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Medizin-Experiment
Gehirne toter Schweine lassen sich reaktivieren

US-Wissenschaftlern ist es gelungen, Gehirne von Schweinen vier Stunden nach deren Schlachtung teilweise wiederzubeleben. Diese Forschungsergebnisse werden kontrovers debattiert. Denn das Projekt wirft ethische Fragen auf.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Ralf Krauter | 18.04.2019
Ein Hausschwein
Bisher ging man davon aus, dass das Gehirn irreversibel Schaden nimmt, wenn es wenige Minuten keinen Sauerstoff erhält. (imago / blickwinkel)
Ralf Krauter: Es klingt makaber: Forscher der Yale Universität haben drei Dutzend Schweineköpfe aus dem Schlachthaus ins Labor gebracht. Dort wurden die Gehirne präpariert und vier Stunden nach dem Tod der Tiere an eine Art Herz-Lungen-Maschine gehängt.
Auf diese Weise konnten sie Zellen im Gehirn reaktivieren, berichten die Wissenschaftler heute in Nature. Von Teil-wiederbelebten Schweinehirnen spricht ein Kommentar in der gleichen Zeitschrift und von einer ethischen Zwickmühle, ein zweiter fordert gar, die Definition des Todes zu überdenken. Starker Tobak - da müssen wir genauer hinsehen. Volkart Wildermuth hat die Arbeit und viele Stellungnahmen gelesen. Was genau haben die Forscher gemacht?
Volkart Wildermuth: Die sind wirklich in den Schlachthof gegangen und haben sich Schweineköpfe von frisch getöteten Tieren geben lassen. Die wurden dann noch vor Ort mit einer Kühlflüssigkeit durchspült. Das verhindert eine Blutgerinnung in den Gefäßen und verlangsamt auch den Zelltod. Und nach vier Stunden wurde im Labor der Großteil des Schädels entfernt und die Gehirne dann chirurgisch an Schläuche angeschlossen, die sie mit einer Blutersatzflüssigkeit versorgten.
Die enthielt zum Beispiel Hämoglobin, Blutzucker als Energieversorgung und jede Menge Medikamente, um die Zellen zu stabilisieren. Ein aufwändiges Pumpsystem sorgte nicht nur für einen gepulsten Flüssigkeitsstrom, sondern auch für Sauerstoff und die Abscheidung von Abfallprodukten. Nach sechs Stunden an dieser Maschine wurden die Schweinegehirne dann wieder abgetrennt und weiter untersucht.
Die Nervenzellen des Gehirns wurden wieder aktiv
Krauter: Das Titelbild des Fachmagazins Nature zeigt eine Sanduhr in der oben ein Gehirn hinunterrinnt und unten etwas fleckig wieder entsteht. "Die Zeit zurückdrehen" steht daneben. In wie weit lässt sich der Zerfall der grauen Zellen in dem Experiment tatsächlich zurückdrehen?
Wildermuth: Die Forscher betonten auf der Pressekonferenz immer wieder: "Das ist kein lebendes Gehirn, aber ein Gehirn, dass auf der Ebene der Zellen aktiv ist". Konkret zeigt der Vergleich der ein- und ausströmenden Flüssigkeit, dass der Stoffwechsel der Zellen wieder anspringt und zwar in einem Maße, der sich durchaus mit einem lebenden Schweinegehirn vergleichen lässt. Die Blutgefäße reagieren auf Medikamente, die Abwehrzellen auf Signale von Bakterien. Das ist jetzt nicht so überraschend, schließlich können Mediziner Organe auch lange auf Eis legen und sie trotzdem erfolgreich verpflanzen.
Anders sieht es bei den Nervenzellen aus, die gelten als besonders empfindlich, schon eine kurze Zeit ohne Sauerstoff kann sie schädigen. Aber offenbar nicht so stark wie gedacht. Also die Forscher nach dem Ende des Experimentes, also zehn Stunden nach dem Tod der Schweine, bestimmte Gehirnregionen in die Petrischale legten, zeigten die Nervenzellen spontane Aktivität und reagiert auf Impulse mit eigenen Signalen. Also die Nervenzellen scheinen sich mit all dem Aufwand zum Teil retten zu lassen.
Krauter: Warum sprechen die Forscher dann nicht von einem lebenden Gehirn?
