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Maßnahmen gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, verweist auf erste Konsequenzen, die nach dem Bekanntwerden der Morde der Zwickauer Terrorzelle gezogen worden seien. Dazu gehöre der enge Nachrichtenaustausch zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sowie der Polizei.

Heinz Fromm im Gespräch mit Dirk Müller | 02.02.2012
    Dirk Müller: Für zehn Morde soll die Zwickauer Terrorzelle verantwortlich sein, und das über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren – Morde an ausländischen Kleinunternehmern quer durch die Republik und an einer Polizistin in Heilbronn. Warum haben die Ermittlungsbehörden keinen Zusammenhang zwischen den Fällen herstellen können? Welche Fehler hat die Polizei gemacht, welche Fehler der Verfassungsschutz? Vor allem die Verfassungshüter in den Ländern hatten wohl Erkenntnisse über die jetzt bekannten potenziellen Täter, aber es versäumt, diese Erkenntnisse hin zu einem Gesamtbild zu führen. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll nun die Hintergründe aufklären. Gestern ist ein weiterer Verdächtiger festgenommen worden, diesmal in Düsseldorf. Der 31-jährige Carsten S. soll die Zwickauer Zelle unterstützt haben, so der Vorwurf des Bundesgeneralanwalts.

    Das Versagen der Behörden - darüber sprechen wollen wir nun mit Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Guten Morgen.

    Heinz Fromm: Guten Morgen.

    Müller: Herr Fromm, wenn Sie in ruhigen Minuten darüber nachdenken, auch mit etwas zeitlichem Abstand, was haben Sie versäumt?

    Fromm: Was wir genau, wenn wir etwas versäumt haben, tatsächlich versäumt haben, wird ja der Untersuchungsausschuss klären, und es wird auch bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts sicher die eine oder andere Erkenntnis geben, die wir bisher nicht hatten. Wenn ich unabhängig davon mir überlege, was hätte besser sein können, dann fällt mir dazu ein – ein Punkt, den Sie schon angesprochen haben -, nämlich der Nachrichtenaustausch, der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Das ist ein Thema, was wir in der Zwischenzeit auch schon vor Abschluss der Ermittlungen und vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses aufgegriffen haben, nämlich dass die Verfassungsschutzbehörden der Länder im Bereich gewaltbereiter Rechtsextremismus seit Dezember dem Bundesamt als Zentralstelle alle von ihnen gewonnenen Informationen unmittelbar zuleiten, sodass ein Gesamtbild leichter zu zeichnen ist, leichter zu erstellen ist, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Es war so in der Vergangenheit, dass die Länder jeweils im Einzelfall selbst zu entscheiden hatten, welche Informationen sie weitergeben und welche nicht.

    Müller: Und daran hatten Sie auch nie Zweifel, dass das so richtig ist, oder falsch?

    Fromm: Das war die Regelung, die wir hatten, an die sich alle gehalten haben, das war die Praxis, und das, was wir von den Ländern an Informationen bekommen haben, hat dazu gedient, ein Bundeslagebild zu erstellen, einen Verfassungsschutzbericht alljährlich für die Bundesrepublik Deutschland zu erstellen, dafür war es ausreichend. Aber vor allen Dingen im Bereich Rechtsextremismus, die Beobachtung der lokalen Gruppierungen – und zumeist handelt es sich ja um lokale Gruppierungen – war Sache der Landesämter. Vergleichbares gilt für die Polizei. Und möglicherweise – aber das kann ich im Moment nicht sagen, das werden die Ermittlungen zeigen, oder auch der Untersuchungsausschuss -, möglicherweise war hier eine Schwäche im System, die wir jetzt behoben haben, und ich glaube, das wird uns allen etwas bringen, das wird uns weiterbringen, das wird die Möglichkeit schaffen, auch in dem gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, das wird die Möglichkeit schaffen, kontinuierlich gegen militante Rechtsextremisten vorzugehen, die Szene sehr viel stärker, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, unter Druck zu setzen.

    Müller: Das heißt, der Bundesverfassungsschutz und Sie als Präsident haben sich nichts vorzuwerfen?

    Fromm: Das werden wir sehen. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, wenn der Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet hat, dann werden wir sehen, was das im Einzelnen ist. Ich kann das im Moment nicht bewerten. Ich sage nur, es sind bereits Konsequenzen in Bezug auf den gewaltbereiten Rechtsextremismus gezogen worden, neben dem, was ich erwähnt habe, auch eine gemeinsame Datei, eine gemeinsame Datei also von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden. Auch das wird die Arbeit verbessern. Wir schauen voraus und wollen, dass die rechtsextremistische Szene noch sehr viel intensiver aufgeklärt wird, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

    Es ist ja nicht so, wenn ich das hinzufügen darf, dass im Bereich Rechtsextremismus nichts geschehen wäre. Es ist intensiv beobachtet worden, es hat eine ganze Reihe von Exekutivmaßnahmen, Verhaftungen, Verurteilungen gegeben. Aber niemand hat diese Mordserie, während sie begangen worden ist, niemand, weder bei den Sicherheitsbehörden, noch von sonst jemandem, als rechtsextremistisch motiviert erkannt, oder auch nur die Vermutung geäußert.

