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Matthias Dell
Die Anwärter auf den Quotenthron

Der Tagessieg bei der Quotenmessung verbreite gute Stimmung bei ARD und ZDF - wie bei einer Meisterschaft, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Dabei seien Quoten doch eine Erfindung der Privatsender auf der Suche nach Werbekunden.

Von Matthias Dell | 20.04.2017
    Matthias Dell
    Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Was bisher geschah: In der letzten Woche hat Christian Ulmen an dieser Stelle über den Ton der Quotenberichterstattung nachgedacht - Zitat "Absturz, katastrophales Serienfinale, desolater Einstand" - und sich gefragt, ob ihn die Drastik der Formulierungen nur deshalb nervt, weil er als Fernsehmacher von ihnen betroffen ist. "Dann dachte ich aber, nee, langweiliges Thema, ich mach das nicht..."
    Das stimmt natürlich nicht. Die Quotenberichterstattung ist ein total interessantes, überaus wichtiges Thema. Mich, der ich zuerst als Leser davon betroffen bin, fasziniert sie seit Langem. Wobei meine Favoriten weniger die Drastiker sind, also: "Absturz, katastrophales Serienfinale, desolater Einstand", sondern die Sportreporter.
    Faszination: Tagessieg
    Ich bin völlig verzaubert von der Kategorie des "Tagessiegs". Der "Tagessieg" ist in der Sprache der Zuschauerzahlenbeschreiber ein kleiner Schritt auf dem Weg zum "Quotenthron".
    Der "Tagessieg" klingt dagegen nach Erfolg und Routine, nach Mund abputzen und weiter geht's. Da schwingt so viel mit: Dieser "Tatort" hat über den Kampf ins Spiel gefunden, er hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, aber wichtig ist, was hinten rauskommt: der "Tagessieg".
    Ich muss mir dann immer vorstellen, wie der jeweilige Quotensportreporter am frühen Morgen seinen Rechner aufklappt, mit kritischem, aber kennerhaften Blick die Zahlen des Vorabends prüft und dann in die Schatzkiste seiner Metaphern greift, um die alles entscheidende Frage so blumig wie möglich zu beantworten: Wer konnte sich den "Tagessieg" sichern?
    Die Branchenportale machen das, der Name sagt es ja, für die Branche
    Es ist ja auch ein Spaß, dieses Listenerstellen und Zahlenabgegleiche, gerade bei so einem Winnertyp wie dem Tatort, dem Bayern München unter den Fernsehsendungen, dem Rekordtagessieg-Gewinner. Da kann man jede Woche lauter ähnliche Zahlen in eine Liste eintragen wie Skisprungweiten oder Stabhochsprunghöhen: 8,36; 8,14; 14,56; 11,19; 9,19 und so weiter, immer so weiter.
    Aber warum sollten sich gewöhnliche Menschen, die nichts mit Medien machen, die Quotensportberichte von Branchenportalen reinziehen wie den Gossip über Berühmtheiten? Ich würde eher sagen: Die Branchenportale machen das, der Name sagt es ja, für die Branche. Sie verstärken den Flurtalk, der in den Sendern eh herrscht, wenn die Hochrechnung der Zuschauermessungen vom Vortag eingetroffen sind.
    Und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie so was läuft, wie die "Tagessiege" Stimmung machen in den oberen Etagen. Also die Stimmung heben oder Stimmung senken. Ich war einmal bei einem ZDF-Pressetermin mit Elmar Theveßen, dem Leiter der Hauptredaktion "Aktuelles" und stellvertretenden Chefredakteur des Mainzer Senders. Und die meiste Zeit ging für die Erklärung irgendwelcher Quoten drauf, super detailliert, monatliche Entwicklungen, jahrelange Verläufe, Erklärenergie bis hinters Komma. Theveßen sprach von "Matchwinner" und würdigte gute Zahlen mit Sätzen wie: "Zehn Jahre mussten wir darauf warten." Also das, was Werder Bremen bei seinem nächsten Meisterschaftsgewinn sagen könnte. Dabei war alles so traurig, mir zumindest schien es so: Ein großer, mächtiger, wichtiger Mann im deutschen Fernsehen sitzt da und liest Diagramme vor.
    Quoten sind Erfindung der Privatsender
    Der Reiz der Quoten ist mir schon klar: So eine Zahl, die kann man vergleichen, die sagt einem was. Die entscheidende Frage ist nur: was? Die Quotensportreporter mit ihren "Tagessieg"-Feststellungen tun so, also gäbe es eine Meisterschale zu gewinnen, als würde der Platz auf dem "Quotenthron" an sich schon etwas bedeuten. Dabei sind die Quoten eine Erfindung des Privatfernsehens, weil werbefinanzierte Sender eine Grundlage brauchen, um ihren Kunden Geld in Rechnung stellen zu können.
    Wozu aber benötigen dann öffentlich-rechtliche Sender diese Zahlen, wenn es bei ARD und ZDF nur eine bestimmte Zeit am Tag gibt, in der geworben werden kann. Oder wenn es dritte Programme gibt, die werbefrei sind? Der Vorschlag für das Ende von der ermüdenden "Tagessieg"-Abhängigkeit wäre also: Keine Quotenmessungen mehr für werbefreie Fernsehsender. Dann dürften sich die dort arbeitenden Journalisten neue Kategorien suchen, an denen sie sich beim Programmmachen orientieren. Ich könnte mir vorstellen, dass das etwas Befreiendes hat.
    Matthias Dell, geboren 1976, hat als Kulturjournalist, Kritiker und Medienkolumnist bei "Merkur – Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken" ein breites Wahrnehmungsfeld. Von 2004 bis 2014 war er Mitarbeiter der medienkritischen Hypertextkolumne "Das Altpapier" (gestartet bei der Netzeitung, mittlerweile auf evangelisch.de) und als solcher 1/8-Bert-Donnepp-Preisträger 2012. Seit 2010 erscheint seine wöchentliche "Tatort"-Kritik direkt nach der Ausstrahlung (gestartet bei freitag.de, mittlerweile auf zeit.de).