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McAllister zu Mays Brexit-Rede
"Das ist auch eine Form der Rosinenpickerei"

Er halte die britische Entscheidung für einen EU-Austritt nach wie vor für einen schweren Fehler, sagte der CDU-Europaabgeordnete David McAllister im DLF. Die Rede gestern von Premierministerin May habe zumindest mehr Klarheit gebracht. Die Ankündigung, auch den europäischen Binnenmarkt zu verlassen, sei aus Sicht Mays nur konsequent.

David McAllister im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.01.2017
    Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister.
    Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister. (imago / Wiegand Wagner)
    Die Inhalte der Ansprache von May seien für ihn nicht überraschend gewesen. Die Linie habe sich schon seit dem Parteitag der britischen Konservativen im vergangenen Oktober abgezeichnet. Er habe die Rede gestern "als hart, klar und auch ein wenig kompromisslos" empfunden, betonte McAllister.
    Zur Dauer der Verhandlungen erläurte der CDU-Politiker: "Wir müssen ja im Grunde genommen drei Abkommen mit den Briten verhandeln." Das Eine sei die Vertragsänderung, das Zweite das eigentliche Austrittsabkommen. Dieses in den kommenden beiden Jahren "über die Bühne zu bekommen, ist ambitioniert, aber auch das ist möglich". Aber danach stehe ein "Abkommen zur Neuregelung der Beziehungen zum dann Nicht-Mitglied Vereinigtes Königreich" an. Dafür würden mehr als zwei Jahre benötigt. In der Zwischenzeit brauche man Übergangslösungen.
    EU muss "klare Kante zeigen"
    May habe gestern "eine differenzierte Binnenmarkt-Strategie" vorgestellt. Die Briten wollten demnach "raus aus dem Binnenmarkt", dann aber in bestimmten Bereichen doch wieder "den vollen Zugang" haben. "Das ist natürlich auch eine Form der Rosinenpickerei." So etwas könne sich die EU jedoch nicht erlauben.
    Man müsse bei den Verhandlungen "klare Kante zeigen", auch mit Blick auf die übrigen Mitgliedstaaten. Zwar hätten sich alle 27 klar zur EU bekannt. Doch es gebe in einigen Ländern politische Kräfte, die darauf aus seien, für sich auch "ein Europa à la Carte organisieren" zu können. Und wenn man damit anfange, dann untergrabe man die Grundfeste der Europäischen Union, betonte McAllister.

    Das Interview in voller Länge
    Ann-Kathrin Büüsker: Wie Großbritannien sich den Brexit vorstellt, das wissen wir seit gestern etwas genauer. Theresa May hat in einer Rede erste wichtige Pflöcke eingeschlagen. Ein kompletter Abschied soll es werden, ohne Weg zurück. Auflösung aller Verträge, raus aus dem europäischen Binnenmarkt. Aber Handelsverbindungen zur EU, die möchte man behalten. Deshalb sollen neue Verträge geschaffen werden. Theresa May möchte ein Freihandelsabkommen mit der EU schaffen und neue Zollbestimmungen. Andernfalls könnte sie sich auch vorstellen, dass europäische Unternehmen und Banken den Zugang zum britischen Markt verlieren könnten.
    Wie sollte sich Brüssel nun positionieren? Darüber möchte ich mit David McAllister sprechen. Er sitzt für die CDU im Europaparlament, ist Mitglied des CDU-Präsidiums und besitzt neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch die britische. Guten Morgen, Herr McAllister.
    David McAllister: Guten Morgen aus Straßburg.
    "Hart, klar und auch ein wenig kompromisslos"
    Büüsker: Herr McAllister, ich unterstelle mal, dass in Ihnen das Herz eines Europäers schlägt. Großbritannien will jetzt ein für allemal Abschied von der EU nehmen. Wie weh tut Ihnen das?
    McAllister: Ich finde, das tut nach wie vor sehr weh, nicht nur mir, sondern vielen anderen auch. Das war am 23. Juni in Großbritannien eine knappe demokratische Entscheidung. Natürlich gilt es, diese demokratische Entscheidung zu respektieren, aber ich glaube nach wie vor, dass das ein schwerwiegender Fehler war. Aber zumindest haben wir seit der gestrigen Rede von Frau May mehr Klarheit, wie sie sich den Austritt vorstellt. Für mich waren die Inhalte dieser Rede gestern keine Überraschung. Die Linie zeichnete sich eigentlich schon seit dem Parteitag der britischen Konservativen im Oktober letzten Jahres ab. Ich empfand die Rede gestern als hart, klar und auch ein wenig kompromisslos.
