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Max Annas "Die Mauer"
Von kleinlichem Hass und großen Ungerechtigkeiten

Südafrika: eine ideale Kulisse für einen Thriller. Der deutsche Autor Max Annas weiß um das Konfliktpotenzial am Kap – er hat selbst dort gelebt. In einer sogenannten Gated Community spielt sein Krimi "Die Mauer". Annas beschreibt darin den Rassenkonflikt anhand einer rasanten, absurd-komischen Handlung.

Von Karin Schimke | 28.02.2017
    Eine südafrikanische Flagge, aufgenommen in Port Elizabeth, Südafrika
    Wahrlich keine Regenbogennation: Max Annas Buch liefert auch einen bissigen Kommentar zum Stand der Gesellschaft in Südafrika. (picture alliance / dpa)
    Moses hat einem Professor beim Bücherpacken geholfen, jetzt ist er auf dem Weg zu seiner Freundin, als sein Auto im selben Moment den Geist aufgibt wie das Akku im Handy. Weil er es eilig hat an diesem heißen Februartag, schlüpft er unbemerkt hinter die Mauer einer Gated Community. Dort will er einen Bekannten um Hilfe bitten. Aber Moses ist schwarz, und deshalb kommt seine Grenzübertretung einem Todesurteil gleich.
    "Der Sinn der Mauern und der elektrischen Drähte und der Überwachung war ja, dass niemand reinkommen konnte, der nicht drin sein sollte. All die Einbrecher und Strauchdiebe, die Armen und Benachteiligten, vor denen man sich halt schützte."
    Kaum drin in der Festung mit dem idyllischen Namen "The Pines", ergreift Moses vor zwei eindeutig kampflustigen Bewohnern instinktiv die Flucht. Plötzlich ist er ein Gejagter innerhalb der Mauer und will nichts anderes, als zurück vor die Mauer zu kommen.
    Max Annas baut eine explosive Situation auf. Eine Mauer, einige Eindringlinge – denn Moses ist nicht der einzige, der hier nicht hingehört -, ein soziopolitisches Milieu wie eine Zündschnur und ein paar aufgeblasene Egos, die das abgesteckte privilegierte Leben wie besessen bewachen.
    Ein umstrittenes Thema in Südafrika
    Nach der Abschaffung der Rassentrennung, der Apartheid, im Jahr 1994 waren Gated Communities wie diese ein umstrittenes Thema in Südafrika. Vor allem Weiße zogen sich hinter hohe Mauern zurück, angeblich aus Angst vor der wachsenden Kriminalität. Doch Kritiker vermuteten darin eine neue Apartheid und den Willen der ehemals mächtigen und immer noch wohlhabenden Weißen, mit der bunten Regenbogennation nichts zu tun haben zu wollen und weiterhin unter sich zu bleiben.
    Max Annas, der jahrelang im Eastern Cape von Südafrika gelebt hat, erkannte das erzählerische Potenzial dieses Lebensentwurfs. Seine Umsetzung ist atemberaubend. Er stößt ein Katastrophenszenario an, das sich vor den erstaunten Augen der Leser abspielt wie ein Blutbad in einem Tarantino-Film.
    Die erzählte Zeit umfasst gerade mal zwei Stunden. Aber darin läuft alles auf eine schießwütige Auflösung hinaus, die in ihrer Absurdität schon komisch ist. Die Spannung steigt, der Schweiß rinnt. Genau wie die Hauptfigur Moses ist der Leser überwältigt von der labyrinthischen Hölle aus Sackgassen und ewig gleichen Häusern. Allein dieses Setting treibt die Spannung voran wie ein Sadist mit einer geladenen Waffe.
    Keine Angst vor Klischees - sie fördern die Wahrheit ans Licht
    Der Roman steckt voller Stereotype. Annas schmuggelt sie nicht hinein, er lässt sie schon in der ersten Zeile mit der Tür ins Haus fallen: "Die Weißen sind seltsam...", sagt die schwarze Einbrecherin Nozipho zu ihrem Komplizen. Nuancierte Charakterzeichnung ist Annas’ Sache nicht. Alle Weißen wirken grotesk, alle Schwarzen dagegen – auch die kriminellen - extrem liebenswert.
    Solche Verallgemeinerungen sind natürlich unzutreffend und auch abstoßend. Als Literaturkritikerin ebenso wie als Bürgerin dieses Landes, dessen Vergangenheit von Vorurteilen vergiftet wurde, wäre mein erster Impuls, sie deutlich zurückzuweisen. Aber obwohl ich eigentlich Sturm laufen müsste gegen Annas’ Klischees, konnte ich so viel Falsches gar nicht an ihnen finden. Als Autor treibt er die Klischees einfach auf die Spitze und fördert damit viel Wahres ans Licht.
    Perspektivwechsel als "kultureller Übergriff"?
    Allerdings würde sein Buch, sollte es ins Englische übersetzt werden, in Südafrika wohl kaum auf Gegenliebe stoßen. Nicht in diesen Zeiten der Klientelpolitik. Wer hier die Perspektive von jemandem einnimmt, der anders ist als er selbst, gilt als gedankenlos oder arrogant. Der Vorwurf des kulturellen Übergriffs steht schnell im Raum. Doch von politisch korrekten Skrupeln ist Max Annas frei. Unerschrocken versetzt er - der Deutsche, Weiße -, sich in die Haut seiner verschiedenfarbigen Charaktere. Dass er dabei klar auf Seiten der Schwarzen steht, dass er die Befindlichkeiten der Weißen treffend verspottet, würde ihn jedoch nicht vor Kritik schützen.
    Aber um politische Korrektheiten geht es Annas nicht. Er benutzt einen dicken Pinsel und klumpige Farbe, um sein Bild zu malen. Es mag kein subtiles Porträt von Südafrika sein, es stellt aber sehr genau die unbequeme Wahrheit heraus.
    Beim irren, finalen Showdown verlangsamt Max Annas die Handlung von ein paar Sekunden und zeigt sie aus verschiedenen Blickwinkeln. So verfolgt Happiness vom Sicherheitspersonal, deren Job es ist, die Anlage per Kameras zu überwachen, das Geschehen auf den verschiedenen lautlosen Monitoren.
    "Eben war das noch eine Gruppe gewesen, dachte sie. Jetzt lauter Einzelne, die guckten und sich drehten und sich dann entschieden. Entweder die eine Seite oder die andere."
    Zutreffend bissiger Kommentar zum Stand der Regenbogennation
    Südafrika ist keine "Gruppe", es ist nie eine farbenblinde, vereinte Nation geworden. Es wird zerrissen von kleinlichem Hass und großen Ungerechtigkeiten. "The Pines" mit seiner symbolischen Mauer ist eine konkrete Vision dieser gelebten Realität.
    In der Tradition des südafrikanischen Thrillers beschäftigt sich Max Annas in "Die Mauer" nicht nur mit einem Verbrechen, sondern er liefert auch einen bissigen Kommentar zum Stand der Gesellschaft. Der wäre - gerade weil er so zutreffend ist - den meisten meiner Landsleute wohl ziemlich unangenehm.
    Max Annas: Die Mauer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 224 Seiten, 12 Euro.