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Medienpsychologe schreibt Spielen auch positive Wirkung zu

Eine Wirkung von gewalttätigen Spielen sei nachgewisen, aber laut Medienpsychologe Peter Vorderer sei sie nicht so stark wie häufig vermutet. Über langfristige Auswirkungen auf die junge Computergeneration könnten laut Vorderer heute noch kaum Aussagen gemacht werden.

Mario Dobovisek im Gespräch mit Peter Vorderer | 17.08.2012
    Mario Dobovisek: Die schnellen Joystick- und Konsolenfinger auf der Gamescom in Köln, und ich begrüße Peter Vorderer, Medienpsychologe an der Universität Mannheim. Guten Morgen, Herr Vorderer!

    Peter Vorderer: Ja, schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Einfach nur schießen, die Wirklichkeit hinter sich lassen, kaum ein Spiel, in dem man nicht tötet – wenn wir all dieses Geballere so hören, Herr Vorderer, was könnte daran nützlich sein? Tatsächlich eine verbesserte Reaktion?

    Vorderer: Na ja, sicherlich eine verbesserte Reaktion, ein Umgehen mit komplexen Aufgabenstellungen, auf die man sehr schnell reagieren muss. Aber die wesentlichen positiven Effekte, die ergeben sich natürlich nicht in erster Linie bei den Ballerspielen, sondern die ergeben sich bei den sogenannten Serious Games. Also man muss da einfach mal das Feld ein bisschen sortieren.

    Dobovisek: Das sind Lernspiele, Herr Vorderer. Können Sie das vielleicht noch ein bisschen näher beschreiben?

    Vorderer: Also, Serious Games bezeichnen hier Spiele, die in erster Linie die Funktion haben, den Spielenden etwas zu vermitteln, ihnen etwas beizubringen, und Sie müssen da gar nicht nur an Jugendliche denken, Sie können auch an ältere Menschen denken, die zum Beispiel therapeutische Übungen durchführen und dabei von Avataren angeleitet werden. Also in all diesen Bereichen gibt es sehr sinnvolle Einsatzmöglichkeiten von solchen Spielen, und es ist sicher was ganz anderes als die reinen Unterhaltungsspiele, bei denen es in der Tat sehr häufig um das Ballern von irgendwelchen anonymen Zielen geht.

    Dobovisek: Wenn wir das mal ins Verhältnis setzen, Herr Vorderer: Wie viel Prozent nehmen denn solche Serious Games, solche Lernspiele ein?

    Vorderer: Es ist ein relativ geringer Prozentsatz, das hat viel damit zu tun, dass die Unterhaltungsindustrie, insbesondere in den USA, insbesondere und zu Beginn, also in den letzten zehn, 15 Jahren auf diese Unterhaltungsspiele gesetzt hat, den Markt sich erschlossen hat, in dem am meisten Geld zu verdienen war, und das ist sicherlich der Unterhaltungsbereich. Wir werden jetzt aber – im Moment schon, und vor allem in Zukunft – eine deutliche Zunahme der Serious Games sehen. Das Hauptproblem dabei ist auch noch gar nicht gelöst, nämlich, wie man diese Spiele sowohl lehrhaft gestalten kann, aber sie gleichzeitig so interessant und unterhaltsam hält, dass viele Menschen sie auch freiwillig spielen wollen.

    Dobovisek: Computer und ihre Spiele machen dumm, süchtig, einsam, krank und unglücklich – das behauptet jedenfalls der Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem neuen Buch "Digitale Demenz", außerdem machten bestimmte Spiele aggressiv.

    Manfred Spitzer: "Dazu kann man ergänzen, dass die aktive Einübung von Gewalt an Computerspielen, ich sage mal, noch dramatischere Auswirkungen hat als das passive Angucken von Gewalt im Fernsehen oder im Kino. Das ist wirklich eindeutig nachgewiesen. Wer das Gegenteil behauptet, der hat entweder keine Ahnung oder er lügt."

