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Mecklenburg-Vorpommern
Biber nagen an den Nerven der Landwirte

Biber, Kormoran und Kranich haben sich wieder in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Darüber freut sich besonders die Stadtbevölkerung, die die Tiere geschützt wissen will. Doch die Schäden, die die Tiere anrichten, sind groß - mit erheblichen Folgen für die Landbevölkerung.

Von Silke Hasselmann | 17.10.2017
    Ein Biber in der Elbe
    Heute leben schon wieder mindestens 1.800 Biber in Mecklenburg-Vorpommern (dpa/picture alliance/ Jürgen Lösel)
    Das kleine vorpommersche Dorf Altwigshagen liegt am Rande der Großen Friedländer Wiese, die von zahlreichen Entwässerungsgräben durchzogen ist. Hier bewirtschaftet die Agrargenossenschaft Altwigshagen eine Fläche von ca. 2000 ha, darunter 750 ha Grünland für ihre Milch- sowie Mutterkühe. Gerade kehrt Geschäftsführerin Petra Döhler aus der Wiese zurück – mit schlechten Nachrichten.
    "Wir haben Grünland betrachtet, mein Abteilungsleiter und ich, und haben immense Probleme mit unterschiedlichsten Biberpopulationen. Wir haben mehrere große Biberfamilien, die aus den Böschungen der Gräben in die Wiesen reingehen und große Tunnelsysteme graben. Wir haben an dem Stück in der letzten Woche Mais gehäckselt und konnten nicht sehen, was sich dort abgespielt hat. Also´ne richtig große Einbuchtung ins Feld hinein war so unter Wasser; ich sag immer, wenn uns da ein Traktor reinfällt, der es vorher nicht sieht, den finden wir nie wieder."
    Vor 40 Jahren fast ausgestorben, leben heute schon wieder mindestens 1.800 Biber in Mecklenburg-Vorpommern. Schon sind die angestammten Reviere knapp. Der Nachwuchs drängt immer tiefer auch auf landwirtschaftlich genutzte Flächen. Dort sorgen sie für Überschwemmungen oder für regelrechte Krater direkt unter der Bodenoberfläche. Doch einzig die Flächeneigentümer haften für Unfälle und Schäden und bleiben auch auf anderen Kosten sitzen, erklärt Petra Döhler.
    "Bei uns im Wasser- und Bodenverband - das ist sozusagen die betreuende Organisation, die die Grabensysteme offenhält, da ist es so, dass die mindestens eine halbe Arbeitskraft das ganze Jahr über beschäftigen und von den Bauern bezahlen lassen, die sich nur mit den Auswirkungen Biber befasst."
    Es gab nie so viele Biber wie heute
    Auch Bürgermeister Michael Sack kennt das Problem. Seine vorpommerschen Kleinstadt Loitz liegt im großflächig renaturierten Peenetal. Immer häufiger verstopfen die schwimmenden Pelztiere Gräben und Kanäle, indem sie Uferbäume umholzen und Wehre annagen. Ihr Bestand reguliert sich nicht von allein, denn sie genießen die Abwesenheit natürlicher Feinde plus 100 prozentigen Artenschutz durch den Menschen.
    "Und deshalb glaube ich, dass es noch nie so viele Biber im Peenetal gab wie heute. Also in den letzten 2.000 Jahren, sag ich jetzt mal. Und das Problem ist ja auch: Wenn erst mal eine Art auf der Roten Liste steht, dann kann es davon so viele geben, wie man haben möchte - man kommt da nicht mehr runter. Siehe Kormoran: Das gleiche Problem, wenn man sich mit den Fischern unterhält. Ich sehe das Problem mit den Wölfen ganz, ganz krass auf uns zukommen. Das Ding ist nicht gut, was da läuft, und so - ja - idealistengesteuert."
