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Medien und Äußerlichkeiten
Spott ist der falsche Weg

Egal ob die Haare von Boris Johnson oder die Krawatte von Donald Trump - wenn Medien über Äußerlichkeiten von populistischen Rechten berichten, bedienen sie das menschliche Bedürfnis, sich über andere lustig zu machen. In Wahrheit helfen Journalisten damit aber den Politikern, analysiert Marina Weisband in ihrer Kolumne.

Von Marina Weisband | 28.10.2020
US-Präsident Donald Trump, gestikulierend vor einer Gruppe von Menschen.
Marina Weisband über US-Präsident Donald Trump: Populisten ziehen Spott auf sich und verkaufen ihn als Spott gegen ihre Anhänger. (picture alliance / Consolidated News Photos)
Warum haben die eigentlich alle so komische Haare? Donald Trump, Boris Johnson und diverse andere Figuren der populistischen Rechten unterscheiden sich dadurch, dass sie nicht nur widersprüchliche, falsche, skurrile Aussagen treffen, sondern auch dadurch, dass sie in ihrem Aussehen, in ihren Manierismen und in ihrem Auftreten bisweilen einfach absurd sind. Das ist gefundenes Fressen für die Medien, die seit Jahren genau diese Ausfälle publizieren, weil Leser sich gern über mächtige Menschen lustig machen. Warum macht man sich aber freiwillig lächerlich? Dahinter steckt für diese Politiker zweifacher Gewinn.
Erstens gewinnen sie dadurch in der Aufmerksamkeitsökonomie. In der Interaktion von Social Media und klassischen Medien gewinnen die schillerndsten, die farbenprächtigsten, die skandalösesten Figuren. Sie bekommen unglaublich viel kostenlose Sendezeit und Aufmerksamkeit und schaffen es so, immer mehr Anhänger zu gewinnen.
Die Alternative ist die Mitte
Zweitens gewinnen sie aber auf einer viel tieferen Ebene. Die Alternative zu ihnen wird durch die Mitte symbolisiert, durch Figuren wie Biden, Merkel und Macron. Sie alle beherrschen das Auftreten von Vernunft, stehen in ihren Zielen aber für eine diffuse Mischung aus Kapitalismus und Bürokratie, die unter anderem auch in viele der aktuellen Krisen geführt hat. Ihre Devise scheint zu sein, dass Veränderungen möglichst klein und bedeutungslos sein müssen. Dass wir am besten immer alles machen wie bisher.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.
Vertreter der absoluten Mitte können sogar recht verbissen und kompromisslos sein, weil es, rational betrachtet, nicht viele gute Argumente für ihre Positionen gibt. Das ist der Grund, warum Kohlekraftwerke immer noch subventioniert werden, warum wir alle mit dem Auto fahren, warum in Behörden alles gefaxt wird und warum Lobbyismus die Europäische Union übermäßig beherrscht. Wenn jemand daran etwas ändern will, sagen sie: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen."
Populisten leiten Spott gegen sich an Anhänger weiter
Und dann kommen diese "Witzfiguren" und vermischen in populistischer Weise viel Schwachsinn (und Rassismus) mit einigen wahren Punkten. Trump sagt, er werde "den Sumpf austrocknen und die Korruption bekämpfen". Sicher, das wird er nicht tun. Doch das zu sagen, hilft ihm. Was nämlich passiert, ist folgendes: Er sagt das, trägt dabei eine viel zu lange Krawatte und rudert mit den Armen. Die Mitte lacht über sein lächerliches Auftreten. Spöttelnde Artikel werden publiziert.
Aber viele Menschen, die auch gegen Korruption sind, sehen nur, dass etablierte Politiker seine Idee auslachen, man könne Korruption bekämpfen. Als würde man nicht über Trumps Krawatte spotten, sondern über SIE. Weil sie sehen, dass er ein relevantes Problem anspricht. Wenn Menschen sich auf diese Art und Weise in ihrem Selbstwertgefühl angegriffen fühlen, ist ihnen das rationale Argument, dass Trump natürlich selbst einer der korruptesten Politiker ist und über seine Absichten lügt, egal. Populisten ziehen den Spott auf sich und verkaufen ihn als Spott gegen ihre Anhänger. Im weitesten Sinne gegen alle Menschen, die substanzielle Veränderung wollen.
Journalisten müssen Mechanismen brechen
Sie machen eine falsche Dichotomie auf: entweder Verharren in einer politischen Bewegungslosigkeit, geführt von Leuten, die euch auslachen - oder meine Marke von Populismus. Genau diesen Mechanismus müssen Journalisten aber brechen, statt ihn zu bedienen. Es gibt mehr als diese zwei Pole.
Besser wäre es, Aufmerksamkeit den Leuten zu schenken, die konkrete Konzepte haben, Dinge anders zu machen. Eben – tatsächliche Politik. Daran mangelt es nicht. Aber konkrete Lösungsansätze sind schwieriger zu vermarkten als das kollektive Auslachen von Clowns.