    Büüsker: Und wir wissen seit gestern auch, dass Großbritannien durchaus an den wirtschaftlichen Vorteilen einer Zusammenarbeit mit der Europäischen Union interessiert ist, gleichzeitig sich für die gemeinsamen Werte, etwa die Freizügigkeit gar nicht so richtig zu interessieren scheint. Das war ja ein Punkt in dieser ganzen Brexit-Debatte. Ist die europäische Wertegemeinschaft ohne Großbritannien dann nicht eigentlich besser dran?
    McAllister: Ich finde nach wie vor eine Europäische Union mit 28 Staaten inklusive des Vereinigten Königreiches besser als eine EU mit 27. Aber wir müssen den Realitäten ins Auge sehen. Die Briten werden die Europäische Union verlassen und aus Sicht von Frau May ist ihre Positionierung jetzt auch konsequent. Denn wenn man Nein sagt zum Binnenmarkt mit allen vier Freizügigkeiten, inklusive der Arbeitnehmerfreizügigkeit, und das ist ein ganz wichtiger Wert für uns in der Europäischen Union, dann muss man konsequenterweise auch den Binnenmarkt verlassen und ebenso auch weite Teile der Zollunion.
    Wir haben jetzt Klarheit, aber was das konkret bedeutet für die Austrittsverhandlungen, ich glaube, das werden wir erst wissen, wenn die Briten Ende März spätestens ihr Austrittsgesuch nach Artikel 50 einreichen.
    Britische Bereitschaft zu Kompromissen wird entscheidend
    Büüsker: Sehen Sie denn eine Chance, dass die EU auf die Pläne von May eingeht, Stichwort Freihandelsabkommen?
    McAllister: Wir müssen ja im Grunde genommen drei Abkommen mit den Briten verhandeln. Das eine ist die Vertragsänderung. Das ist eher rechtstechnisch. Das geht relativ schnell über die Bühne. Das zweite ist das eigentliche Austrittsabkommen. Das in zwei Jahren über die Bühne zu bekommen, ist ambitioniert. Aber auch das ist möglich.
    Aber danach sind wir ja verpflichtet, ein Abkommen zur Neuregelung der Beziehungen zum dann Nichtmitglied Vereinigtes Königreich zu verhandeln und abzuschließen, und dafür sagen alle Experten brauchen wir mehr als zwei Jahre. Das heißt, Übergangsfristen für das Vereinigte Königreich werden dann vereinbart werden müssen, und wie dieses neue Verhältnis aussieht, das ist nach wie vor ungeklärt.
    Ich glaube, angesichts der klaren Aussage von Frau May gestern wird es am Ende wohl auf ein Handelsabkommen mit den Briten hinausführen plus eine politische Vereinbarung über eine strategische Zusammenarbeit beispielsweise in Sicherheitsfragen. Und wie tief und wie gut dieses Handelsabkommen ist, das hängt sehr wesentlich dann von der britischen Bereitschaft zur Kompromissfähigkeit ab.
    McAllister rechnet mit schwierigen Verhandlungen
    Büüsker: Herr McAllister, vielleicht können wir das Ganze noch ein bisschen greifbarer für unsere Hörerinnen und Hörer machen. Wo könnten Sie sich denn vorstellen, dass die Europäische Union auf Großbritannien zugeht?
    McAllister: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich das wirklich schwer sagen, denn wir verfolgen in der Europäischen Union in allen Institutionen ein ganz klares Prinzip. Solange die britische Regierung das Austrittsgesuch nicht eingereicht hat, solange werden wir über die Details nicht verhandeln und auch nicht sprechen, weder im formellen, noch im informellen Bereich.
    Es liegt jetzt an den Briten, erst mal Vorschläge zu machen, wie sie sich das denn vorstellen. Frau May hat gestern aus meiner Sicht eine differenzierte Binnenmarkt-Strategie vorgestellt. Das heißt, man will raus aus dem Binnenmarkt, aber dann in bestimmten Bereichen, die für die britische Wirtschaft positiv sind, dann doch wieder den vollen Zugang zum Binnenmarkt ermöglichen. Das ist natürlich auch eine Form der Rosinenpickerei und da hat die Bundeskanzlerin recht: So etwas können wir uns nicht erlauben, denn das untergräbt insgesamt die Autorität.
    Und ein weiteres ist wichtig: Wer in einem Binnenmarkt operieren will, der muss auch eine vereinheitlichte Rechtsprechung akzeptieren, und Frau May vertritt ja schon seit Längerem die Position, dass sie nicht mehr bereit ist, EuGH-Rechtsprechung zu akzeptieren. Das heißt, das werden nicht einfache Verhandlungen mit den Briten, nicht nur, was den Austritt angeht, sondern vor allen Dingen, was die Definierung der neuen Beziehungen danach angeht, und dafür wird man Zeit brauchen und vor allen Dingen auch Verhandlungsgeschick auf beiden Seiten.
