Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Meckel: Europameisterschaft gibt Gelegenheit für klare Positionen

In der Ukraine wird deutlich wahrgenommen, dass Joachim Gauck seinen Besuch abgesagt hat, meint Markus Meckel (SPD), letzter Außenminister der DDR. Die Fußball-EM böte einen guten Anlass, um den ukrainischen "Salto mortale rückwärts" in Demokratie-Fragen klar anzusprechen.

Markus Meckel im Gespräch mit Gerd Breker | 27.04.2012
    Gerd Breker: Aus Protest gegen die mutmaßliche Misshandlung der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko haben Abgeordnete ihrer Partei heute das Parlament blockiert. Julia Timoschenko ist den achten Tag im Hungerstreik, war in Kiew auf einem Plakat im Sitzungssaal zu lesen. Die Politiker forderten eine Untersuchung der Vorwürfe, wonach die erkrankte Ex-Regierungschefin in der vergangenen Woche unter Anwendung von Gewalt in ein Krankenhaus verlegt und dabei misshandelt worden sei. Der Umgang mit Frau Timoschenko in dem Mitveranstalterland der Fußballeuropameisterschaft hat die Politiker hierzulande aufgeschreckt. Bundespräsident Gauck hat unter dem Beifall aller Parteien eine Reise in die Ukraine abgesagt. Der Druck aus Berlin auf Präsident Janukowitsch ist gewollt, und er wird höher. Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem ehemaligen Außenminister der DDR, dem Sozialdemokraten Markus Meckel. Guten Tag, Herr Meckel.

    Markus Meckel: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Joachim Gauck hat seinen Besuch in der Ukraine abgesagt – ein Signal, das Sie begrüßen, das Sie unterstützen?

    Meckel: Ja ich unterstütze das sehr, weil ich glaube, dass das auch sehr deutlich wahrgenommen wird, und es ist auch wichtig, dass wir diese Diskussion auch in großer Klarheit und Offenheit führen, und ich kann Herrn Polenz nur zustimmen: Das wird in der Ukraine wahrgenommen. Ich hatte selbst die Gelegenheit, vor wenigen Tagen in der Ukraine Gespräche zu führen, unter anderem auch mit dem stellvertretenden Generalstaatssekretär, und habe diese Forderung auch entsprechend deutlich gemacht, und es war gleichzeitig aber deutlich, dass sie sehr genau wissen, was sie tun, auf der anderen Seite, glaube ich, über die interne Situation in Europa sich falsche Vorstellungen machen, und deshalb ist es wichtig, dass von unserer Seite her klare Positionen kommen, und gerade die Europameisterschaft gibt hierfür eine gute Gelegenheit, und ich hoffe sehr, dass sie zumindest begreifen, dass unabhängig von der Frage, ob die Vorwürfe berechtigt sind – ich glaube das nicht, aber sie behaupten das -, dass die humanitäre Frage der Gesundheit von Frau Timoschenko jetzt akut und sehr schnell geklärt werden muss und sie in Berlin behandelt wird.

    Breker: Der Westen, Herr Meckel, hat ja ein Problem: Er will die Ukraine nicht in die Arme Moskaus treiben, und deshalb will er ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine erreichen. Ist das der richtige Weg?

    Meckel: Ja, das ist der richtige Weg. Ich halte dieses Assoziierungsabkommen für richtig und wichtig, gerade um auch deutlich zu machen, dass der europäische Weg der Ukraine von uns unterstützt wird. Aber dieser Weg beinhaltet natürlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit der Medien, und all diese Dinge werden im Augenblick in der Ukraine verletzt und insofern ist es auch wichtig, dass wir uns nicht allein auf den Fall Timoschenko konzentrieren, sondern grundsätzlich dieses Salto mortale rückwärts, das in der Ukraine stattfindet in Fragen von Demokratie, auch in dieser Breite von uns angesprochen und gesehen wird. Trotzdem: Akut ist natürlich dieser Fall und die humanitäre Dimension, dass sie behandelt werden kann, und ich hoffe sehr, dass die Ukraine begreift, dass sie vor der Europameisterschaft dieses Problem klärt.

