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Meditation und Karneval

Für Buddhisten ist Vollmond noch immer eine heilige Zeit. Auch das Klosterstädtchen Sagaing im Herzen Burmas verwandelt sich zum Vollmondfest in eine rauschende Party: Auf den Straßen tanzen und feiern die Menschen, im Kloster selbst beten und rezitieren die Mönche.

Von Hermann Ploppa | 25.08.2013
    Wir genießen den Sonnenschein und die Wärme auf der Terrasse der prächtigen Ponny Shin Pagode. Die Ponny Shin Pagode prunkt auf dem höchsten Hügel über der Stadt Sagaing im Herzland von Burma. Dass in Sagaing laut Lexikon 300.000 Einwohner leben sollen, kann man kaum glauben, wenn man so herunterschaut. Die Häuser sind in das saftige Grün der Bäume und Büsche eingebettet. Sagaing wirkt auf uns eher wie eine sehr geschäftige Kleinstadt.

    Heute ist hier reger Betrieb. Neben gläubigen Burmesen tummeln sich auch aufgekratzte herumalbernde japanische Schülerinnen. Wir genießen den Ausblick. Unten fließt der gigantische Irawaddy-Fluss, der ganz Burma durchzieht, vom Fuße des Himalaya bis zum Golf von Bengalen. Eine große Brücke überspannt den Irawaddy. Und überall ragen aus dem satten Grün goldene Spitzdächer der zahlreichen Pagoden auf Hügeln heraus.

    Am Fuße des Hügels, im Straßengetümmel, fällt sofort auf, dass wir auf Schritt und Tritt Mönchen in ihren bordeauxroten Roben und Nonnen in ihren zart rosa farbenen Tüchern begegnen. Kein Wunder. Denn in Sagaing soll es 6000 Mönche und Nonnen geben, die in 250 Klöstern ihrer Suche nach spiritueller Erfüllung nachgehen. Aber zunächst sehen wir die frommen Jünger Buddhas auf Motorrädern an uns vorbeipreschen. Oder sie spielen mit hochgekrempelten Roben am Straßenrand Chinlon. Das ist Fußball in einer burmesischen Abart mit Bällen aus geflochtenem Bast. Nonnen tragen auf ihren Köpfen Beutel mit Reis an uns vorbei. Von buddhistischer Beschaulichkeit ist hier zunächst nicht viel zu bemerken.

    Und wir werden gerade hier und jetzt Zeugen eines großen Ereignisses: nämlich eines buddhistischen Vollmondfestes. Für alle Burmesen gilt immer noch der buddhistische Mondkalender. Obwohl die Regierung den gregorianischen Sonnenkalender eingeführt hat. Und jetzt, Ende November, feiern die Burmesen den achten Vollmond des buddhistischen Kalenders, den so genannten Tazaungmone. Die lange Monsun-Regenzeit ging voraus, und die Leute haben viel gefastet. Wenn es draußen Eimer schüttet, sitzen die Mönche im Kloster, gehen nach Möglichkeit nicht raus, und meditieren. Auch die Laien draußen im Lande sollen die buddhistischen Gebote besonders streng befolgen und der sinnlichen Welt fern bleiben.

    Der Mond, so wissen die Buddhisten, lenkt die Wasserströme auf der Erde. Der Mond spendet Leben als großer Wasserspeicher. Und, so sagen die Buddhisten, es war Vollmond, als Buddha geboren wurde. Es war Vollmond, als der Prinz Gautama seiner weltlichen Macht entsagte. Und Vollmond leuchtete auch vom Nachthimmel, als Buddha seine Erleuchtung erlangte. Als er zum ersten Mal predigte. Und als schließlich der liegende Buddha ins Reich der Verlöschung, dem Nirwana, einging. Auf die strenge Fastenzeit Vassa folgt jetzt der Übergang in die Normalität - Kathina. Und nun ist Schluss mit Entsagung und Stille.

    Bei uns geht der Karneval der Fastenzeit voraus. Die Burmesen machen’s umgekehrt: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Jetzt sausen Pritschenwagen voller angeheiterter Männer nebst laut dröhnender Popmusik durch die Straßen. Feuerwerksböller knallen Tag und Nacht. Und überall belagern junge Frauen und Männer die Straßen, und fordern die Autofahrer und Passanten zu Spenden für die Pagoden auf. Die metallenen Spendentöpfe haben sie mit Münzen gefüllt, damit man sie auch ja nicht überhört. Dabei hat Burma Geldmünzen längst abgeschafft. Aber die Töpfe füllen sich schnell mit Scheinen in der einheimischen Währung, dem Kyatt.

    Sagaing ist die Klosterstadt schlechthin. Also wollen auch wir in einem Kloster übernachten. Und wir haben Glück. Ein Motorradmechaniker nimmt uns gleich mit zu Mister Win Myint. Herr Win ist ein würdiger hochgewachsener Mann um die 70. Mit seiner Frau bewohnt er eine bescheidene Hütte auf dem Gelände des Mahasubhodayon Klosters am Fuße des Sagaing Hügels. Herr Win ist kein Mönch. Er dient seinem Abt Sayadaw U Nandamalabhivamsa.:

    "Seit zehn Jahren schreibe ich Reden für den Abt und mache Übersetzungen…dann sind Sie also eine Art Ghostwriter? …ja, ich bin so eine Art von Ghostwriter …und wenn der Abt ins Ausland reist, dann begleite ich ihn."

