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Lebertransplantationen
Neue Kühlmethode hält Spenderorgane länger frisch

Spenderorgane müssen so schnell wie möglich zum Empfänger kommen. Mit einer innovativen Methode wollen Ärzte den Transplanteuren nun mehr Zeit verschaffen: In Experimenten unterkühlten sie Lebern auf vier Grad unter Null, ohne sie jedoch zu gefrieren. Die Organe waren drei Mal länger haltbar als üblich.

Von Volkart Wildermuth | 10.09.2019
Pfleger trägt eine Box mit der Aufschrift "Human Organ" durch einen Krankenhausflur
Menschliche Spenderorgane müssen schnellstmöglich vom Spender zum Empfänger (imago / localpic)
'Kälte verschafft Zeit' lautet eine Regel in der Medizin. Werden Organe unter die Körpertemperatur herabgekühlt, dann verläuft ihr Stoffwechsel langsamer, sie brauchen weniger Energie und Schadprozesse spielen sich nur noch in Zeitlupe ab. Deshalb werden bei Organe auf dem Weg vom Spender zum Empfänger auf etwa vier Grad gekühlt. Eine Leber lässt sich so für ungefähr neun Stunden konservieren.
"Wenn wir diesen Zeitraum ausdehnen wollen, dann brauchen wir noch niedrigere Temperaturen. Aber dann beginnt das Wasser in den Organen zu gefrieren und das ist sehr gefährlich und tötet das Organ."
Einfaches Einfrieren funktioniert nicht
Besonders schädlich sind Eiskristalle, die Zellen von innen heraus zerstören können, erklärt Reinier de Vries. Der Arzt und Ingenieur ist Mitglied eines Forscherteams im amerikanischen Boston, das nach neuen Wegen der Organ-Konservierung sucht. Konkret geht es um Supercooling, deutsch weniger dramatisch um Unterkühlung. Der Begriff bezeichnet hier kein medizinisches, sondern ein physikalisches Phänomen, bei dem Wasser unter seinen Gefrierpunkt gekühlt wird, ohne dass sich dabei Eiskristalle bilden. Das gelingt mit Hilfe von Chemikalien wie etwa bestimmten Zuckern. Mit dieser Strategie konnte das Team aus Boston schon erfolgreich Rattenlebern über mehrere Tage konservieren.
"Ratten-Lebern sind aber 200 Mal kleiner als die menschlichen Organe. Experten haben gesagt; Eure Ratten Experimente sind ja schön und gut, aber das wird nie in der Klinik funktionieren. Schlicht weil ein größeres Volumen dramatisch mehr Möglichkeiten zur Eilbildung bietet."
Gefrierschutzmittel in Spenderlebern
Um diese Hindernis zu bewältigen haben die Forscher in Boston ein gängiges Perfusionssystem angepasst, um damit ganz vorsichtig eine zuckerhaltige Gefrierschutzlösung durch menschliche Spenderlebern zu pumpen. Es handelte sich um Organe, die den Qualitätsstandards einer Transplantation nicht entsprochen hatten. Sie wurden mit der neuen Methode auf vier Grad unter Null gekühlt und dann 27 Stunden gelagert. Anschließend wärmte Reiner de Vries die Lebern wieder auf Körpertemperatur und prüfte ihre Funktion.
"Wir haben festgestellt, dass diese Lebern Laktat abbauen, das gehört zu den normalen Aufgaben der Leber. Sie produzieren auch Galle, wenn sie bei Körpertemperatur von Blut durchströmt werden. Es gibt viele Bluttests, die eine Leberschädigung anzeigen. Die haben wir auch genutzt und konnten keine größeren Probleme nachweisen.
Schon ein Zeitgewinn von wenigen Stunden hilft
Die Leberfunktion war nicht optimal, aber das ist nicht verwunderlich, schließlich handelte es sich um Organe, die für eine Transplantation nicht geeignet waren. Aber die Unterkühlung um acht Grad gegenüber dem Standardverfahren konnte den Funktionszustand der Lebern über 27 Stunden stabil halten. Diese Zeit ist dreimal so lange, wie bei der Lebertransplantation sonst üblich.
"Diese zusätzliche Zeit ist aus mehreren Gründen wichtig. Wenn sie ein Organ in Berlin haben, dann kann das heute innerhalb von Deutschland verteilt werden. Aber vielleicht lebt der beste Empfänger ja in Madrid und kann nicht erreicht werden."
Es gibt auch experimentelle Ansätze, bei denen das Immunsystem des Empfänger Tage vor der Transplantation mit dem Spendergewebe sozusagen vertraut gemacht wird, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Solche Ansätze könnten mit dem neuen Verfahren auch für die Leber möglich werden. Und ganz weit gedacht, bietet die Unterkühlung vielleicht auch die Möglichkeit, Organe dauerhaft zu lagern und Organbanken aufzubauen. Das ist Zukunftsmusik. Aber schon von dem Zeitgewinn von etlichen Stunden würden sich deutsche Lebertransplanteure klinische Vorteile versprechen. Als nächstes müssen aber erst einmal Experimente an Schweinen belegen, dass zwischenzeitlich unterkühlte Lebern auch langfristig und verlässlich ihre Arbeit im Körper übernehmen können.