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Maschinerie der Mutmaßungen

Ein Interview des Magazins Fluter hat sich in den sozialen Netzwerken rasant verbreitet. Darin äußert sich ein Fußballprofi aus der Bundesliga anonym über seine Homosexualität. Der Spieler wolle mit dem Gespräch einen "ersten Schritt" wagen.

Von Ronny Blaschke | 12.09.2012
    Seit 2006, seit der Fußball-WM in Deutschland, berichten viele Medien immer wieder über schwule Fußballer, ohne schwule Fußballer zu kennen. Nun erreicht die Debatte eine neue Stufe, denn erstmals bestätigt ein Kicker die vielen Spekulationen der vergangenen Jahre. Ja, er spüre einen gewaltigen Druck und müsse sich für seinen Traum Bundesliga verleugnen. Ja, er nehme öffentliche Anlässe oft in weiblicher Begleitung wahr. Und ja, er kenne andere schwule Bundesligakicker und hoffe nun, mit seinen Aussagen eine Lawine der Outings loszutreten.

    Die Bild-Zeitung griff das Interview von Fluter auf, montierte auf ihrer Internetseite einen Schattenriss auf grünem Rasen und zitierte die vermeintlich spektakulärsten Aussagen. Der Reflex zeigt: es hat sich in sechs Jahren der Debatte wenig geändert. Noch immer dominiert die geheimnisumwitterte Fahndung nach schwulen Kickern. Der Boulevard springt an, wenn bekannte Funktionäre oder Spieler über Ängste vor einem Outing spekulieren. Sie berichten aber kaum, wenn wie 2010 in Köln die Gay Games stattfinden, mit rund 10.000 lesbischen und schwulen Sportlern. Sie berichten kaum, wenn sich in Wales der Rugbyspieler Gareth Thomas oder vor kurzem bei Olympia die südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer outet – und beide dafür ausschließlich Zustimmung erhalten. Und sie berichten kaum über die mehr als zwanzig schwul-lesbischen Fußball-Fanklubs, die in der Bundesliga große Akzeptanz finden.

    Seit 2006 läuft eine Maschinerie der Mutmaßungen, die Homosexualität im Fußball als schlüpfrig und unnormal erscheinen lässt. Angesichts dieser Berichterstattung ist es nicht überraschend, dass sich Spieler nur anonym äußern wollen. Viele Journalisten und Funktionäre pflegen ein Tabu, von dem niemand wissen kann, ob es dieses Tabu noch gibt. Es wäre schön, aber es ist zu bezweifeln, dass dieses Interview daran etwas ändern wird.