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Mediation
Ist fair wichtiger als gerecht?

"Was ist gerecht?" Dieser Frage gehen Wissenschaftler auf dem Deutschen Mediationstag an der Universität Jena nach. Gerade in einem Konflikt, findet jeder Beteiligte eine andere Antwort auf diese Frage. Mediatoren haben die Aufgabe, einen Ausgleich zwischen den Konfliktparteien zu finden, mit dem jeder leben kann.

Von Blanka Weber | 06.03.2014
    Es gibt nicht nur eine Gerechtigkeit, sondern möglicherweise mehrere Gerechtigkeiten - das sagen zumindest Mediatoren. Ihnen ist es wichtig, diverse Blickwinkel zu sehen und nicht nur einen. Schätzungsweise arbeiten bundesweit knapp 17.000 Menschen als Mediatoren, um Konflikte zwischen Tarifpartnern, Ärzten und Patienten, verkrachten Ehepaaren oder bei umstrittenen Verkehrsprojekten beizulegen. Es gibt vermutlich keine Branche, in der Mediatoren nicht gefragt sind. Genau das macht den Reiz für jene aus, die nach Lösungen suchen und sich den Problemen anderer widmen – immer mit der Gerechtigkeit im Blick. Doch was ist gerecht? Wenn dieses Wort in einem Konflikt von allen Beteiligten vielleicht anders definiert wird? In Jena fand kürzlich der Deutsche Mediationstag statt.
    "Es kann mir passieren, dass ich innerhalb einer Woche mit einer Landeskirche zu tun habe, mit einem Fertigungsbetrieb, mit einem Amtsgericht, in dem ein Riesenstreit herrscht und mit einer großen Bank", sagt Mediatorin und Psychologin Ann Christine Hlawaty. Wer das Handwerk beherrschen will, sagt sie, muss nicht unbedingt Jurist sein, sollte aber Rechtskenntnisse besitzen und eine Ahnung haben, wo vermintes Gebiet ist, wenn die Streitparteien Ideen entwickeln, wie sie es nennt.

