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Tiroler Osterfestival
Erstaunliche Parallelen zwischen Altem und Neuem

Das Tiroler Osterfestival ist seit 30 Jahren um Brückenschläge bemüht und verknüpft dafür nicht nur ganz unterschiedliche Musikstile, sondern auch verschiedene Künste. "Über.leben" lautete diesmal das Motto des zweiwöchigen Festivals in Österreich.

Von Reinhard Kager | 02.04.2018
    Musiker der Brandenburger Symphoniker spielen am 30.07.2013 in Rheinsberg (Brandenburg) im Heckentheater des Schlossparks bei der Aufführung der Phantastischen Oper "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach.
    Die künstlerische Leiterin des Tiroler Osterfestivals möchte durch Aufklärung das Fremde und Unbekannte näher bringen, um Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken (picture alliance / Jens Kalaene)
    Musik: Jakobus de Kerle, "Missa pro defunctis"
    Es ist das Unbekannte oder Fremde, worum sich das Osterfestival Tirol seit dreißig Jahren vordringlich bemüht. Und das kann durchaus alt sein, wie die selten gespielte "Missa pro defunctis" von dem franko-flämischen Renaissancekomponisten Jakobus de Kerle, oder es kann auch aus außereuropäischen Ländern stammen.
    Parallelen zwischen Alter und Neuer Musik
    Durch sinnvolle Kombinationen mit zeitgenössischen westlichen Kompositionen fördert Hannah Crepaz, die künstlerische Leiterin des Osterfestivals, immer wieder erstaunliche Parallelen zwischen dem Alten und dem Neuem zutage. Wie durch die Konfrontation von de Kerles "Missa" mit Wolfgang Rihm "Et lux", interpretiert vom Minguet Quartett und dem wunderbar homogenen Huelgas Ensemble unter Paul van Nevel.
    Musik: Wolfgang Rihm, "Et lux"
    "Natürlich ist 'Et lux' auch aus dem Grund im Osterfestival, weil es sich mit einem Requiem beschäftigt und für Rihm das Wichtige ist: 'Das ewige Licht leuchte'. Aber er sieht das nicht in so einem düsteren Sinn, sondern verknüpft mit einem sehr offenen, teilweise sogar strahlenden Klang. Und das ergibt unglaubliche Bewegungen in dem ganzen drinnen", meint Hannah Crepaz.
    Der geradezu archaisch wirkende Vokalsatz in Rihms "Et lux", dessen Wurzeln in der Renaissance deutlich zu hören sind, mündet immer wieder in dramatisch aufgeladene Passagen, die für jene Bewegungen sorgen, von denen Crepaz spricht.
    Musik: Wolfgang Rihm, "Et lux"
    Ligeti von Schubert flankiert
    Ein anderes gelungenes Beispiel, Alte mit Neuer Musik an einem Abend zu kontrastieren, gab ein Konzert mit dem Ensemble "B'Rock": Dabei wurden die "Ramifications" von György Ligeti von der ersten und der sechsten Symphonie von Franz Schubert flankiert, mit denen der Barockspezialist René Jacobs am Pult des Ensembles sein Repertoire in Richtung Romantik erweitert.
    "B'Rock ist, genauso wie wir das auch immer wollen, in unterschiedlichen Musikepochen unterwegs. Sie sind eigentlich aus der alten Musik gekommen und sind jetzt aber bis in die zeitgenössische Musik hinein tätig. Und es gibt ja keine alte Musik ohne die neue Musik und umgekehrt. Das heißt, die neue Musik lehnt sich ja sehr viel an die alte Musik an. Und diesen Zusammenhang und diese Verbindungen zu zeigen, finde ich sehr schön in einem Festivalprogramm."
    Hinter den Kombinationen von Alter und Neuer Musik oder westlicher und fernöstlicher Musik steckt natürlich ein leitendes Konzept: Hannah Crepaz möchte durch Aufklärung das Fremde und Unbekannte näher bringen, um der wieder aufkeimenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Ein Gedanken, der schon vor 30 Jahren ihre Eltern bewegt hatte, den Musikjournalisten und Musikpädagogen Gerhard Crepaz und seine Frau Maria, als sie das Festival in Hall ins Leben riefen.
    "Das Osterfestival ist entstanden durch die stärker werdenden Fundamentalismen, und da haben dann meine Eltern 1989 begonnen, 'Musik der Religionen', wie das Osterfestival damals hieß, ins Leben zu rufen, wo es bereits die Verbindungen gab zwischen den Kulturen und auch die Verbindungen unterschiedlicher Musikstile."
    Verknüpfung von verschiedenen Musikstilen und Künsten
    Nicht nur werden Musikstile miteinander verknüpft beim Osterfestival Tirol, das in verschiedenen Spielstätten in Hall und in Innsbruck über die Bühnen geht, sondern auch verschiedene Künste. Waren die Konzerte anfangs noch eingebunden in den Betrieb der Galerie St. Barbara, so sind es derzeit Performances und vor allem der zeitgenössische Tanz, die im Fokus stehen. Wie die Gruppe "Rosas" von Anne Teresa de Keersmaeker, die mit "Rain" eine abstrakte Choreographie zu Steve Reichs "Music for Eighteen Musicians" schuf.
    Musik: Steve Reich, "Music for 18 Musicians"
    Auch durch Tanzperformances fließt also neue Musik in das Osterfestival ein, das lange vor den "Klangspuren" in Schwaz das Tiroler Publikum mit Zeitgenössischem vertraut gemacht hatte. Zahlreiche prominente Komponisten waren in den drei Jahrzehnten als Composers in Residence zu Gast, erzählt Hannah Crepaz:
    "Ein sehr guter Freund war György Ligeti, Karlheinz Stockhausen war öfter in Hall in Tirol, Steve Reich; John Cage hat sein letztes Konzert bei uns gegeben. Wir haben versucht, immer eine sehr große Breite von allem zu zeigen und dies auch in den Kontext des Festivals zu stellen."
    Geistiger Überbau: Osterliturgie
    Den geistigen Überbau des Osterfestivals, von dem auch dessen dramaturgischer Kontext geleitet wird, bildet immer noch die Osterliturgie. Vorbereitet durch Orgelkonzerte und durch 40 Orte der Einkehr in Innsbruck, an denen der Ungerechtigkeit und Gewalt in unserer Welt still gedacht wird, war am Karfreitag den ganzen Nachmittag über in der Haller Herz-Jesu-Basilika sakrale Musik zu hören.
    Erfreulicherweise wird im geistlichen Programm des Festivals nicht nur Bekanntes zu Gehör gebracht, wie Bachs Johannes-Passion mit Philippe Herreweghes Collegium Vocale Gent, sondern auch Rares wie Pergolesis "Stabat mater" mit Lorenzo Ghielmis Ensemble "La Divina Armonia". Auf diese Weise versprüht das ungewöhnliche Osterfestival auch nach 30 Jahren noch den Geist der Versöhnung.
    Musik: Giovanni Battista Pergolesi, "Stabat mater"