    Dobovisek: Zumindest der Schluss klingt ein wenig polemisch, Herr Vorderer. Hat Ihr Kollege denn recht? Führt ein aggressives Computerspiel zu Gewalt auch in der realen Welt?

    Vorderer: Also das ist nun ein Thema, über das insbesondere in den letzten Jahren extrem viel geforscht wurde. Die Bilanz heute ist die, dass man sagen muss: Jawohl, gewalttätige Spiele haben entsprechende Wirkungen – sie sind nicht so stark wie häufig vermutet wurde, aber sie sind nachgewiesen, in sehr vielen unterschiedlichen Bereichen. Es ist aber nicht so, wie Herr Spitzer manchmal versucht, nahezulegen, dass es eindimensionale Wirkungen sind, dass es sogenannte einfache Wirkungen sind, die nicht in Verbindung stehen würden mit anderen bestimmten Bedingungen. Also auf das gleiche Spiel reagieren verschiedene Spieler unterschiedlich. Sie lernen Unterschiedliches damit. Der soziale Hintergrund, die Bildung, die Persönlichkeit, die Situation, die Stimmung – all dieses beeinflusst das Ganze, und wir können heute sagen, dass es sehr komplexe, vielschichtige, mehrdimensionale Wirkungen gibt, sodass die Aussage, die der Kollege Spitzer gerade getroffen hat, für mich eine deutliche Vereinfachung darstellt.

    Dobovisek: Können wir aber gemeinsam festhalten, dass solche Ego-Shooter, wie sie ja heißen, die sogenannten Ballerspiele, gefährlich sein können?

    Vorderer: Ja. Ganz sicherlich kann man das so sagen. Wir können auch sagen, dass es ganz vermutlich so ist, dass es unterschiedliche Wirkungen gibt und wir uns für verschiedene Wirkungen in unterschiedlichem Maße interessieren. Insbesondere in der Bundesrepublik neigen wir dazu, bei neuen Medien insbesondere auf die problematischen Wirkungen hinzuweisen – das ist auch richtig so, dafür gibt es auch gute Gründe –, wir sollten aber nicht vergessen, dass auch Computerspiele sehr viele positive Wirkungen haben können, und man muss das Ganze schon insgesamt betrachten und man muss es differenziert betrachten.

    Dobovisek: Wird die Debatte in Deutschland zu aufgeregt geführt?

    Vorderer: Na ja, ich würde nicht sagen, zu aufgeregt, sondern sie wird so ein bisschen alarmistisch geführt. Es gibt immer wieder für relativ kurze Zeit eine Aufregung darüber, das gab es auch schon vor ein paar Jahren, dann beruhigt sich das Ganze wieder, dann kommt wieder meinetwegen ein neues Buch auf den Markt und es wird wieder eine relativ aufgeregte Debatte geführt. Ich entdecke immer so zwei Extrempositionen: Die eine Position – für die steht vielleicht auch Herr Spitzer, der manchmal ein bisschen alarmistisch, sehr grundsätzlich, sehr allgemein, sehr pauschal urteilt. Und es gibt die Gegenposition, der ich ebenso wenig was abgewinnen kann, die sagt: Das ist alles völlig unproblematisch, es gibt gar keine negativen Wirkungen von bestimmten Spielen. Das ist nicht haltbar, da würde ich Herrn Spitzer recht geben, das ist nicht richtig. Es gibt diese Wirkungen, aber wann, in welcher Situation, bei welchem Spieler, bei welchem Spiel, bei welchem Spielverlauf, auf welcher Dimension – das ist doch schon sehr komplex und nicht in so einem sehr marktschreierischen Spruch zusammenzufassen.