    Müller: Jetzt hat es auch den Vorwurf immer wieder gegeben, nicht die Justiz, aber eben die Sicherheitsbehörden seien auf dem rechten Auge blind. Da haben Sie auch dementsprechend reagiert. Sie sollen noch in der vergangenen Woche recht erbost reagiert haben, als es zu den Vorwürfen kam, der Bundesverfassungsschutz überwacht beziehungsweise beobachtet viele Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag. Wenn es die Vorwürfe gibt, rechtes Auge blind, und dann kommen solche Fakten zutage?

    Fromm: Die zum Teil sehr unsachlichen Vorwürfe sind unberechtigt. Die beiden Dinge haben miteinander nichts zu tun.

    Müller: Sie fallen jetzt politisch in einen Kontext?

    Fromm: Ja, sie fallen politisch in einen Kontext und es gibt den Versuch, den Verfassungsschutz dort sozusagen verantwortlich zu machen für alles, was in diesen Zusammenhängen geschehen ist. Das ist nicht in Ordnung, finde ich, zwei verschiedene Themen hier miteinander zu vermischen. Das eine haben wir besprochen, das ist das Thema Rechtsextremismus, militanter Rechtsextremismus. Das andere Thema ist die Beobachtung der Partei Die Linke. Diese Beobachtung findet seit vielen Jahren statt und über diese Beobachtung und die Ergebnisse dieser Beobachtung berichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 15 Jahren etwa.

    Müller: Das heißt, die Journalisten haben es nur nicht vernünftig gelesen?

    Fromm: Ich weiß nicht, ob Sie den Verfassungsschutzbericht lesen. Der wird einmal im Jahr vorgestellt in einer Pressekonferenz. Ob man die Passagen nicht gelesen hat, das weiß ich nicht, denn ich bin ja nicht dabei. Jedenfalls ist es so: Das war bekannt, auch der Politik.

    Müller: Auch das Ausmaß? Ein Drittel aller Abgeordneten der Linkspartei?

    Fromm: Zunächst mal war bekannt, die Partei wird beobachtet. Diejenigen, die beobachtet worden sind, haben von ihrer Beobachtung erfahren, weil sie – das ist nach dem Gesetz möglich – beim Bundesamt für Verfassungsschutz angefragt haben, welche Informationen über sie vorhanden sind. Darauf hat es Antwortschreiben gegeben, die waren nicht zur Zufriedenheit in manchen Fällen oder in zahlreichen Fällen. Dann hat man geklagt, auch das ist ja möglich und vielen nicht bekannt, das ist alles justiziabel. Man hat geklagt vor den Verwaltungsgerichten. Das heißt also, auch die Abgeordneten wussten seit Längerem davon, dass sie beobachtet werden. - Alles nichts Neues!

    Müller: Alle?

    Fromm: Das weiß ich nicht.

    Müller: Viele waren jetzt überrascht: Dietmar Bartsch, Gregor Gysi.

    Fromm: Ja, man kann auch überrascht tun. Aber der Umstand, dass auch Abgeordnete beobachtet werden, war bekannt. Die Beobachtung der Partei war bekannt, die Beobachtung der Abgeordneten, der Bundestagsabgeordneten war bekannt.

    Müller: Halten Sie das für richtig?

    Fromm: Das Gesetz sagt, wenn Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen bei einer Partei vorliegen, dass dann das Bundesamt - und für die Landesämter gilt Entsprechendes – zu beobachten haben. Unsere Bewertung dessen, was wir sehen, ist so, dass wir beobachten. Es gibt dazu im Grundsatz keine Alternative. Wir tun das, nicht weil wir sagen, die Partei sei insgesamt extremistisch, sondern weil wir sagen, es gibt Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Das reicht nach unserem Gesetz aus, um den Beobachtungsauftrag auszulösen. Das geschieht! Darüber berichten wir, das kann jeder sehen.

    Müller: Und nur Alexander Dobrindt hat Sie von politischer Seite aus jetzt unterstützt. Ist das die Unterstützung von der falschen Seite?

    Fromm: Ich bewerte das nicht, was politisch da diskutiert wird. Wir sind eine Behörde, die einen gesetzlichen Auftrag hat. Diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen wir. Wir nehmen zur Kenntnis, was im Bereich der Politik in diesem Zusammenhang diskutiert wird. Das ist alles.

    Müller: Also mehr nicht?

    Fromm: Mehr nicht, nein!

    Müller: Keine Konsequenzen?

    Fromm: Ich beteilige mich nicht an der politischen Diskussion. Das ist gar nicht mein Auftrag. Ich bin auch nicht legitimiert, hierüber politisch zu diskutieren. Ich versuche zu erläutern, wenn ich Gelegenheit habe, was unser Auftrag ist und aus welchen Gründen wir ihm nachkommen müssen.

    Müller: Aber selbst der Bundesinnenminister sagt, wir müssen noch mal darauf schauen, wir müssen eventuell revidieren.

    Fromm: Das bezieht sich, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht auf die Frage, ob es ausreichende Anhaltspunkte für eine Beobachtung gibt, sondern es bezieht sich darauf, ob die Abgeordneten zurecht beobachtet werden. Dieses wird noch mal überprüft. Der Bundesinnenminister hat in der vergangenen Woche das in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit auch erläutert, und dem habe ich selbstverständlich nichts hinzuzufügen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wir haben das Interview vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.