    Mister Win will uns zunächst nicht in seinem Kloster beherbergen. Also heuert er ein Pickup an. Pickups sind Billigtaxis. Auf ein Moped ist ein Pritschenaufbau mit Regenplane aufgebaut, und darauf befinden sich harte Holzpritschen. Der Zweitakter jault den Sagaing-Hügel hoch. Wir betreten ein anmutiges Kloster, das an den Hang geschmiegt ist, mit ausladenden Laubbäumen. Katzen räkeln sich wohlig auf den warmen Steinen. Der dortige Abt thront in seinem Herrschaftszimmer auf einem bequemen Stuhl und schmunzelt verschmitzt vor sich hin und ähnelt ein wenig dem Dalai Lama. Sein Reich beherbergt einen Altar und einen viel größeren nagelneuen Flachbildfernseher. Mr. Win und der Abt diskutieren ewig lange. Die Zeit verrinnt. Und wir haben immer noch keine Herberge.

    Letztlich kommt heraus, dass der Abt uns nicht beherbergen kann.

    Nun weist uns Herr Win ein niedliches Gästehäuschen im idyllischen Garten seines Klosters zu. Wunderbar! Allerdings gibt es hier nur harte Holzpritschen. Wir müssen uns für die Nacht alle unsere mitgebrachten Kleider herausholen, damit wir nicht am Morgen allzu viele blaue Flecken haben.

    Jetzt können wir endlich unbeschwert Sagaing bei Vollmond genießen! Wir spazieren die Straße zum Hügel mit der Pagode entlang. Vor den Häusern und auf den Fensterbrettern flackert Kerzenlicht. Wir treffen die Bewohner eines Hauses. Sie können kein Englisch, und wir kein Burmesisch. Trotzdem ist sofort ein Band der Sympathie zwischen uns geknüpft. Sie deuten an, dass sie gleich zur Mitternachtsmeditation zur Ponny Shin Pagode auf dem Hügel wollen.

    Wieder auf der Straße, begegnen uns jede Menge angeheiterte junge Männer, schon etwas lauter, und mit ihnen auch jede Menge junge Mönche. Dann fasziniert uns eine Musik, und wir gehen auf ein Grundstück, bis wir an der Quelle sind: ein Mann singt ein burmesisches Volkslied zu einem Karaoke-Playback.

    Letzte Nacht hatten wir in einem rumpelnden Nachtexpress von Rangun nach Manadalay verbracht, und jetzt müssen wir endlich mal schlafen.

    Nun sind wir richtig zu Gast im Mahasubhodayon Kloster, und wir dürfen alles aufnehmen und fotografieren. Dies ist ein echtes Musterkloster mit 800 Mönchen, wo keine Novizen nachts auskneifen und mit jungen Burschen ausgehen. Um vier Uhr morgens heißt es: aufstehen! Dann Rezitationen heiliger Verse in der frühindischen Palisprache. Dann Reis einsammeln bei der Bevölkerung. Und dann wieder rezitieren …

    "Kinder wollen doch auch spielen. Haben die Kleinen nicht manchmal Heimweh nach Mama und Papa?"
    Mr. Win: "Wie soll ich es sagen … Knaben sind Knaben, natürlich auch hier im Kloster als junge Mönche. Manchmal spielen sie. Die Klosterordnung sagt: das dürft Ihr nicht! Aber manchmal drückt der erziehende erwachsene Mönch ein Auge zu und sagt sich: lass’ ihnen ihren Spaß!"

    Und so geht das Rezitieren und Auswendiglernen weiter bis abends um 20 Uhr. Dann treten die jungen Eleven und auch alle erwachsenen Mönche zur Abendandacht an.

    Um dann in einer großen Halle aufgereiht Platz zu nehmen und heilige Verse zu singen. So auch in dieser Vollmondnacht. Der Raum ist sparsam gestaltet. An der Stirnseite eine Buddhastatue und Blumengebinde. Als Kulisse ein großes Gruppenbild mit den Porträts von Mönchen.

    Außerhalb der Klöster geht in Sagaing das Vollmondfest die ganze Nacht weiter – mit burmesischer Popmusik, Knallern, Hundegebell und laut feiernden Laien. Gegen vier Uhr in der Nacht werden die weltlichen Bewohner von Sagaing langsam müde und legen sich schlafen. Die Mönche und Nonnen haben die ganze Nacht ihre heiligen Lieder gesungen, und geraten jetzt unter der Kraft des Vollmonds in immer ekstatischere Zustände. Von allen Hügeln schallen ihre Gesänge.

    Sagaing das ist jetzt eine einziger Chor aus tausend frommen Kehlen.