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"Master Harold and the Boys" in Manhattan
Die schleichende Dynamik von Rassismus

Mehr als 30 Jahre nach der amerikanischen Erstaufführung inszeniert Athol Fugard sein Stück "Master Harold and the Boys", das ihn außerhalb Südafrikas berühmt gemacht hat. Und er beweist damit, dass sein Drama über die Dynamik von Rassismus nichts an Dringlichkeit verloren hat – schon gar nicht in den USA vor der Präsidentschaftswahl.

Von Andreas Robertz | 26.10.2016
    Der Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur Athol Fugard in seinem Haus in Kapstadt in Südafrika.
    Der Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur Athol Fugard in seinem Haus in Kapstadt in Südafrika. (imago/Gallo Images)
    Ein verregneter Nachmittag in einem Teehaus, 1950 irgendwo in Südafrika. Die beiden schwarzen Angestellten Sam und Willy und der junge Hally, Sohn der weißen Besitzer des Teehauses, verbringen die Zeit mit Schulaufgaben, Geschichten erzählen und Foxtrott üben. Willy möchte an einem großen Tanzturnier teilnehmen und der ältere Sam unterrichtet ihn. Für sie ist das Turnier Symbol einer harmonischen Welt, in der jeder seine eigenen Schritte tanzt, ohne jemand anderen zu behindern – der Traum von einer perfekten Gesellschaft. Der intellektuell frühreife Gymnasiast Hally dagegen hält genau das für den Beweis für die "primitive" Kultur der Schwarzen, die nur die alten Kriegstänze durch den Walzer ersetzt haben.
    Sam, der schon lange für die Familie arbeitet, war für Hally wie ein Ersatzvater: Es war Sams Bett, unter dem der kleine Hally Schutz vor seinem trinkenden Vater fand, und es waren Sams Geschichten, die ihm Hoffnung gaben. Doch bei all dem kameradschaftlichen Unterhaltungston gibt es keinen Zweifel darüber, wer hier befiehlt und wer gehorchen muss: Das zeigen Hallys altkluger Ton, seine jugendliche Überheblichkeit und die Plötzlichkeit, in der seine Stimmung umschlägt.
    Theater als Form des Widerstandes
    Athol Fugard inszeniert sein Stück mit viel Humor und Einfühlungsvermögen, ganz konzentriert auf das Innenleben seiner Figuren und deren Verletzlichkeit. Bühnenbildner Christopher Barecca hat ihm dafür den schönen großen Innenraum eines alten Teehauses gebaut, mit abgewetzten Fliesen und großen Fenstern im Hintergrund, gegen die unaufhörlich der Regen prasselt. Herausgekommen ist kein Lehr- oder Problemstück, sondern die subtile Bestandsaufnahme einer schleichenden Dynamik, die in offenem Rassismus gipfelt. Für Athol Fugard ist das geschriebene Wort mächtiger als der offene Widerstand gegen Rassismus auf der Straße. Er sagt dazu:
    "Du kannst Steine, Bomben und Molotowcocktails gegen die gepanzerten Fahrzeuge mit ihren Kanonen werfen so viel du willst. Das nützt nicht viel. Aber mit Worten kannst du in die Köpfe derer gehen, die in diesen Fahrzeugen stecken."
    Aus Scham wird Wut
    Als Hally erfährt, dass sein Vater nach einem Krankenhausaufenthalt frühzeitig entlassen wird, richtet sich seine ganze Frustration und die Wut auf ihn gegen Sam. Er zwingt Sam, ihn Master Harold zu nennen, bespuckt und erniedrigt ihn. Hallys Grausamkeit wurzelt in der Unfähigkeit, die emotionalen Defizite seines eigenen Lebens auszuhalten.
    In der ersten Fernsehdebatte im US-Wahlkampf wurden die beiden Anwärter gefragt, was sie zur Rassenfrage in Amerika zu sagen haben, woraufhin beide heftig über Kriminalität und Sicherheit auf der Straße diskutierten. Kein Wort zu Polizeigewalt, kein Wort zur Masseninhaftierung junger schwarzer Männer, kein Wort zu Chancenungleichheit auf amerikanischen Schulen und Universitäten.
    Die Ursachen für die Missstände werden in der Gewaltbereitschaft der schwarzen Gettos gesucht, während gleichzeitig die Wut einer immer größer werdenden weißen Unterschicht gezielt auf die Schwachen der amerikanischen Gesellschaft gelenkt wird. Dabei haben die Scham über die Verdrängung der eigenen rassistischen Vergangenheit einerseits, und eine falsche neoliberale Politik andererseits diese Strukturen erst geschaffen.
    Der respektvolle Umgang mit dem anderen ist unabdingbar für den inneren Frieden eines Landes. In Sams Welt bedeutet das, dass der Tanz nur gelingen kann, wenn alle Tänzer sich respektieren. Doch für einen solchen Tanz auf Augenhöhe ist die USA immer noch nicht bereit.