Wildermuth: Weil es keinerlei koordinierte Nervenzellaktivität gab, keine EEG Signale. Das war aber auch nicht zu erwarten. Denn die Ethikkommissionen hatten verlangt, genau solche Aktivitäten zu verhindern. Deshalb erhielt die Blutersatzflüssigkeit ein Medikament, dass Nervensingale blockiert.
Koordinierte Nervenaktivität wurde nicht beobachtet
Ob also ein so reaktiviertes Gehirn spontan wieder eine organisierte Nervenaktivität entwickeln würde, wissen wir schlicht nicht. Wobei: Es gibt Experimente aus den Siebzigern, übrigens aus Deutschland, bei denen man den Blutfluss zum Gehirn von Katzen für eine Stunde unterbrochen hatte, und bei denen sich nach einiger Zeit wieder eine EEG-Aktivität nachweisen ließ. Aber die Tiere wachten nicht mehr auf, sondern starben.
Krauter: Die Schweine, mit deren Gehirnen hier experimentiert wurde, waren schon tot. Was genau haben die Forscher mit diesen Versuchen bezweckt?
Wildermuth: Eine sehr gute Frage. Auf der Pressekonferenz blieb das ein wenig unklar. Der Leiter des Labors Nenad Sestan sieht neue Möglichkeiten zu erforschen, wie das Gehirn verschaltet ist. Aber da gibt es inzwischen andere Wege, so etwas am lebenden Tier zu untersuchen. Er sprach auch davon zu untersuchen, was nach dem Ende der Sauerstoffzufuhr im Gehirn eigentlich passiert - um vielleicht auf lange Sicht neue Therapien etwa für Patienten nach einem Schlaganfall zu entwickeln. Was er jedenfalls nicht will ist, so eine Art Rettungssystem für Unfallopfer oder Todkranke bereitzustellen, das ein isoliertes Gehirn am Leben erhält.
Von "Gehirn-Wiederauferstehung" kann keine Rede sein
Krauter: So etwas legt aber zumindest einer der Kommentare in Nature nahe. Der spricht von einer Gehirn-Wiederauferstehung.
Wildermuth: Darüber dürfte Nenad Sestan nicht sehr glücklich sein. Ulrich Dirnagel von der Charité weist auch darauf hin, dass geschädigte Nervenzellen oft erst nach 24 Stunden absterben. Er vermutet, hätte das Experiment länger gedauert, dann wäre auch keine Nervenaktivität mehr nachweisbar gewesen. Andere deutsche Ärzte betonen, dass der effektivste Weg, das Gehirn am Leben zu erhalten darin besteht, den Körper am Leben zu erhalten.
Entscheidend ist, dass die Umstehenden nach einem Unfall wirklich eine Herzdruckmassage machen, so können sie das Gehirn mit Blut und Sauerstoff versorgen. Das neue System ist nicht für die Medizin geeignet, es geht hier um Grundlagenforschung, wenn überhaupt.
Krauter: Ist das Ganze also nur ein PR-Coup? Auferstehung vor Ostern, das garantiert ja mediale Aufmerksamkeit.
Wildermuth: Da sagen jetzt manche. Trotzdem glaube ich das nicht, dafür ist alles viel zu aufwändig. Das Experiment fand an der sehr renommierten Yale Universität statt, es ist von verschiedenen Stellen genehmigt worden. Da war nichts Heimliches dran. Die Ethikkommission betont, dass es sich im Grunde noch nicht mal um einen Tierversuch handelt. Schließlich waren die Schweine tot, bevor ihre Gehirne ins Labor kamen.
Aber ganz klar: Das Experiment regt zu Spekulationen an. Was wäre wenn die Forscher zum Beispiel keine Hemmstoffe für die Nervenaktivität gegeben hätten? Würde dann eine Art Restbewusstsein aufflackern, dass man vielleicht sogar mit einem Hirnscanner nachweisen könnte? Ein Kommentator fürchtet sogar, dass es weniger Organspenden geben könnte, weil potenziellen Spender künftig an so eine Maschine gehängt und ihr Hirntod dadurch verzögert werden könnte.
Aber dieses Bedenken, diese Geraune, was wäre wenn, das klingt für mich schon eher nach Publicity. Dafür spricht im Moment nichts und auch die Definition des Hirntodes wird nicht in Frage gestellt. Der muss in Deutschland im Abstand von zwölf Stunden zweimal festgestellt werden. Bei dieser Frist war in dem Yale Experiment ohne Unterstützung gar nichts mehr nachzuweisen. Also gehirntot ist nach vor endgültig tot.