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Medienumbau und seine Folgen
Die Boulevardisierung des Journalismus

Bestehende Tarifverträge beenden, indem neue Konstrukte geschaffen werden - auch Medienhäuser gehen seit Jahren diesen Weg. Aktuelles Beispiel: der DuMont-Verlag, der "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" vereint hat, und damit nicht nur arbeitsrechtliche Fragen aufgeworfen hat.

Von Vera Linß | 01.05.2017
    Auf einem Tisch in Berlin liegen zwei Ausgaben der Tageszeitungen "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier".
    Seit Ende 2016 entstehen die "Berliner Zeitung" und das Boulevardblatt "Berliner Kurier" aus einer Hand. (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Chefredakteur Jochen Arntz fühlt sich bestätigt. Gegen den Branchentrend habe die Berliner Zeitung ihre Talfahrt gestoppt - dank des neuen Konzepts. Bei Minus 2,2 Prozent lag der Auflagenverlust im letzten Quartal. Zuvor waren es noch ganze zehn Prozent Minus mehr. Doch nicht nur das. Als letzte Woche der Welt-Frauengipfel in Berlin tagte, habe das Blatt sogar international Beachtung gefunden, erklärt Arntz stolz: "Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, dass CNN die Berliner Zeitung gerade in die Kamera gehalten hat, weil wir Ivanka Trump auf der Eins hatten und die Geschichte dazu. Und das ist halt das, wo ich denke, ja, das ist eine Berliner Geschichte. Wenn die Tochter des US-Präsidenten Berlin besucht und auch das Holocaust-Mahnmal sich ansieht, dann ist das unsere Geschichte. Und da haben wir schon am Tag zuvor darauf hingewiesen, dass sie kommt, auf der Eins, und eine große Seite drei gemacht. Solche Dinge."
    Hauptstadtthemen, Hintergrund und überregionale Relevanz - damit will die "Berliner Zeitung" ihre lange Tradition fortführen. Rund 350.000 Exemplare wurden zu DDR-Zeiten gedruckt. Heute liegt die Printauflage bei gut 100.000 Stück. Wachsen will man vor allem beim E-Paper. Rund 10.000 werden davon im Moment verkauft.
    Undurchsichtiges Bewerbungsverfahren?
    Der Optimismus von Jochen Arntz steht allerdings unter dem Schatten, den die noch laufende Abwicklung der alten Strukturen wirft. 200 Kollegen mussten gehen, darunter 85 redaktionelle Mitarbeiter. Entwürdigend sei das gewesen, kritisiert die Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch. Jeder habe sich für die neue Newsroom-GmbH bewerben müssen, die Auswahlkriterien seien jedoch undurchsichtig gewesen. "Ich nehme mal an, es hat vorher schon Listen gegeben, wen man nehmen will und wen nicht. Es haben sich ja auch viele nicht beworben, weil sie auch das Auswahlverfahren unterirdisch fanden. Es war natürlich so, dass manchen Leuten zu Anfang schon gesagt wurde: Bewirb dich. Wo dann schon raus kam: Der hat schon einen Vertrag. Während die andern alle hingehalten wurden, damit man zu den einzelnen Zeitpunkten, wann man umzieht, noch die Produktion aufrechterhält."
    Inzwischen arbeiten alle Ressorts am Standort in Kreuzberg. Nur die Anzeigenabteilung muss noch nachziehen. Dass der schrittweise Neuaufbau der Redaktion von "Berliner Zeitung", "Kurier" und dem gemeinsamen Online-Bereich ohne größere öffentliche Proteste verlaufen ist, führt Renate Gensch auf den Sozialplan zurück, den man habe aushandeln können. Für viele sei der attraktiver gewesen, als um eine Weiterbeschäftigung zu kämpfen.
    Große Chancen, den Umbau mitzugestalten, gab es für die Gewerkschaft ohnehin nicht. Die neu gegründete "Berliner Newsroom GmbH" wurde von DuMont zu einem komplett neuen Unternehmen erklärt. Kündigungsschutzklagen etwa im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang konnte das Verlagshaus auf diese Weise vermeiden. Die Arbeitsbedingungen in der neuen GmbH machen Renate Gensch, die nicht übernommen worden ist, allerdings Sorgen. Noch gibt es weder einen Betriebsrat noch einen Tarifvertrag. Außerdem stört sie, dass - etwa bei den Onlinern - die Kollegen ungleich bezahlt werden. "Wir haben damals ja gefordert, dass es Tarifverhandlungen gibt. Das sollte dann für den gesamten Newsroom sein, also auch für die Online-Kollegen, die noch weitaus schlechter bezahlt werden. Also da ist noch Nachholbedarf auf jeden Fall, denn die arbeiten alle in einem Newsroom und arbeiten miteinander, und da muss es auch eine gerechte Bezahlung geben." Die soll auch kommen, versichert Chefredakteur Jochen Arntz.
    Kritik hinter vorgehaltener Hand
    Eine weitere Herausforderung bleibt allerdings bestehen. "Berliner Zeitung" und der "Kurier" werden jetzt mit 110 Mitarbeitern produziert, statt mit 161 wie vorher. Damit dies funktioniert, müssen einige Kollegen ihre Texte gleich zweimal für ein sehr unterschiedliches Publikum schreiben: einmal für die Leser der Berliner Zeitung und dann noch für das Boulevardblatt. Anders als manch ein Mitarbeiter, sieht Jochen Arntz in dieser Zweiteilung kein Problem. "Wir haben das Regioteam, also die Lokalredaktionen von Berliner Kurier und Berliner Zeitung. Die sitzen in einem Raum zusammen und machen aus einem Regioteam zwei Lokalteile, zwei Zeitungen praktisch. Das funktioniert sehr gut. Dasselbe gilt für den Sport. Ich glaube auch, dass beide Bereiche, also das Lokale und der Sport, gute Beispiele dafür sind, wie eine Boulevardzeitung und eine Abozeitung zusammenarbeiten können."
    Von den Mitarbeitern hört man hinter vorgehaltener Hand jedoch Kritik. Für Interviewpartner etwa mache es einen großen Unterschied, ob sie das Gesagte in einem Boulevardblatt mit knalligen Überschriften wiederfinden oder in der "Berliner Zeitung", die ganz anderen Ansprüchen unterliegt. Klare Kriterien zu formulieren, die auch nach außen hin für Transparenz sorgen, sei deshalb unabdingbar.