    Dobovisek: Greifen wir doch einen weiteren Punkt aus den Thesen von Manfred Spitzer heraus. Er sagt, wer häufig in der Kindheit und Jugend Computer benutze, dessen Gehirn könne sich nicht entwickeln. Zitat: "Wer seinem Kind eine Playstation kauft, der kauft schlechte Noten", Zitat Ende. Würden Sie das unterstreichen?

    Vorderer: Nein, das würde ich mit Sicherheit nicht unterstreichen. Ich würde auch fragen, wie er zu diesem Ergebnis kommt. Wir haben ja noch gar keine Generation langfristig beobachten können, die damit aufgewachsen ist. Der größte Teil der Forschung über die Wirkung von Computerspielen bezieht sich nach wie vor auf extrem kurzfristige Wirkungen, also Personen, die wir ins Labor setzen, die wir spielen lassen und bei denen wir hinterher schauen, was unmittelbar danach passiert ist. Viel interessanter – und das ist ja auch der Kern von Spitzers Thesen – ist natürlich, was langfristig, zumindest mittelfristig, aber noch besser langfristig passiert. Also was wird aus Personen, die in ihrer Kindheit, in ihrer Jugend extrem viel spielen? Wir wissen darüber noch fast gar nichts. Es gibt die ersten Längsschnittstudien, beispielsweise an der Universität Potsdam, von der Frau Prof. Krahé, die untersucht, wie eine längerfristige Nutzung von gewalthaltigen Spielen zu Veränderungen im Verhalten, in den Einstellungen und dergleichen führt. Aber das ist nichts, was wir in dieser Deutlichkeit und auch in dieser Ausschließlichkeit heute schon so behaupten können.

    Dobovisek: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung geht davon aus, dass es mehr als eine halbe Million Internet- und Computersüchtige in Deutschland gibt, vorwiegend Jugendliche, Tendenz steigend. Muss die Computersucht inzwischen Alkohol, Tabak und anderen Drogen gleichgesetzt werden?

    Vorderer: Das ist eine schwierige Frage, weil ich mir unsicher bin, ob man es tatsächlich als eine Sucht bezeichnen kann. Es hängt sehr stark davon ab, wie man die Sucht definiert. Es genügt meines Erachtens nicht, dass man ein Verhalten, was sehr häufig, intensiv und in unterschiedlichen Situationen gezeigt wird, nämlich Computerspielen, dass dieses aufgrund seiner Häufigkeit schon so kategorisiert wird. Also von daher bin ich zurückhaltend, was diesen Suchtgedanken betrifft, aber ich unterstütze die Aufforderung, dass man hier ein Verhalten beobachten kann, das sicherlich deutlich mehr wird, auch in unterschiedlichen Lebensbereichen zunehmend, und dass es sinnvoll ist, ein Auge drauf zu haben, nicht nur mit einer medizinischen Perspektive zu gucken, was wird dabei alles geschädigt, sondern was passiert ganz generell auf den unterschiedlichen Dimensionen mit den Spielern und Spielerinnen?

    Dobovisek: Was empfehlen Sie denn, kurz zum Schluss, besorgten Eltern, die einerseits den negativen Einfluss von Computern auf ihre Kinder vermeiden, dessen Vorteile aber auch nutzen wollen?

    Vorderer: Ich empfehle ihnen vor allem, sich mit dieser Welt zu beschäftigen und, so weit die Kinder es zulassen – und bei jüngeren Kindern ist es ja zweifellos der Fall –, daran teilzunehmen, um die Kinder nicht entschwinden zu lassen in eine ferne Welt, die den Erwachsenen völlig verschlossen bleibt, also zu wissen, was gespielt wird, wie gespielt wird und, wie auch in den vergangenen Jahrzehnten schon bei jedem anderen Medium diskutiert, in der Auseinandersetzung mit den Kindern darüber zu bleiben.

    Dobovisek: Der Medienpsychologe Peter Vorderer von der Universität Mannheim, mit dem ich vor der Sendung gesprochen habe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.