    Tatsächlich leben nirgends so viele Kormorane wie in Mecklenburg-Vorpommern - derzeit die Rekordzahl von 16.500 Brutpaaren.(*)
    Schäden für die Landwirtschaft
    Auch die streng geschützten und sich bestens vermehrenden Kolkraben richten zunehmend Schäden an. Zudem vergehen in M-V kaum noch zwei Wochen ohne eine Meldung über Wölfe, die Schafe gerissen oder Kälber, gar Kühe angefallen haben. Auch hier beobachtet der Loitzer Bürgermeister Michael Sack:
    "Es gibt da ja Fundamentalisten, denen ist das alles ganz egal. Das muss der Eigentümer in Kauf nehmen sozusagen als Soziallast. Das ist dann alles abgedeckt damit."
    Frage: "Sind das Leute, die auch hier in der Ecke wohnen?"
    "Nein. Ganz klar nicht. Das sind die Leute, die aus den Großstädten kommen und dann mit ganz blanken Augen durch die Landschaft laufen und denken, sie sind im Zoo."
    Artenschutz vor jeglichen anderen Interessen
    Unterwegs bei der Bio-Landpartie: Burkhard Rohloff vom Bund für Umwelt und Natur in Schwerin. Auch die Biolandwirte vom "Domgut Demen" berichten ihm von zunehmenden Kosten, die streng geschützte Tiere verursachen. Noch trauen sich die Politiker nicht, Obergrenzen für einen verträglichen Biberbestand pro Fläche zu bestimmen und damit überzählige Tiere zur Vergrämung, gar Bejagen freizugeben. Auch beim Wolf übertrumpft absoluter Artenschutz jegliche anderen Interessen. Doch Burkhard Roloff beweist, dass es unter den Naturschützern auch Realisten gibt.
    "Sie kommen an Bestandsobergrenzen nicht vorbei. Denn populationsdynamisch werden die sich vermehren, und dann müssen wir uns an Zahlen ran tasten, dass es nicht davon abhängt, ob ein Schaf gerissen wird oder ein Rind. Sondern wir müssen diese Populationen beobachten. Das ist sehr gut mit Sender möglich. Und dann müssen wir festlegen: Wann ist es zu viel und wann ist es zu wenig?"
    Doch der Schweriner Umwelt- und Landwirtschaftsminister sagt, ihm seien weitgehend die Hände gebunden. Allein könne er die strengen Artenschutzvorgaben auf Bundes- und EU-Ebene nicht ändern, erfahre aber aus Bundesländern ohne Wolf, Biber, Kormoran wenig Hilfe.
    Romantisierung des Landlebens
    Das sei dann ja wohl im Politischen so ähnlich wie das, was sie im Umgang mit Großstädtern spüre, meint Landwirtin Petra Döhler: Eine Mischung aus unkritischer Romantisierung des Landlebens und zugleich überheblicher Ignoranz gegenüber den Sorgen der Landbevölkerung.
    "Wir haben heute eine Herde von fast tausend Kranichen auf der Saat gehabt. Das sind Schäden, die sind eigentlich nicht mehr hinzunehmen. Die ersten Wölfe umkreisen auch bei uns die Mutterkuh-Herden und ich habe Angst vor dem Tag, an dem wir sagen müssen: Der erste Wolf hat eine Herde aufgerieben und hat sie in den Verkehr getrieben und hat auch Tiere zu Tode kommen lassen. Da braucht man einfach als Landwirt finanzielle, aber auch moralische Hilfe und dass die Gesellschaft anerkennen würde: `Ja, wir wollen Wolf, Biber und Co. Ja, wir bezahlen dafür auch.` Es kann nicht sein, dass eine vorwiegend städtisch geprägte Bevölkerung das ganz toll findet, und uns als Eigentümer und davon Lebende zwingt, ihren Traum zu bezahlen."
    Denn was durch den Wolf gerissene Nutztiere angeht, so erstattet das Land Mecklenburg-Vorpommern durchaus einen Teil des Schadens. Aber nur, wenn die Bauern das gesamte Weideland mit über 2 Meter hohen Schutzzäunen gesäumt haben – auf eigene Kosten. Für den Altwigshagener Agrarbetriebes wären das rund 170.000 Euro.
    (*) In einer früheren Audio-Fassung des Beitras folgte im Anschluss noch eine Information zum Fischkonsum der Kormorane, die einen Fehler enthielt. Wir haben den fehlerhaften Satz entfernt.