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Mecklenburg-Vorpommern
Gegenwind im Windstromland

Erst kippte ein Verwaltungsgericht die Ausweisung windparkgeeigneter Standorte in Vorpommerns Binnenland. Dann dampfte der Energieminister seinen Plan für Ostsee-Windparks ein. Zudem wächst der Widerwillen in Kommunen und bei Bürgern. Verspielt Mecklenburg-Vorpommern Chancen der größte Windstromlieferant der Bundesrepublik zu sein?

Von Silke Hasselmann | 22.04.2015
    Ein Windrad dreht sich in der Nähe von Schönberg (Mecklenburg-Vorpommern).
    "Mecklenburg-Vorpommern ist das Windstromland in der Bundesrepublik", so Jürgen Suhr von Bündnis 90/Die Grünen. (Jens Büttner, dpa)
    Energie- wie Umweltpolitiker in Mecklenburg-Vorpommern haben es nicht leicht. Wer sich über die Verspargelung der Landschaften beklagt, dem sagen sie, dass Windparks nur rund 0,6 Prozent der Landesfläche beanspruchen. Andererseits heißt es auch aus dem Mund von Jürgen Suhr (Bündnis 90/Die Grünen) selbstbewusst:
    "Mecklenburg-Vorpommern ist das Windstromland in der Bundesrepublik", so Jürgen Suhr von Bündnis 90/Die Grünen. "Rein rechnerisch produzieren wir schon mehr als 100 Prozent des eigenen Strombedarfs, sind also inzwischen Stromexport-Land aus erneuerbaren Energien. Aber wir haben noch erhebliche Potenziale."
    Maritimer Raumentwicklungsplan eingedampft
    Vor allem auf der Ostsee, ergänzt der Landtags-Fraktionschef. 16 Kilometer vor der Halbinsel Darß/Zingst und nun bald auch 32 Kilometer vor der Insel Rügen erzeugt zum Beispiel der süddeutsche Stromriese EnBW mit den Windparks Baltic 1 und 2 Alternativen zu Atom- und Kohlestrom - gedacht vor allem für den stark industrialisierten, dicht besiedelten Süden der Republik. Weitere Unternehmen wollen Offshore bauen, doch gerade dampfte Energieminister Christian Pegel (SPD) seinen maritimen Raumentwicklungsplan um zwei Drittel ein. Nur noch knapp 200 Quadratkilometer sind nun als mögliche Flächen für neue Ostsee-Windparks geblieben, denn:
    "Jetzt haben wir in der Beteiligung noch einmal ganz vielfältige Hinweise erhalten, insbesondere ganz konkrete Hinweise aus dem Naturschutz, aus der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Sachen Schiffsicherheit, und auch einige sehr konkrete Hinweise aus dem Tourismus. Und überall da, wo mehrere von denen aufeinanderlagen, haben wir dann auch entsprechend Anpassungen vorgenommen."
    Das Schweriner Energieministerium hatte zwar absichtlich großzügig geplant - auch um verzichtbare Verhandlungsmasse zu haben. Doch auch für den Rest will etwa der Naturschutzverein NABU gestörte Vogelzüge geltend machen. Das Energieministerium wird nun härter verhandeln, und welches Herz schlägt stärker bei den oppositionellen Bündnisgrünen? Das für den Vogelschutz oder jenes für die Energiewende? Jürgen Suhr sagt:
    "Ich glaube, was machbar ist, muss auch realisiert werden, sonst funktioniert die Energiewende nicht. Wenn man eine echte Energiewende will, muss man auch den Mut haben, an der einen oder anderen Stelle Pro-Windkraft- und Pro-Solar-Entscheidungen zu treffen. Das ist die Grundsatzposition unserer Fraktion."
    Widerstand unter Bürgern und Kommunen
    Doch da ist auch der wachsende Widerstand unter Bürgern und Kommunen gegen immer neue Windkraftanlagen - ob vor der Küste oder im Binnenland. Ein Grund: Außer Stress und Ärger haben die Kommunen nichts von den Anlagen vor ihrer Haustür. Dieses Problem will Energieminister Pegel lindern - mit dem bundesweit ersten Bürgerbeteiligungsgesetz. Kommunen und Bürger sollen bis zu 20 Prozent der Anteile an den bei ihnen stehenden Windkraftanlagen erwerben können, und damit auch an den möglichen Gewinnen.
    Ein anderes Problem kann nur bundesweit behoben werden. Die Stromkunden in Mecklenburg-Vorpommern zahlen nämlich für die Energiewende drauf, denn die Versorger legen die Netz-Entgelte, also auch die Kosten für den Transport des Stromes über die Trassen in den Süden und Westen, auf ihre Kunden um. In großen, dünn besiedelten Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern tragen aber deutlich weniger Schultern die Kosten als etwa in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen.
    "Das lässt sich ja fachlich erklären, dass das so ist", sagt der Grünenfraktionschef im Schweriner Landtag, Jürgen Suhr. "Es entbehrt aber nicht der Feststellung, dass das eine ungerechte Lösung ist. Denn diejenigen, die einen besonderen Beitrag zur Energiewende leisten - nämlich unter anderem Mecklenburg-Vorpommern - dürfen nicht die Zeche für die Bundesländer zahlen, die dann schlussendlich davon profitieren. Das müssen zum Beispiel auch die Grünenfraktionen aus anderen Bundesländern so akzeptieren."
    Und sich für eine Gleichbehandlung der Stromkunden einsetzen. Übrigens: am Samstag, dem 25. April, öffnen über 70 Energieunternehmen, Windradhersteller, Häfen und Behörden in Mecklenburg-Vorpommern ihre Türen für jedermann zum Tag der Erneuerbaren Energien.