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Mathematische Magneten
3D-Erweiterung des Ising-Modells

Mit winzigen Kompassnadeln, die sich in Reih und Glied ausrichten, lässt sich die Funktion eines Magneten erklären. Die Theorie hat allerdings einen Haken: Wirklich schlüssig funktioniert sie nur in zwei Dimensionen. Abhilfe schafft nun französischer Mathematiker: Ihm ist es gelungen, die Theorie ein Stück weit dreidimensionaler zu machen.

Von Frank Grotelüschen | 19.08.2016
    Ein rot-blauer Magnet
    Ein rot-blauer Magnet (imago stock&people)
    1924. Gemeinsam mit seinem Doktorvater Wilhelm Lenz schlägt der junge Physiker Ernst Ising ein einfaches Modell vor, das erklären soll, wie ein Magnet funktioniert.
    "Man stellt sich dabei vor, dass ein Material aus vielen winzigen Kompassnadeln besteht, die entweder nach Norden zeigen oder nach Süden. Und wenn die meisten dieser Kompassnadeln in ein- und dieselbe Richtung zeigen, wird das Material zum Magneten," erklärt Hugo Duminil-Copin, Mathematiker am Institut für Naturwissenschaften bei Paris.
    Trotz seiner Einfachheit hat sich dieses Ising-Modell als erstaunlich leistungsfähig erwiesen. So kann es im Prinzip erklären, warum ein Magnet überhaupt magnetisch wird und auch bleibt. Ein Manko aber gab es bislang – zumindest aus Sicht des Mathematikers:
    "In zwei Dimensionen verstehen wir das Modell sehr gut. Doch zwei Dimensionen – das entspricht einem absolut flachen Magneten. Im Alltag aber haben wir es mit Magneten zu tun, die eine räumliche Ausdehnung besitzen. Und für solche dreidimensionalen Systeme taugte das Ising-Modell bislang weniger gut. Also habe ich versucht, die Theorie auf drei Dimensionen zu erweitern."
    Dazu wagte Duminil-Copin einen Perspektivwechsel: Er übertrug das Problem in eine andere mathematische Welt – die Welt der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
    "Stellen Sie sich vor Sie sind am Strand und es ist windig. Sie nehmen eine Handvoll Sand und werfen ihn in die Luft. Dann wird der Wind den Sand in eine bestimmte Richtung blasen. Würde man dabei den Weg eines jeden Sandkorns verfolgen, würde man feststellen, dass es beim Fallen mit lauter anderen Körnchen zusammenstößt – was seinem Weg einen starken Zufallscharakter verleiht."
    Problem statt in zwei auch in drei Dimensionen behandeln
    Das Entscheidende dabei: Mathematisch gesehen ist es gar nicht nötig, den Weg eines jeden Sandkorns zu verfolgen. Stattdessen genügt es, ein einzelnes Körnchen quasi stellvertretend herauszugreifen und seinen Weg mithilfe von Wahrscheinlichkeitsgesetzen zu beschreiben. Diesen Ansatz hat Duminil-Copin nun auf die kleinen Kompassnadeln des Ising-Modells übertragen: Statt alle Kompassnadeln zu betrachten, hat er sich stellvertretend auf eine gestürzt und sie mit den Formeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung traktiert. Der Vorteil:
    "Man hat dann mathematische Werkzeuge zur Hand, die es erlauben, das Problem statt in zwei auch in drei Dimensionen zu behandeln. Damit konnten wir mathematisch zeigen, wie Magneten auf steigende Temperaturen reagieren: Sie durchlaufen einen Phasenübergang, der nicht schlagartig erfolgt, sondern kontinuierlich."
    Anders gesagt: Erwärmt man einen Magneten immer weiter, verliert er seinen Magnetismus nicht schlagartig bei einer bestimmten Grenztemperatur, sondern allmählich. Ein Verhalten, dass die Physiker zwar schon lange kennen, theoretisch aber nicht im Detail erklären konnten. Aber mit den Arbeiten von Duminil-Copin und seinen Kollegen ist es nun mathematisch bewiesen – was bekanntlich nie schaden kann. Doch das soll nur der erste Schritt sein. Denn jetzt möchte der Mathematiker prüfen, ob sich seine Methode auch auf andere physikalische Phänomene übertragen lässt.
    "Auf Modelle, wie sich Risse ausbreiten oder wie sich Polymerketten bilden zum Beispiel. Und ich will herausfinden, ob unsere Techniken auch dafür nützlich sind."