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Massengrab für Insekten

Ungezählte nachtaktive Insekten verenden in den Lichtkegeln von Straßenlaternen. Die Stadt Augsburg hat ein Konzept entwickelt, um die Lichtverschmutzung zu verringern. Die technische Umrüstung spart sogar bares Geld.

Von Prisca Straub | 18.12.2006
    "Mit Natur liebevoll umgehen, das bedeutet gleichzeitig nicht, dass man nicht absolut wirtschaftlich ist. Die Straßenbeleuchtung, wunderbares Beispiel, dass man beide Aspekte, Natur und Ökonomie, zusammenbringen kann."

    Sandor Isepy, ein studierter Lichttechniker aus Ungarn, rüstet Stück für Stück die Straßenlaternen der Stadt um: Als Leiter des Augsburger Tiefbauamts tauscht er 25.000 veraltete Quecksilberleuchten und Leuchtstoffröhren gegen die moderneren Natriumhochdrucklampen aus. Ihr Licht macht inzwischen mehr als 80 Prozent der öffentlichen Straßenbeleuchtung aus.

    "Die Umrüstung hat für Augsburg viel Geld gebracht. Ohne diese Maßnahmen würde das heute über 200.000 Euro mehr Strom kosten. Eine bessere Leuchte muss man auch weniger reinigen, sie zieht weniger die Insekten an. Früher mit den Quecksilberlampen waren die Leuchten schmutziger."

    Weil die kleinen Flug- und Krabbeltiere sich am kühlen, weiß-blauen Licht von Mond und Sternen orientieren, stürzt sie das warme Gelblicht der neuen Natriumhochdrucklampen in eine messbar geringere Verwirrung: Zehnmal weniger Insekten sterben nachts in den Augsburger Lichtkegeln. Experten wie der Mainzer Zoologe Gerhard Eisenbeis schätzen, dass Deutschlands Straßenlaternen Nacht für Nacht zu einem Massengrab für weit mehr als eine Milliarde Insekten werden.

    "Wenn man bedenkt, dass die Insekten in allen Landökosystemen eine zentrale Rolle spielen, wenn es keine Insekten mehr gibt, dann sind Feldermäuse betroffen, viele insektenfressende Vogelarten sind betroffen. Die Insekten sind eine Schlüsselgruppe in der Natur. Man muss davon ausgehen, dass das Licht als wichtiger Faktor für den Rückgang von Arten verantwortlich ist."

    Wenn die Nacht zum Tag wird, dann leidet aber nicht nur das Tier, sondern auch der Mensch. Schlafforscher bestätigen, dass die Nachtruhe durch künstliche Helle empfindlich gestört werden kann. Hormonell bedingt kann der Körper Erholungsprozesse nämlich nur im Dunkeln durchführen. Leuchtet zum Beispiel eine Straßenlaterne oder Werbetafel direkt ins Schlafzimmerfenster, dann wirkt ihr Licht wie ein körpereigener Wecker. Und die Auswirkungen sind fatal, erklärt der Regensburger Schlafforscher Professor Jürgen Zulley:

    "Wenn dieses regelmäßig nachts stattfindet, dann hat das langfristig Auswirkungen auf die Gesundheit durch veränderten Kohlehydratstoffwechsel: früher Diabetes, Herzkreislauf, Magen-Darm können beeinträchtigt sein, psychische Störungen. Aus einer Schlaffstörung kann sich eine Depression entwickeln, und natürlich ist man am Tage nicht so leistungsfähig und fit."

    Die Aussichten sind also schlecht - ganz besonders für professionelle Sterngucker. Weil seit den 60er Jahren immer mehr Streulicht die Atmosphäre erhellt und es in Europa, Nordamerika und Japan nie mehr richtig dunkel wird, muss auch der Münchner Astronom Reinhart Claus inzwischen bis ins stockfinstere Namibia reisen. International konkurrenzfähige Astronomie wäre ihm sonst gar nicht mehr möglich. Beleuchtete Fußgängerzonen zum Beispiel sind ihm ein Dorn im Auge.

    "Lampen, auch Straßenlaternen, werden von Designern gemacht, die werden nach vermeintlich ästhetischen Gesichtpunkte gemacht und nicht nach technischen Gesichtspunkten. Zunächst möchte ich den Boden beleuchten. Die Leute auf dem Trottoir sollen was sehen, aber es soll nicht nach oben hin abstrahlen. Aber die meisten Lampen in der Fußgängerzone sind Kugeln. Die schauen wunderbar aus, sie blenden, machen den Himmel hell und beleuchten das, was man beleuchtet haben will, gar nicht gut."

    In Augsburg hat man auch dafür Abhilfe geschaffen: Weil ein Design gewählt wurde, das die Lichtstrahlen gezielt auf Bürgersteig und Straße richtet, entsteht kein Streuverlust - der Nachthimmel bleibt dunkel.