horns konkurrenzfähig gegen die Vielfalt elektronischer Signaltöne. Teilweise wird beides kombiniert. Große Kreuzungen mit tosendem Verkehr, schalldichte Autos mit soundstarken Stereo-Anlagen - da dringt nur das donnernd trompetende Martinshorn mit seinen 126 Dezibel durch. Kostenpunkt: ab tausend Euro aufwärts. Eine Schneeschutzkappe aus Metall sitzt auf dem Schallbecher und schützt die Kunststoffmembran gegen Feuchtigkeit.
    Aus Konkurrenten wurden Kunden
    Die Produzenten elektronischer Signale wie den Automobilzulieferer Hella im westfälischen Lippstadt zählt Martin Brender anders als vor 15 Jahren nicht mehr zu den direkten Konkurrenten.
    "Das sind heute unsere besten Kunden, denn sie beziehen von uns die Martin-Horn-Anlage und verbauen sie in ihrem Balken."
    Der Balken auf den Einsatzfahrzeugen, der dann auch die Leuchtsignale trägt. Der Umsatz seiner Fabrik mit knapp über 40 Mitarbeitern wachse stetig, bewege sich am Ende der zweistelligen Millionenhöhe. Mehr gibt Geschäftsführer Brender nicht preis.
    Terrorbedrohung sorgt für Absatz bei Signalanlagen
    Die Terrorbedrohung führe dazu, dass Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste ihre Ausrüstung einschließlich der Signalanlagen laufend akribisch nachbessern, das macht einen Teil des Wachstums aus.
    "Und wir haben natürlich immer mehr Kunden auch im Ausland. Wir haben einen Exportanteil von 40 Prozent. Egal, ob das die ganze EU-Osterweiterung ist, die ganzen Staaten, die dazu gekommen sind. Das geht bis Mittel- und Südamerika, Russland. Also, es ist schon enorm, was wir in den vergangenen Jahren an Export dazu gewonnen haben."
    Wenige Prozent des Umsatzes entfallen auf das Musikinstrumenten-Geschäft der Firmengründer: Martin-Trompeten, auch Schalmeien genannt, und Ballhupen. Mehr als zehn Prozent auf Signalinstrumente für Schiffe, Bahnen, Golfplätze, Wach-, Sicherungs- und Kontrolldienste. Umsatzspitzenreiter mit 85 Prozent sind und bleiben die akustischen Signalanlagen mit dem Kernprodukt Martin-Horn.
    Dem Weltmarktführer geht die Pressluft nicht aus
    Da ist das Familienunternehmen in vierter Generation Weltmarktführer, erwähnt Martin Brender ganz nebenbei. Seinem Traditionsunternehmen geht die Pressluft so schnell nicht aus, glaubt er - und hofft auf seine erwachsene Tochter.