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Materialforschung
Weltraumtechnik für Altbauwände

Bei denkmalgeschützten Gebäuden kann eine effektive Wärmedämmung zum Problem werden - schließlich sollen historische Fassaden nicht hinter modernen Dämmplatten verschwinden. In der Schweiz wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem auch Altbaubesitzer ihren Brennstoffverbrauch senken könnten.

Von Eva Raisig | 28.01.2014
    Die Empa, die eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, liegt gut zehn Kilometer von der Züricher Innenstadt entfernt im Dübendorfer Industriegebiet. Hier forscht auch Thomas Stahl. Das Labor des Bauphysikers wird gerade umgebaut – Werkzeuge, Materialproben und Experimentierschälchen auf den Arbeitstischen sind zum Schutz mit einer transparenten Plastikplane abgedeckt. Die Stimmung ist bestens.
    "Wir haben gestern den Schweizer Umweltpreis bekommen. Da sind wir auch ganz stolz drauf mit diesem Produkt."
    Das Produkt: Ein Dämmputz aus Aerogel. Thomas Stahl holt unter der Plastikplane eine Schale mit stecknadelkopfgroßen, transparenten Kügelchen hervor.
    "Wir sehen hier dieses Aerogelgranulat - und wenn man da reingreift, sieht man: Das wiegt fast nichts, es ist sehr leicht und transparent."
    Und bildet zusammen mit Bindemitteln aus Kalk und einigen Zusatzstoffen die Grundlage für die neue Putzmischung. Dass die Wahl auf Aerogel fiel, war naheliegend. Schon lange sind die hervorragenden Dämmeigenschaften des Festkörpers bekannt, der wegen seiner geringen Dichte und seines oft milchig-bläulichen Schimmers auch "gefrorener Rauch" genannt wird. In den 60er Jahren wurden die Raumanzüge von Astronauten mit Aerogel isoliert.
    Der Grund für die geringe Wärmeleitfähigkeit liegt in der Struktur des Aerogels: Es besteht fast ausschließlich aus winzigen, nur nanometergroßen Poren.
    "Das führt dazu, dass die Moleküle nicht mehr aneinanderstoßen, um die Wärme zu übertragen, sondern eher an die Porenwandung im Aerogel. Und das führt dazu, dass es eben so schlecht die Wärme leitet."
    Die Luft kann – ähnlich wie bei einer Daunendecke – nicht strömen.
    "Und für ein Produkt, mit dem man Energie sparen will, ist es natürlich vorteilhaft, wenn dann weniger Wärme übertragen wird."
    Halb so viel etwa wie bei anderen Dämmputzen. Vor allem aber soll er mit den häufig eingesetzten Dämmplatten mithalten können, die Wärme besonders schlecht leiten. Damit hätte der Putz einen entscheidenden Vorteil. Denn von den eineinhalb Millionen Altbauten in der Schweiz hat zwar so manches eine schlechte Energiebilanz, aber.. .
    "… man konnte und wollte keine organischen Platten, also Polystyrolplatten verwenden, weil das das ganze Bild des Hauses verändert hätte."
    Schnell sei die Idee entstanden, stattdessen einen isolierenden Putz zu entwickeln, innen und außen anwendbar, mit dem der Energieverbrauch ebenso effektiv gesenkt und gleichzeitig bauästhetische Eigenheiten wie Fassadenverzierungen, Sandsteineinfassungen oder Ornamente erhalten bleiben könnten.
    "Das Gebäude sieht nach der Sanierung praktisch genauso aus wie vorher."
    Außerdem brennt der Putz nicht und erfüllt damit ein weiteres wichtiges Kriterium der Gebäudedämmung. Im kleinen Maßstab, im Labor, war die Putzmischung dann auch schnell hergestellt. Die Schwierigkeit sei eine andere gewesen:
    "Im Labor können wir natürlich viel machen, aber am Ende muss das Produkt ja maschinell verarbeitbar sein",
    sagt Thomas Stahl, greift in das Plastikschälchen und hält einige Kügelchen des Aerogel-Granulats zwischen Daumen und Zeigefinger.
    "Wenn man das zwischen die Finger nimmt und zerreibt das, nur so mit den Fingern hin und her, ohne großen Kraftaufwand, dann sehen Sie sofort: Wir haben nur Pulver übrig."
    Schon kleine Scherkräfte zerstören die Dämmeigenschaften des Aerogels. Über 100 Rezepturen hat der Empa-Forscher mit den Industriepartnern von der Schweizer Fixit AG entwickelt und die einzelnen Herstellungsschritte immer weiter verbessert, bis die Struktur des Aerogels auch dann hielt, wenn der Putz mit einigen Bar durch den Schlauch einer industriellen Spritzmaschine gepumpt wurde.
    "Also das wird in Säcken geliefert und da ist es in Pulverform drin und dann wird dieser Aerogelputz mit Wasser angerührt und dann kann man ihn verarbeiten. Dann kann man ihn entweder per Hand verarbeiten für kleine Flächen. Oder bei größeren Flächen kann man ihn rationell mit der normalen üblichen Putzmaschine verarbeiten."
    Je nach Gebäudeart und Mauerwerk werde der Putz mit fünf bis acht Zentimetern Dicke aufgetragen. Und worin besteht nun der Trick der fertigen Rezeptur?
    "Das ist natürlich geheim und wurde auch patentiert."
    Schließlich forschten noch andere Institute an ähnlichen Produkten. Auch mit Kostenvergleichen tun sich die Entwickler schwer. Bei gleicher Dämmleistung sei der Aerogelputz rund ein Viertel teurer als herkömmliche Putze, teilt die Fixit AG mit. Und ein Vergleich mit Polystyrolplatten sei schwierig, nur so viel: Der Aerogelputz sei um einiges teurer.
    Viele Altbaubesitzer sehen aber offenbar keine Alternative: Mehrere tausend Quadratmeter Putz wurden bis jetzt aufgetragen — auf den denkmalgeschützten 50er-Jahre-Bau bis zur 700 Jahre alten Mühle.
    "Und auch der Besitzer bestätigt, dass er seit letztem Winter Zweidrittel Energie eingespart hat."
    Seit letztem Januar wird der Aerogelputz in der Schweiz vertrieben, dieses Jahr soll er in Deutschland auf den Markt kommen. Der nächste Schritt sei nun, die hohen Herstellungskosten zu senken, damit der Putz auch für neuere Gebäude interessant werde. Außerdem, so Thomas Stahl, müsse man schon jetzt überlegen, wie der Putz in einigen Jahrzehnten wieder abgenommen und recycelt werden könnte. Denn wer weiß, welches Dämmverfahren bis dahin die Wärme im Inneren der Häuser halten wird.