    Büüsker: Herr McAllister, jetzt haben Sie gerade gesagt, das untergräbt die Autorität der Europäischen Union. Machen Sie sich denn Sorgen? Gibt es da Wackelkandidaten, die auch sagen könnten, tschüss, wir gehen?
    McAllister: Nein! Alle 27 Mitgliedsstaaten haben klar formuliert, nach dem Brexit-Referendum, dass sie an die Idee der Europäischen Union glauben, dass sie die Europäische Union fortsetzen wollen. Und ich gehe davon aus, dass Ende März zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge die 27 Staats- und Regierungschefs auch konkrete Vorschläge machen werden, wie es in der Europäischen Union weitergehen soll.
    Ich sehe konkret keinen weiteren Kandidaten. Aber natürlich gibt es politische Kräfte, ob nun in Frankreich oder in den Niederlanden oder in einzelnen osteuropäischen Staaten, die sehr genau beobachten werden, ob sie nicht auch ein Europa à la carte für sich organisieren können, und wenn wir damit anfangen, dann untermauern wir wirklich die Grundfesten der Europäischen Union.
    "Wir haben das Interesse der Gesamtunion zu verteidigen"
    Büüsker: Und deshalb muss die EU jetzt klare Kante im Umgang mit Großbritannien zeigen?
    McAllister: Die Europäische Union muss klare Kante im Umgang mit dem Vereinigten Königreich zeigen, weil das Vereinigte Königreich ja selbst klare Kante zeigt. Ich verstehe, dass die Briten für ihre Interessen verhandeln werden, aber wir haben das Interesse der Gesamtunion zu verteidigen und das Interesse unserer Bürger und unserer Wirtschaft. Ich wünsche mir, dass wir am Ende ein faires, besonnenes Abkommen für beide Seiten finden, denn auch wenn die Briten die Europäische Union verlassen, sie bleiben ein wichtiger Handelspartner und sie bleiben ja auch nicht nur unsere Nachbarn, sondern auch Verbündete, beispielsweise in der NATO.
    Büüsker: Verstehe ich Sie dann richtig, dass am Ende beide Seiten Zugeständnisse machen werden müssen?
    McAllister: Das ist das Wesen von einem jeden Kompromiss, dass am Ende man auf beiden Seiten Kompromissfähigkeit zeigen muss und dann auch Kompromisse eingehen muss. Aber eines ist klar: Das Vereinigte Königreich hat entschieden, die Europäische Union zu verlassen, nicht umgekehrt. Insofern sind die Briten in einer unbequemeren Position als der Rest der Europäischen Union.
    Und was ist mit Schottland?
    Büüsker: Nun hat Schottland auf die Pläne der Regierung May mit großer Sorge reagiert. Was kann die Europäische Union hier tun, um Schottland ein bisschen entgegenzukommen?
    McAllister: Ich bin selbst deutsch-britischer Herkunft und, um präzise zu sein, deutsch-schottischer Herkunft, verfolge also sehr genau die Diskussion in Schottland, bin auch regelmäßig in diesem Land zu Gast. Die schottische Regierung vertritt eine mehrstufige Strategie. Am liebsten wäre Schottland gewesen, dass das Vereinigte Königreich insgesamt in der EU bleibt, und das haben die Schotten mit einem 62-prozentigen Votum für die EU auch eindrucksvoll bewiesen. Das ist ja offensichtlich nicht mehr möglich.
    Die zweite Linie der schottischen Regierung war dann, dass das Vereinigte Königreich in Gänze im Binnenmarkt bleibt. Das ist mit der gestrigen Rede von Frau May noch unwahrscheinlicher geworden.
    Die dritte Linie ist, dass die Schotten versuchen, für sich einen differenzierten Binnenmarktzugang zu finden. Das heißt, das Vereinigte Königreich verlässt den Binnenmarkt, aber Schottland möchte als Teilnation im Binnenmarkt bleiben. Das ist politisch nachvollziehbar, ist aber rechtlich schwierig umzusetzen, denn das würde eine schottische EFTA-Mitgliedschaft voraussetzen und in der EFTA mit Norwegen, Liechtenstein und Island sind nur souveräne Staaten Mitglied.
    Das heißt, für die schottische Regierung bleibt dann als letzte Stufe nur die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich, denn das würde dann, wenn die anderen EU-Mitgliedsstaaten zustimmen, eine EU-Mitgliedschaft und damit logischerweise auch eine Binnenmarktmitgliedschaft möglich machen.
    Büüsker: Herr McAllister, wir müssen leider zum Schluss kommen. Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen. Heute Morgen im Deutschlandfunk David McAllister, CDU-Abgeordneter im Europaparlament. Danke schön!
    McAllister: Ja, gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.