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Max Nehrling-Ausstellung
Der vergessene Bauhäusler

Dass Max Nehrling Bauhausschüler war, ist seinem Werk nicht unmittelbar anzusehen. Als Künstler agierte er unauffällig. Damit steht er für eine andere Geschichte der modernen Avantgarden. Selten wurde die so in den Fokus gerückt, wie derzeit in Weimar.

Von Carsten Probst | 18.08.2015
    Ein Journalist steht am 14.08.2015 im Rahmen eines Presserundgangs im Haus am Horn in Weimar (Thüringen) in der Ausstellung «Der Bauhauskünstler Max Nehrling in Weimar» vor dem Ölgemälde "o.T." von Max Nehrling. Die Ausstellung (15.08. bis 01.11.2015) stellt mit mehr als 90 Exponaten das Frühwerk von Max Nehrling in den Mittelpunkt. Foto: Sebastian Kahnert/dpa
    Besucher der Ausstellung "Der Bauhauskünstler Max Nehrling in Weimar" vor Ölgemälden des Künstlers. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Thüringische Landschaften in sanft-expressiven Farben, Porträtstudien, klassische Aktzeichnungen; dazwischen einige grafische Blätter für Plakate, Vignetten, Bucheinbände: Nein, dass Max Nehrling Bauhausschüler war, ist seinem Werk nicht unmittelbar anzusehen. Hier und da gibt es auch abstrakte Studienblätter, Einflüsse seiner Bauhaus-Lehrer Johannes Itten oder von Walter Klemm, aber viel stärker sind Bezüge zur figürlichen Frühmoderne von Cézanne bis zum frühen Beckmann und der Neuen Sachlichkeit, die während seiner Bauhauszeit zwischen 1919 und 1921 eigentlich bereits als überholt galt.
    Nehrling, so dringt es aus seinen Briefen durch, wollte nur Maler sein, ein universalistischer Ansatz wie der der Bauhaus-Lehre, der gleichermaßen Bildende Kunst und Design, Architektur, Fotografie, Film, Theater und Tanz umfasste, interessierte ihn nicht. Und je mehr die Zeit verging, desto unauffälliger agierte er künstlerisch. Zunächst noch als freischaffender Maler mit Landschaften und Porträts für einige Jahre mit eigenem Atelier in Weimar - während des Nationalsozialismus jedoch zog er sich gänzlich ins Private zurück. Die NS- Reichskammer der bildenden Künste führte ihn Ende der Dreißigerjahre nur noch mit "geringfügiger, nicht hauptberuflich ausgeübter" Tätigkeit. Nehrling widmete sich der Landschaftsmalerei nach dem naturalistischen Stil der lokalen Weimarer Schule, seine Frau versorgte mit einem Bürojob die Familie. Nach 1945 setzte Nehrling seine Weimarer Malerexistenz der Vorkriegszeit fort. In der DDR bis zu seinem Tod 1957 blieb Nehrling bei seinem leicht antiquierten und betont unauffälligen Malstil, mit dem er damit nirgendwo aneckte.
    Eine andere Geschichte der modernen Avantgarden
    Damit steht Nehrling für eine andere Geschichte der modernen Avantgarden, eine Geschichte, die selten einmal so explizit in den Fokus rückt wie in dieser Ausstellung. Sie handelt von durchaus begabten, gut ausgebildeten Künstlerinnen und Künstlern, die nicht dem Klischee des avantgardistischen Revolutionärs folgen. Sie bewegen sich außerhalb der internationalen Künstlernetzwerke. Stattdessen ziehen sie sich mit ihrer Kunst in einen bescheidenen privaten Rahmen zurück. Sie erleiden während des Dritten Reiches nicht das Schicksal des Exils vieler prominenter Kollegen, sondern begeben sich in die innere Emigration. Sie wenden sich nicht grundsätzlich vom Erbe der Avantgarde ab, treten aber auch nicht in den Widerstand gegen staatliche Repressalien; im Gegensatz zu etlichen weitaus bekannteren Künstlern dienen sie sich wiederum auch nicht den herrschenden Kunstdoktrinen des NS oder des Stalinismus an.
    Diese stillen Erben der Moderne entziehen sich den gängigen kunsthistorischen Einordnungen, weil ihr Werk nicht herausragt und ihr Lebenslauf noch weniger. Gerade das macht die Reihe kleiner, monografischer Ausstellungen der Klassik Stiftung Weimar zu solchen heute vergessenen Künstlerbiografien interessant. Sie widmet sich einem nahezu unerforschten Bereich, der ein retardierendes Element innerhalb der avantgardistischen Bewegung erkennen lässt. Einer Moderne, die nicht als Revolution und Fortschrittsversprechen daherkommt, sondern als Verlangen nach Bewahrung, Tradition, Entschleunigung.
    Das Beispiel Max Nehrlings ist schon deshalb bemerkenswert, weil gerade er eine besonders lange Ausbildungskarriere hinter sich hatte, die die gesamte Bandbreite des modernen Ausbildungsbetriebes in Weimar umfasste. Eigentlich hätte sie ihn zum Super-Avantgardisten prädestiniert. Ausstellungsprojekte wie dieses gleichen einer kleinteiligen, mühseligen Archäologie, die tief nach den lange verschütteten Spuren der Moderne gräbt – aber sie ist besonders verdienstvoll gerade an Orte wie Weimar, von dessen einst so faszinierender Topografie der Moderne heute nichts mehr übrig ist.