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Medienkolumne
Motional und froh

Vom besonderen Duktus der "hoch motionalen" Olympiaberichterstattung und Ausnahmesituationen, die "einfach Wahnsinn!" sind. Jürgen Roth nimmt den medialen Zirkus rund um die Olympischen Winterspiele 2018 auseinander.

Von Jürgen Roth | 18.02.2018
    Biathletin Laura Dahlmeier feiert mit der deutschen Fahne in der Hand ihren Olympiasieg im Verfolgungsrennen in Pyeongchang
    Biathletin Laura Dahlmeier feiert ihren zweiten Olympiasieg in Pyeongchang (dpa / Michael Kappeler)
    Der vermutlich heute gänzlich vergessene Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel bezeichnete die Zeitungslektüre als sein "Morgengebet". Unser derzeit olympiabegleitendes klerikales Klatschblatt, die Fränkische Landeszeitung, labte uns schon am Montag mit den bewußtseinsphilosophisch höchst heiklen oder, umgekehrt, aufschlußreichen Sätzen: "Wellinger zitterte und heulte, sein Gehirn konnte noch nicht wissen, dass es zum ersten Olympiasieg reichen würde. Sein Körper ahnte es bereits" – und legte im nächsten Absatz mit der Schilderung von – man senke demütig das Haupt vor so viel sprachlicher Ingeniosität – "hoch motionalen Szenen nach".
    Andreas Wellinger aus Deutschland jubelt nach dem Gewinn der Goldmedaille. 
    Andreas Wellinger aus Deutschland jubelt nach dem Gewinn der Goldmedaille. (dpa/Angelika Warmuth)
    Ein wenig weniger motional als bei den vorangegangenen Wettbewerben präsentierte sich Laura Dahlmeier im Zuge des Biathlon-Massenstarts und befolgte dergestalt brav, was ihr die fränkischen Buchstabenschnitzer am Dienstag mit auf den Weg gegeben hatten: "Laura Dahlmeier darf ruhig weiter gewinnen – aber sie darf durchaus auch mal verlieren."
    So sind "wir’s" im Sinne einer höheren, ausgleichenden Gerechtigkeit und Gesamtweltfairneß stark zufrieden, zumal es obendrein in Sachen Biathlon-Reporter leider nichts zu kamellen gibt.
    Ein Königreich für ihre Gedanken
    Nein, die können’s tatsächlich und tischen uns etwa in Gestalt des altgedienten Sportkameraden und ZDF-Experten Herbert Fritzenwenger auf, die Läufer "da vorne" seien "ja keine Nasenbohrer", sondern vielmehr "zwei Keuler, zwei Raketen auf Skiern", und sein Kollege Nils Kaben hat gar seinen Shakespeare im Hirnkastl mit nach Südkorea geschleppt und begann ein Interview mit Benedikt Doll mit der aparten Formulierung: "Wenn ich Ihnen ein Königreich für Ihre Gedanken bieten könnte…"
    Fabian Hambüchen
    Fabian Hambüchen. (dpa / Alexey Filippov)
    Was sich die Verantwortlichen des mit peppigen, schneidigen, flockigen Mikrophonartisten gespickten Blauen Kanals Eurosport 1, dessen Einschaltquoten in jenem Promillebereich fluktuieren sollen, den man mit einer Flasche alkoholfreien Biers erreicht, dabei gedacht haben, den verrenteten Reckturner Fabian Hambüchen anzuheuern, der in der großartig vergeigten Sendung Team D – Live aus dem deutschen Haus alle paar Nanosekunden "Einfach Wahnsinn!" und "Superspannend einfach!" bläkt, weiß der Geier oder Hamlets Gaul.
    Dessen ungeachtet trillerte Timo Ditschkowski, der sogenannte und nicht minder geniale Manager Communications & PR Discovery Networks Deutschland: Der "Digital-First-Ansatz" von Eurosport, der wahrscheinlich die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD festgeklopfte "kommunikative Chancenfreiheit" gewaltig voranbringt, haue volles Rohr hin und ehrlich richtig rein.
    Schauet und seid frohoho!
    Zur Halbzeit sind wir mithin alle feierlich gestimmt und lieblich erquickt, ausgenommen womöglich die kanadischen Eishockeyspieler, die sich laut Tom Scheunemann von der ARD "mit einer Niederlage zufriedengeben mußten".
    Um dem deutschen Biathlon-Trainer Andreas Stitzl die Worte aus dem Mund zu klauben, ja geradewegs zu klauen: "Das macht uns einfach nur glücklich, was da abgeht." So heiße es in den nächsten sieben heiligen Tagen unvermindert und -gebrochen: In dulci jubilo, und schauet und seid frohoho!