    Hlawaty: "In der Literatur findet man manchmal so Hinweise, es reicht für Mediationen, dass man eine Mediationsausbildung hat, ein großes Herz und einen runden Tisch und da glauben wir, dass es auch in bestimmten Bereichen eine etwas weitere Spezialisierung braucht."
    Zahl der Mediatoren steigt
    Die Zahl der Mediatoren steigt. Ihr Ansehen nimmt zu und das hat nicht nur ökonomische Gründe. Die meisten Mediatoren sind Juristen, arbeiten als Anwälte oder Richter, sind Betriebsberater, Psychologen oder Mitarbeiter von Behörden. Gefragt sind meist jene mit hoher Lebens- und Berufserfahrung. Junge Studienabsolventen findet man eher selten in der Branche. Wer richtig verkracht ist, ob in einem eisigen Tarifkonflikt oder Trennungskrieg von Privatpersonen, der suche eher einen erfahrenen, reifen Menschen, der sich in diverse Perspektiven hineinversetzen kann. So wie Monika Hartges, Juristin und Sozialwissenschaftlerin, seit 20 Jahren ist sie Mediatorin: "Die Welt wird immer komplexer. Und die Ja /Nein-Entscheidungen werden immer weniger. Das heißt, wir müssen immer, immer mehr verhandeln."
    Das heißt: Gute Mediatoren werden gesucht. Es hat sich viel getan in den vergangenen Jahren, sagt auch Frank Schmidt aus Nürnberg. Vor 17 Jahren stieg er aus der Kommunalpolitik aus, um als Mediator tagtäglich Konflikte zu entschärfen und faire Lösungen zu verhandeln. Frank Schmidt: "Und es läuft auf sehr vielen Ebenen. Bei der juristischen Arbeitsweise ist man doch sehr einseitig aufs Recht festgelegt, auch die Strukturvorgaben und hier findet Begegnung statt zwischen Menschen, aber auf der ganzen Ebene. Da spielen auch wirtschaftliche Fragen eine Rolle, rechtliche, gefühlsmäßige Fragen, auch die Begegnung im Moment der Meditation, das ist etwas sehr Befriedigendes, wenn man überhaupt Lust auf so etwas hat."
    Fairness wichtiger als Gerechtigkeit
    In 80 Prozent der Fälle, sagt Frank Schmidt, spiele Gerechtigkeit gar keine Rolle, sondern Fairness. Doch was ist fair für beide Parteien, die miteinander aufs Schärfste streiten? Es gehe in diesem Moment um Funktionalität für beide Seiten, sagen die Mediatoren. Schmidt: "Das Recht ist ja ganz schnelllebig geworden. Früher waren mal Gerechtigkeitsnormen in Erz gemeißelt, die galten fest, unverbrüchlich, Grundlagen für soziales Zusammenleben. Das ist alles anders geworden. Das ist ein modernes Steuerungsinstrument geworden, was vor drei Jahren gerecht war, ist es heute nicht mehr. Das heißt Recht und Gerechtigkeit fallen immer mehr auseinander und die Vorstellung, im klassischen Rechtsverfahren Gerechtigkeit zu kriegen, ich glaub, da haben sich die Menschen doch zunehmend verabschiedet und darum wird’s immer wichtiger, zumindest subjektive Gerechtigkeit zu bekommen und das können sie in der Mediation. Sie setzen sich zusammen und entwickeln gemeinsam: Was halten Sie für Ihr Recht? Und was halten Sie für richtig? Wie können wir einen Kompromiss finden?“
    Subjektive Gerechtigkeit im Sinne von Einzelfall-Gerechtigkeit
    Der Frankfurter Anwalt Thomas Lapp erzählt von einer Verhandlung, die er für seinen Mandanten haushoch verloren hatte und von dessen Reaktion: "Ich komme raus und dachte, wie erkläre ich jetzt diese Niederlage und der Mandant war völlig entspannt, zufrieden. Den Prozess haben wir zwar verloren, aber ich konnte meine Anliegen vorbringen, der Richter hatte es verstanden und der andere, das war auch wichtig, musste es mit anhören, dass der Richter mich versteht, dass er mir Recht gibt, auch wenn er die Klage abgewiesen hat. - Und da hab‘ ich angefangen, drüber nachzudenken, dass die juristische Lösung, die man im Studium lernt, nicht die Lösung sein muss, die den Parteien hilft."
    Auch er arbeitet als Mediator, schlichtet zwischen verhärteten Tarifinteressen, sucht nach Lösungen und immer wieder nach Gerechtigkeit im Sinne aller Beteiligten: „Und wenn ich Gerechtigkeit unter diesem Aspekt sehe, also meinen eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen, nicht das abstrakte Recht, das juristische Recht, dann glaube ich, spielt in 80 Prozent der Mediation Gerechtigkeit eine Rolle. Recht wollen die Menschen nicht. Ich habe keinen Mandanten, auch normale Anwaltsmandanten, die von mir Recht wollen, die wollen für sich ihre Interessen durchsetzen, für sich Gerechtigkeit, aber keine Rechtsfragen, das interessiert die wirklich nicht."
    Die eine Gerechtigkeit gibt es nicht
    Gerechtigkeit, sagt der Arbeitsrechtler Christian Fischer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gebe es nicht im Singular. In einer pluralistischen Gesellschaft existieren viele konkurrierende Vorstellungen von Gerechtigkeit – vor allem in einem Interessenkonflikt. Fischer: "Gerechtigkeit ist häufig mit Empörung verbunden, mit Emotionalität, und wenn man dann wirklich schaut auf das breite Spektrum an Gerechtigkeitsmöglichkeiten, Ansätze, die Geschichterechtsvergleiche, die aber auch in der Gegenwart, in unterschiedlichen Kulturen dargeboten werden, dann ist das einfach auch ein Reservoir, aus dem man schöpfen kann."
    Gerechtigkeitsfragen seien Menschheitsfragen, sagt der Wissenschaftler. Fest stehe, aus der Esoterik-Ecke sei die Mediation längst raus. Das Gerichtswesen habe sie als Option erkannt und auch die Versicherungswirtschaft sehe den ökonomischen Nutzen zunehmend in kluger Mediation. Zerstrittene Ehepaare übrigens auch. "Wir haben einen gewissen Institutionalisierungsprozess in der Mediation, solche Verfestigungen sind auch immer mit inhaltlichen Veränderungen verbunden und dies ist deutlich feststellbar und von daher denke ich schon, dass die Mediatoren, die wir hier haben, die das auch 20 Jahre machen, das die auch wirklich eine Kulturveränderung erlebt haben, das denke ich doch", sagt Fischer.
    Aber, meint die Hamburger Mediatorin und Sozialwissenschaftlerin Monika Hartges, auch Mediatoren streiten und vermutlich sogar gerne, auch untereinander: Mediatorin Hartges: "Wenn wir streiten, dann … beim Streit IQ eines 8-jährigen Kindes. Und das kennt jeder, wenn man richtig ausflippt."