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Mazedonien nach dem Machtwechsel (2/5)
Romeo und Julia auf dem Balkan

Irena liebt Zamir. Zamir liebt Irena. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Irena ist Slawo-Mazedonierin und Zamir Albaner. Ihre Beziehung ist für viele in Mazedonien noch ein Tabu. Bei der "Bunten Revolution" aber demonstrierten beide Volksgruppen gemeinsam. Jetzt gibt es eine neue Regierung. Was wird sich ändern?

Von Leila Knüppel | 11.11.2017
    Irena Sterijovska 2016 bei der "Bunten Revolution" in Mazedonien
    Irena Sterijovska 2016 bei der "Bunten Revolution" in Mazedonien (pa /dpa /Georgi Licovski)
    Romeo sitzt in Jogginghose am Wohnzimmertisch der Mini-Einzimmerwohnung, in die er vor einigen Monaten mit Julia gezogen ist. Julia macht einen Frappé, kuschelt sich dann in einen Sessel, zieht die Beine hoch, zündet sich eine Zigarette an. Romeo schaut ihr dabei zu. Alles an ihr scheint für ihn ein kleines Wunder zu sein:
    "Für mich ist es sehr wichtig, dass Irena glücklich ist. Alles andere ist unwichtig. Niemand kann mir einreden, es sei nicht gut, dass wir zusammen sind."
    Natürlich heißt Julia nicht wirklich Julia, sondern Irena Sterijovska. Und Romeo Zamir Mehmeti. Sonst aber erinnert ihre Liebesgeschichte durchaus an das Shakespeare-Drama – bloß eben auf Mazedonisch.
    "Es wird viel diskutiert über Paare, die unterschiedlichen Volksgruppen angehören. Viele Paare müssen ins Ausland ziehen, wenn sie zusammenbleiben wollen. Oder sie müssen den Kontakt zu ihren Familien abbrechen."
    Anfeindungen auf Facebook
    Seit Jahrhunderten leben hier in der Region Slawo-Mazedonier, die Bevölkerungsmehrheit, und Albaner, sie machen etwa ein Viertel der Bevölkerung in Mazedonien aus. Doch von wirklichem Zusammenleben kann kaum die Rede sein: unterschiedliche Viertel, unterschiedliche Sprachen, unterschiedliche Schulklassen; auch die politische Landschaft zergliedert sich in albanische und slawo-mazedonische Parteien.
    Irena Sterijovska öffnet den Laptop, zeigt, was für Kommentare sich auf ihrem Facebook-Profil finden, nur weil sie sich in einen Albaner verliebt hat.
    "Du Spion", schreibt einer. Aber das sei noch harmlos, meint Irena: "Ich werde beschimpft: Hure, albanisches Miststück."
    Wenige Gehminuten von der Wohnung der beiden entfernt liegt das "Helsinki Commitee". Bei der Nichtregierungsorganisation werden solche Vorfälle von Hassreden und von politisch motivierten Gewaltverbrechen seit Jahren registriert. Uranija Pirovska leitet die Zweigstelle in Skopje, bei der Biljana Ginova als Projektmanagerin arbeitet:
    "Was sehr tragisch ist: Sowohl die Täter als auch die Opfer sind oft Jugendliche, aus beiden Gruppen. Wir leben so lange zusammen und unsere Kinder kennen die Geschichte der anderen noch immer nicht. Das ist auch eine Folge der Vorfälle von 2001."
    Gewaltsamer Konflikt vor 16 Jahren
    Damals, vor 16 Jahren, kam es zu Kämpfen zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und der von Albanern gegründeten "Nationalen Befreiungsarmee". Etliche Menschen mussten damals aus ihren Heimatorten fliehen, starben bei den Auseinandersetzungen.
    Biljana arbeitete damals in ihrer Geburtsstadt Bitola als Freiwillige beim Roten Kreuz, erzählt sie, registrierte die Flüchtlinge, die Schutz suchten.
    "Ich erinnere mich an meine albanischen Freunde, wie sie Angst hatten. Denn nachdem vier Polizisten aus Bitola in dem Konflikt ums Leben gekommen sind, ist eine Gruppe von Leuten rumgegangen mit einer Adressliste, um alle Läden von Muslimen niederzubrennen. Das hat mich sehr wütend gemacht."
    Beide Frauen sind sich einig, dass die Politik bisher wenig getan hat, um Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu mindern. Im Gegenteil: die national-konservative Partei, die bis vor kurzem noch an der Macht war, habe das Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter geschürt.
    "Die Zahl solcher ethnisch motivierter Gewaltverbrechen ist immer hochgegangen, wenn es bestimmte politische Situationen gab: vor den Wahlen, während der Wahlen und nach den Wahlen."
    "Mit der neuen Regierung könnte sich das ändern. Denn diesmal haben die regierenden Sozialdemokraten viele Stimmen von Albanern bekommen. Normalerweise wählen Albaner nur albanische Parteien."
    Vereinter Protest 2015
    In der kleinen Einzimmerwohnung des albanisch-mazedonischen Paares zeigt Zamir Bilder von den Demonstrationen.
    Als 2015 Telefonmitschnitte veröffentlicht wurden, die Wahlbetrug und Korruption offenbarten, protestierten Mazedonier und Albaner gemeinsam, banden ihre Flaggen aneinander. Ein so ungewöhnlicher Anblick, dass Zeitungen weltweit darüber berichteten.
    "Alle waren gekommen, egal welcher Ethnie, welcher Religion sie angehörten."

    Irena klickt sich am Computer durch die Erinnerungsfotos: Zamir und sie mit bunt gefärbten Gesichtern inmitten anderer Demonstranten. Es hat aber eine Weile gedauert, bis sie schließlich ein Paar wurden, erzählt sie:
    Irena: "Ich habe Parolen gerufen. Da hat mich ein Polizist gegriffen, um mich zu verhaften. Zamir ist dazwischen und hat den Polizisten getreten."
    Zamir: "Ich hatte mich schon drei Monate lang um sie bemüht. Und der Polizist wollte sie mir einfach wegnehmen!"
    Irena: "Er hat mich gerettet, vor der Verhaftung. Und ich: Oh! Mein Held! Komm, wir alle brauchen jemanden der uns schützt!"
    Erinnerungsstücke an die "Bunte Revolution" in Mazedonien: Die Schuhe von Irena Sterijovska und Zamir Mehmeti
    Erinnerungsstücke an die „Bunte Revolution“ in Mazedonien: Die Schuhe von Irena Sterijovska und Zamir Mehmeti, die sich während der Proteste 2016 kennenlernten – und nun ein Paar sind. (Deutschlandradio/ Leila Knüppel)