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Mathe-Brückenkurse
Erstsemester lernen rechnen

Brüche dividieren, den Durchmesser eines Kreises oder Logarithmen berechnen: Viele Studienanfänger in den MINT-Fächern beherrschen nicht einmal mehr die Grundlagen. Darauf haben 100 Hochschulprofessoren Mitte März in einem Brandbrief hingewiesen. Einige Unis bieten nun spezielle Auffrischungskurse an.

Von Daniela Siebert | 15.04.2017
    Ein Solar-Taschenrechner, auf dem dreimal die "0" zu lesen ist.
    Hochschulprofessoren bemängeln eklatante Wissenslücken im Bereich Mathematik bei ihren Studierenden (imago/Steinach)
    "Es geht jetzt um Sinus, Kosinus, Tangens und auch Kotangens, und da fangen wir mal an mit einem rechtwinkligen Dreieck."
    Ein Hörsaal an der Berliner Beuth-Hochschule, noch vor Semesterbeginn. Heute sind Logarithmus-Rechnung dran und Trigonometrie. 13 angehende Erstsemester haben sich über die Klappsitze im Auditorium verteilt. Darunter Johannes und Paul:
    "Wenn man dann einfach eine Aufgabe rechnen soll, merkt man erst, wie viel da eigentlich noch fehlt. Das fängt schon an bei Brüchen einfach, da gibt es so viele Potenzgesetze, auf die man dann wieder achten muss. "
    "Also Erweiterungen, quadratische Funktionen, eigentlich so Grundwerkzeuge, die mir fehlen, man hat es einfach zu lange nicht mehr gemacht, das wird im Gehirn viel zu viel durcheinander gewürfelt und es hilft einem hier zu definieren, was man da vorhat."
    Über acht Tage geht dieser sogenannte Brückenkurs, der sämtliche wichtigen Mathe-Themen von der fünften bis zur zehnten Klasse im Eiltempo auffrischt. Angela Schwenk, Mathematik-Professorin an der Beuth-Hochschule hält den Kurs.
    "Wir wollen nicht Studieninhalten vorgreifen. Also sowas wie Differenzieren, Integrieren, das wollen wir den Mathematikvorlesungen lassen, und wir machen nur was bis zehnte Klasse ist, weil da nachher praktisch die großen Hürden liegen, wenn die Studierenden in den Klausuren zeigen sollen, dass das was wir dann da unterrichten auch tatsächlich können, dann scheitern die oft nicht an dem was wir neu beigebracht haben, sondern an diesen alten kleinen Grundlagenfähigkeiten."
    Fehlende Routine
    Schon seit 1991 bietet die Beuth-Hochschule solche Brückenkurse an. Angela Schwenk hat sie mit ins Leben gerufen und abgehalten. Nach ihrer Beobachtung wird die Lücke immer größer zwischen dem, was die Schüler an Mathematik in der Schule lernen und dem, was im Studium gebraucht wird. Oberflächliches Wissen ja, tiefes Verständnis nein:
    "Also früher war mehr Routine da. Die konnten sicherer mit Sachen umgehen und das fehlt jetzt. Der Matheunterricht an Schulen hat sich so geändert, das eigentliche Rechnen ist eher lästig und wird auch viel delegiert an den Taschenrechner und dadurch ist dieser Fokus anders, also es gibt auch einen Teil der Didaktiker die wollen das normale simple Üben auch gar nicht mehr."
    Nicht die Lehrer sind schuld
    Nicht die Lehrer seien das Problem findet Angela Schwenk, eher die Lehrpläne. Es gebe eine "Kompetenzorientierung" die von der Beherrschung der Grundlagen wegführe. Auch deshalb hat sie den Brandbrief an die Bildungspolitiker und -Minister mit unterzeichnet.
    "Das Benutzen des Handwerkszeugs ist in den Hintergrund gerückt. Ich finde das Pendel ist jetzt extrem in der einen Richtung und es muss unbedingt wieder zurück, es muss wenigstens in so eine neutrale Lage kommen."
    Fehlende Grundlagen
    Auch ihr Kollege Ralf Förster hat den Brandbrief unterschrieben. Der Maschinenbau-Professor unterrichtet vor allem die dritten bis sechsten Semester und ist immer wieder geschockt über deren Wissenslücken. Es werde immer schlimmer so seine Bilanz über die letzten sechs Jahre:
    "Es fing so an bei zehn, fünfzehn Prozent und zur Zeit so irgendwo um die vierzig Prozent: mangelhafte Kenntnisse, Prozentrechnung, einfache mathematische Formen, so Pi mal D, Umfang vom Kreis oder sowas, eigentlich ja so Mittelstufe."
    Die Konsequenz: Nicht bestandene Klausuren, schlechte Noten, zum Teil aber auch Ingenieure, die mit Abschluss die Hochschule verlassen, obwohl sie nicht mal Bruch- oder Prozentrechnen können.
    Als Beispiel für eklatante Wissenslücken zitiert Ralf Förster aus einer Klausur im fünften Semester. Eine Aufgabe, die nah am Arbeitsalltag ist: Wie lang ist der Weg für einen Fräser, der auf einem Viertelkreis mit 800 Millimeter Durchmesser fährt?
    "Von 53 Teilnehmern an dieser Klausur konnten zehn Teilnehmer die Aufgabe gar nicht lösen und 19 nur falsch lösen."
    Die angehenden Studierenden im Mathe-Brückenkurs bauen da schon mal vor. Sie ahnen, dass ihre bisherigen Mathe-Kenntnisse nicht reichen werden.
    Johannes besucht schon seinen zweiten Brückenkurs. Er will jetzt 'Physikalische Technik' studieren. Ein Physikstudium an einer anderen Hochschule hatte er nach drei Semestern abgebrochen. Zu theoretisch sagt er. Und: Mit Mathematik hatte er auch da schon Probleme, obwohl er auch dort vorher einen Brückenkurs besucht hatte.