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Mazedonien
Der ewige Türsteher für EU und NATO

Seit elf Jahren befindet sich Mazedonien in der Warteschleife: Auf der einen Seite spielt das Land eine wichtige Rolle in der Flüchtlingspolitik als Türsteher auf der Balkanroute. Auf der anderen Seite verhindern tief zerstrittene Parteien und anhaltende Korruption den EU-Beitritt. Der Brexit könnte die Hoffnung auf Zugehörigkeit noch weiter trüben.

Von Stephan Ozsvàth | 14.07.2016
    Demonstranten und Polizisten bei den Protesten gegen Mazedoniens Präsidenten Gjorge Ivanov
    Proteste gegen den mazedonischen Präsidenten Gjorgje Ivanov (picture alliance / dpa / Nake Batev)
    "Grujo Mafia" rufen sie und meinen den Strippenzieher und Langzeit-Regierungschef Gruevski. Seit Wochen gehen die Demonstranten in Mazedoniens Hauptstadt zu Tausenden auf die Straße. Aus Nudelsieben und Expandern haben sie Riesensteinschleudern gebaut, schießen damit Farbbeutel auf die öffentlichen Gebäude in Skopje.
    "Wir protestieren dagegen, dass die Bande um die Regierungspartei VMRO Mazedonien vereinnahmt hat." Und diese Frau sagt: "Wir wollen, dass die Kriminellen endlich vor Gericht kommen."
    Korruption und Amtsmissbrauch im großen Stil
    Eine Sonderstaatsanwaltschaft ermittelt vor allem gegen hochrangige Funktionäre der konservativen Regierungspartei VMRO um Ex-Regierungschef Gruevski. Er hat Abhörprotokollen zufolge 20.000 Mazedonier abhören lassen. Die Protokolle enthüllen auch Korruption und Amtsmissbrauch im großen Stil. Das von der EU moderierte Przino-Abkommen sieht deshalb Neuwahlen vor. Auch der deutsche Diplomat Johannes Heindl versucht, zu vermitteln.
    "Es müssen Neuwahlen stattfinden. Es müssen die Bedingungen für faire und freie Wahlen geschaffen werden. Dazu gehören die Bereinigung der Wählerlisten und eine Medienreform. Ich glaube, es wäre ein fatales Signal an die mazedonische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft, wenn es nicht gelänge, ein Jahr nach Abschluss des Przino-Abkommens einen Durchbruch zu schaffen."
    Kein Termin für Neuwahlen in Sicht
    Doch die Parteien in Mazedonien sind heillos zerstritten. Der Termin für Neuwahlen platzte – ein neuer ist nicht in Sicht. Belastet ist das Balkanland auch durch seine Rolle als Türsteher Europas: Hier werden die Flüchtlinge vom Marsch auf der Westbalkan-Route weitgehend abgehalten.
    Eine Belohnung gibt es bislang dafür nicht. Seit Jahren blockiert Griechenland EU- und NATO-Annäherung Mazedoniens – weil das kleine Balkan-Land so heißt wie eine nordgriechische Provinz. Außenminister Nikola Popvski meint.
    "Ein Annäherung an Griechenland ist in unserem Interesse. Es ist schizophren. Einerseits haben wir ausgezeichnete Beziehungen in praktisch jeder Hinsicht: in der Wirtschaft, im Tourismus, bei den Investitionen. Andererseits ist Griechenland das Haupthindernis für unsere EU- und NATO-Mitgliedschaft."
    Hängen in der Warteschleife
    Seit elf Jahren hängt Mazedonien deshalb in der Warteschleife fest. Und jetzt kommt auch noch der Brexit dazu. Zwar betonte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini anlässlich des West-Balkan-Gipfels in Paris:
    "Wir arbeiten mit allen jeden Tag an den Schritten für eine EU- und NATO-Integration des West-Balkan. Das ist sehr wichtig für Frieden und Stabilität, aber auch für die Sicherheit der europäischen Bürger."
    Wegen der innenpolitischen Dauerkrise und Blockade strafte die EU-Kommission Mazedonien nun aber ab und kürzte Vorbeitrittshilfen aus Brüssel – fast 100 Millionen Euro, die für den Bau einer Bahnlinie nach Bulgarien geplant waren. Ein klarer Warnschuss, meint der politische Analyst Petar Arsovski.
    "Das ist eine ernsthafte Warnung an die politische Elite, die Verhandlungen und Reformen zu beschleunigen. Es ist jedenfalls keine gute Botschaft für Mazedonien. Auf jeden Fall sollten wir das als letzte Warnung verstehen. Wir verlieren Gelder, die in Mazedonien den Reform-Prozess verbessern könnten."
    Arbeiten auf Hochtouren
    Mit dem Brexit werde die EU-Skepsis zunehmen, die von der Regierung Gruevski geschürt worden sei, meint Arsovski. Die internationale Gemeinschaft arbeitet deshalb auf Hochtouren – so der EU-Botschafter in Skopje, Aiwo Oraw.
    "Wir hoffen, dass die Krise im Land so schnell wie möglich beigelegt wird."
    Vor dem NATO-Gipfel in Warschau schickte Präsident Ivanov einen Hilferuf an US-Präsident Obama: Mazedonien habe die NATO-Vollmitgliedschaft längst verdient, so Ivanov.