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Matthias Dell
Triumph für "Tatort"-Stalinisten

"Experimentelle" Tatort-Folgen sorgen immer wieder für Diskussionen - weshalb die ARD ihre Anzahl künftig auf zwei im Jahr reduzieren will. Damit die Schreihälse Ruhe geben, wird in Zukunft nur noch Langeweile produziert, kritisiert unser Kolumnist Matthias Dell. Eine Abrechnung in drei Witzen.

Von Matthias Dell | 02.11.2017
    Motiv aus dem Vorspann der Tatort-Reihe
    "Wir werden nichts mehr haben, worüber wir uns am Montagmorgen streiten können", ärgert sich Matthias Dell (ARD/WDR/Repro: WDR)
    Über den "Tatort" wird so viel geredet, dass man behaupten könnte, der "Tatort" sei genau dazu da: dass man sich über ihn streiten kann. Dass man am Montagmorgen im Büro neben dem Wetter noch ein anderes, unverfängliches Gesprächsthema hat, bei dem alle mitreden können, weil alle "Tatort" geguckt haben.
    Und fürs Gerede sind Folgen wie die vom letzten Sonntag Gold. Da hatte sich der Frankfurter "Tatort" als Horrorfilm verkleidet, was mancher Zuschauerin argen Verdruss bereitete. Anderen dagegen hat "Fürchte Dich" große Freude gemacht - wenn man sich die Bewertungen auf der Fanseite tatort-fundus.de anschaut oder Kommentare unter Online-Besprechungen, dann halten sich Pro und Contra mindestens die Waage.
    "In Zukunft nur noch Langeweile"
    Für jeden, der Streit nicht als lästiges Übel begreift, ist das eine gute Nachricht. Es ist doch schön, wenn in Diskussionen etwas los ist, in denen man sich gleich entzweien muss, weil es um Glaubensfragen wie Politik, Religion oder Kindererziehung geht. Die ARD sieht das anscheinend anders, die hat passend zum Wochenende eine Meldung rausgehauen, die der Publikumsberuhigung dienen soll: Künftig könne man sich nur noch zwei "experimentelle" "Tatort"-Folgen pro Jahr vorstellen. Heißt es.
    Für den Teil der Zuschauerschaft, der "Fürchte Dich" durchaus etwas abgewinnen konnte, klingt diese Meldung wie eine Strafe. Damit die Schreihälse Ruhe geben, wird in Zukunft nur noch Langeweile produziert. Dann regt sich keiner mehr auf.
    Matthias Dell
    @mediasres-Kolumnist Matthias Dell befürchtet, dass Tatorte in Zukunft so "grau und mutlos werden, wie der größte Teil der vor sich routinierenden ARD-Filme und Serien schon ist". (Daniel Seiffert)
    Was heißt eigentlich "experimentell"?
    Der erste Witz an der angekündigten Regelungswut der ARD ist deren Kunstferne. Wie, bitteschön, will man denn "experimentell" definieren? Theoretisch würde die nächste, sehr schöne "Tatort"-Folge "Der Fall Holdt" vom kommenden Sonntag darunter fallen: Denn die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit basiert, geht ungeklärt aus, die Täter werden nicht verhaftet, die Welt ist um 21.45 Uhr nicht wieder in Ordnung. "Tatort"-Stalinisten könnten behaupten: Zum "Tatort" gehört, dass die Täter gefasst wird. Also ist "Der Fall Holdt" ein Experiment. So was darf es in Zukunft dann nicht mehr geben.
    Der zweite Witz an der geplanten Quotierung ist: Dass die ARD den Erfolg ihrer eigenen Sendereihe nicht versteht. Der "Tatort" würde heute nicht mehr laufen, wenn er nur ein gewöhnlicher Krimi wäre. Für die Langlebigkeit des Formats ist nicht entscheidend, dass der "Tatort" so ein toller Krimi ist - das ist wahrscheinlich weniger als zweimal im Jahr.
    Fähige Drehbuchautorinnen brauchen mehr Geld und Zeit
    Der "Tatort" ist vielmehr eine ziemlich offene Form: Das Personal wird immer wieder ausgetauscht, damit die Sendereihe mit der Zeit gehen kann. Dazu gehört auch, dass aktuelle Themen und Moden aufgegriffen werden. Das mit den Themen nervt zumeist, weil man so was wie die Frauen-Fußball-WM einfach nicht in eine halbwegs plausible Spielfilmhandlung gekloppt bekommt.
    Das mit den Moden sorgt dagegen für die Geschichte, auf die die ARD doch so stolz ist: Man erinnert sich im Rückblick ja gerade nicht an die Folgen, die einem egal waren. Sondern an die, die etwas probiert haben: wie "Fürchte Dich". Und, als kleiner Tipp: Wenn man bessere Filme haben will, dann müssten fähige Drehbuchautorinnen mehr Geld und Zeit bekommen, um an ihren Stoffen zu arbeiten. Darum geht es beim Filmemachen.
    "Was versteht ein Fernsehdirektor von Filmen?"
    Der dritte und größte Witz an der neuen ARD-Strategie ist aber: Dass ausgerechnet WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn die neue Direktive ausgibt. Was versteht Schönenborn von Filmen? Seit wann ist es die Aufgabe eines Fernsehdirektors, dem "Tatort" Regeln aufzugeben? Wie soll man diese Entwicklung nicht beunruhigend finden? Denn wenn künftig allein der Geschmack eines filmfremden Menschen wie Schönenborn entscheidet, dann kann das nur zu einer Verarmung von künstlerischer Arbeit führen.
    Der "Tatort" wird dann genauso grau und mutlos werden, wie der größte Teil der vor sich routinierenden ARD-Filme und Serien schon ist. Und wir werden nichts mehr haben, worüber wir uns am Montagmorgen streiten können.