Dienstag, 16. April 2024

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Matthias Dell
"Die Sonne lacht, Diktatoren checken ihre Umfragewerte"

In der Berichterstattung sind immer wieder Töne zu vernehmen, die wohl aus der Gelangweiltheit der politischen Beobachter resultieren - das findet Matthias Dell. In seiner Kolumne sucht er zwischen zugespitzten Thesen, schrägen Vergleichen und realpolitischen Witzen den Politikjournalismus.

Matthias Dell | 07.09.2017
    Ein Kronenleuchter hängt am 03.09.2017 in Berlin in den Fernsehstudios in Adlershof beim TV-Duell von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Herausforderer Martin Schulz (SPD) , wobei Merkel auf einem Bildschirm zu sehen ist.
    Bundeskanzlerin Merkel: mal als "über allem schwebende, fast monarchische Figur" (nicht wegen des krönenden Leuchters), mal mit Umfragewerten "eines afrikanischen Diktators". Ist das Politikjournalismus 2017? (dpa / Kay Nietfeld)
    Im TV-Duell vom letzten Sonntag sah nicht nur der aufgeregte SPD-Mann Martin Schulz nicht gut aus. Auch die Moderatoren in ihrer schlichten Auffassung von Politik waren enttäuschend, weil sie Stimmung machten, statt kluge Fragen zu stellen.
    Jetzt kann man natürlich sagen: Das TV-Duell ist nun mal eine grobe Form. Das ist Fernsehen - und Fernsehen ist oberflächlich. Da schauen hochgerechnet 16 Millionen Leute zu, denen kann man nicht mit komplizierten Sachverhalten kommen.
    Gelangweiltheit der politischen Beobachter
    Ich bin mir da nicht so sicher. Also ob die Art und Weise der Politikberichterstattung nur vom Medium abhängt. Denn es sind in der Berichterstattung über den doch so langweiligen Wahlkampf immer wieder Töne zu vernehmen, die vielleicht aus der Gelangweiltheit der politischen Beobachter resultieren. Die aber auf jeden Fall nicht dazu beitragen, die Langeweile bei der Wählerin zu verringern. Weil sie so unsinnig und irreführend sind. Lauter schick klingende Feuilletonismen.
    Im Sommer war ein Paar aus dem englischen Königshaus auf Deutschland-Besuch. Und Albrecht von Lucke, der Redakteur bei den angesehenen Blättern für deutsche und internationale Politik, redete aus dem Anlass in diesem Sender über die Sehnsucht nach Monarchie.
    Von der monarchischen Figur bis zum afrikanischen Diktator
    "Auch in Deutschland haben wir einen solchen Rückzug auf eine fast über allem schwebende, fast monarchische Figur, und das ist Angela Merkel."
    Immerhin hat Lucke "fast" gesagt. Aber trotzdem ist die zugespitzte These übertrieben.
    Angela Merkel steht an der Spitze einer Partei, die sich alle vier Jahre zur Wahl stellen muss. Sie hat mit innerparteilichen Widersachern zu tun, mit Kritik der Opposition, mit Pfeifkonzerten auf Marktplätzen. Das erleben William, Kate und die Kindern doch deutlich anders. Noch ein paar Nummern einfacher macht es sich Alexander Osang im Spiegel.
    Sein launiger Bericht beginnt mit den Sätzen: "Angela Merkel bewegt sich nicht mehr. Ihre Umfragewerte erinnern an die eines afrikanischen Diktators."
    Klingt im ersten Moment toll. Aber spätestens im zweiten fragt man sich, welches Meinungsforschungsinstitut eigentlich die Sonntagsfrage für Diktatoren stellt.
    Das soll Politikjournalismus 2017 sein?
    Nico Fried räsonierte kürzlich über Martin Schulz in der SZ; der Text lief auf die Empfehlung an den Politiker hinaus, mehr Lächeln zu wagen. Sicherlich sind auch Äußerlichkeiten wichtig.
    Aber was soll ein interessierter Leser davon halten, wenn ihm politische Inhalte von Schulzens Konkurrentin in dem Artikel so zusammen gefasst werden: "Politisch lässt sich Folgendes festhalten: Merkels Rede sollte um 19 Uhr beginnen. Wenige Minuten vorher hatte es aufgehört zu regnen. Als Merkel auf dem Rathausplatz ankam, riss der Himmel auf, und während die Kanzlerin sprach, lachte die Sonne über ihr."
    Die Sonne lacht, Diktatoren checken ihre Umfragewerte und Angela Merkel steht kurz vor der Krönungszeremonie. Soll das, bei aller Liebe zum hübschen sprachlichen Bild, wirklich der Politikjournalismus im Jahr 2017 sein?
    Entdeckung am Ende einer Legislaturperiode
    Den besten, weil realpolitischen Witz auf solche Beschreibungen hat die SPD bei der Abstimmung für die "Ehe für alle" gemacht. Am Ende einer Legislaturperiode als Juniorpartner in der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten plötzlich entdeckt, dass sie mit einer Mehrheit links von der CDU ganz ohne diese Gesetze beschließen können.
    Um es mit den Worten der Politikfeuilletonisten zu sagen: In unserer parlamentarischen Beinahe-Monarchie hätte also Peer Steinbrück 2013 rot-rot-grüner Diktator werden können - mit sonnigen neun Stimmen Mehrheit.
    Wenn Sie die bittere Pointe nicht bemerkt haben, keine Sorge - ARD-Chefredakteur Rainald Becker ging es genauso.
    "Aber vielleicht stimmt ja auch, dass SPD-Männer mit 'S' am Namensanfang gegen Merkel nicht gewinnen können, siehe Schröder 2005, Steinmeier 2009, Steinbrück 2013 und jetzt vielleicht Schulz 2017. Wer weiß."