    Breker: Sie haben es angedeutet, Herr Meckel: Der Umgang mit Julia Timoschenko verläuft irgendwie nach alter kommunistischer Tradition, der Andersdenkende wird einfach kriminalisiert.

    Meckel: Ja das ist nicht nur sie, sondern es ist ebenso der Innenminister ihrer früheren Regierung und andere Regierungsmitglieder. Also auch hier kommt es darauf an, einen breiteren Blick zu haben, und wenn jetzt geplant wird, dass deutsche Politiker Besuche machen, ist es wichtig, sich auch nicht nur auf sie zu konzentrieren, denn auch andere sind in schwieriger konkreter Lage. Ich bin dafür, dass wir einerseits hier sehr offen und sehr klar sind, zum anderen, dass wir aber auch deutlich machen, dass wenn die Ukraine bereit ist, hier sich zu bewegen, wir ihren Weg nach Europa offenhalten.

    Breker: Ist denn in den Beziehungen Wandel durch Annäherung noch ein Schlagwort, das etwas bringen kann?

    Meckel: Ich denke, dass man beides tun muss. Ich würde das nicht so unmittelbar benutzen, weil man es mit anderen Verhältnissen dann doch insgesamt zu tun hat. Die Europäische Union öffnet sich und hat ein Interesse an demokratischen Staaten in der Nachbarschaft und natürlich auch an prosperierenden Staaten, aber gleichzeitig geht es darum, dass wir unsere Werte dabei nicht vergessen dürfen und dass sie Teil dieses Prozesses sind. Die Ukraine hat sich auch faktisch bekannt zu diesem Weg, dann müssen wir aber auch die Werte, zu denen sie sich bekannt haben, entsprechend einklagen und deutlich machen, ohne diese gibt es diesen Weg nicht.

    Breker: Und das bedeutet auch, nicht nur mit den Mächtigen reden, sondern auch mit der Opposition?

    Meckel: Das ist ein ganz zentraler Punkt. Wir müssen überhaupt in unserer Außenpolitik sehr deutlich machen, dass es hier nicht nur diplomatische Wege zwischen Regierungen und Parlamenten gibt, sondern dass die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition unterstützt werden muss, unabhängig von den Regierungen, und dass dieses kontinuierlich geschehen muss. Das betrifft übrigens eben nicht nur die Ukraine, sondern auch Belarus, und wenn man an eines der nächsten Sportereignisse denkt, ist es ja die Weltmeisterschaft im Eishockey 2014, die in Belarus stattfinden muss, wo man sich natürlich auch Gedanken machen muss, ob eine solche Diskussion in zwei Jahren mit Belarus wir uns wieder leisten wollen.

    Breker: Eine Forderung, die Markus Meckel aufstellt. Er war der letzte Außenminister der DDR, er ist Sozialdemokrat, und Sie haben es vielleicht an der schlechten Leitung gehört: Wir haben ihn in Istanbul erreicht. Herr Meckel, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Meckel: Bitte schön! Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Mehr zum Thema bei dradio.de:

    "Wir sind natürlich gegen einen Boykott"
    Sportfunktionär Michael Vesper verteidigt Fußball-EM in der Ukraine (DKultur)


    Berlin fordert Lösung im Fall Timoschenko vor Fußball-EM -
    Opposition blockiert ukrainisches Parlament


    Fall Timoschenko: Bundesregierung erhöht den Druck -
    Bundespräsident Gauck sagt Besuch in der Ukraine ab

    Nicht gut, dass "Sportler in die erste Reihe geschickt werden" - Aktivensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes nimmt Sportler in Schutz (Interview)

    Menschenrechtsbeauftragter gegen Boykott der Fußball-EM
    Markus Löning über Timoschenko und die Ukraine (DKultur)


    Justizwillkür in der Ukraine
    Die Inhaftierung der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko
    (DLF Hintergrund)