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Nahrungsergänzung für Frühchen

Menschen, die einst als Frühchen zur Welt gekommen sind, haben später manchmal mit einer geschwächten Lungenfunktion zu kämpfen oder auch mit einer langsameren Hirnentwicklung. Forscher aus Tübingen schlagen deshalb vor, die Ernährung der Frühchen zu ergänzen - mit mehr Eisen, Vitamin A, Cholin und ungesättigten Fettsäuren.

Von Katrin Zöfel | 09.03.2015
    Ein Frühchen in einem Brutkasten
    Nachgewiesen ist beispielsweise, dass Frühchen sich auch kognitiv besser entwickeln, wenn sie zusätzlich Eiweiß bekommen. (dpa / picture alliance)
    Wenn Mediziner sich um Frühchen kümmern, dann geht es vor allem um zwei Dinge: um Blutungen und Durchblutungsstörungen im Gehirn und um unzureichende Lungenfunktion. Die Prognose für Frühchen wird immer besser, sagt Ludwig Gortner, Chef der Kinderklinik an der Saar-Universitätsklinik Homburg. Das gelte auch für ihre langfristige Entwicklung:
    "Wo wir Langzeitverläufe haben, können wir sagen: die, die mittlerweile im Erwachsenenalter sind, leben überwiegend ein Leben in einer Lebensqualität, die sie selber als sehr gut wahrnehmen."
    Die Fortschritte sind beachtlich. Ludwig Gortner war an der Entwicklung der Technik beteiligt, mit der die Lungen von Frühchen heute versorgt werden. Vor allem kleine und sehr früh Geborene haben deshalb heute bessere Chancen. Neben diesen technischen Erfolgen war die Frage, wie Frühchen ernährt werden sollten, bislang nicht so sehr im Fokus:
    "Die Ernährung der Frühgeborenen war eher ein nachrangiges Thema, was zwar immer eine Rolle gespielt hat, was aber nicht den Stellenwert hatte der erstgenannten Themen."
    Von der Nährstoffversorgung über die Plazenta abgeschnitten
    Experten plädierten kürzlich auf dem Hidden-Hunger-Kongress an der Universität Hohenheim dafür, die Nahrung für Frühchen gezielt zu ergänzen, darunter Berthold Koletzko. Er ist Professor für Neonatologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
    "Frühgeborene sind ja vorzeitig von der normalen Nährstoffversorgung über die Plazenta über die Nabelschnur abgeschnitten, und es ist für uns sehr schwer, das nachzuahmen und sie wirklich in eine Situation zu bringen, wo sie so wachsen, wie sie im Mutterleib gewachsen wären."
    Wie relevant die Ernährung ist, zeigen einige Studien aus den vergangenen Jahren. Nachgewiesen ist, dass Frühchen sich auch kognitiv besser entwickeln, wenn sie zusätzlich Eiweiß bekommen. Eine Studie aus Australien mit 600 Kindern belegt, dass die Kinder nur noch halb so oft stark in ihrer geistigen Entwicklung zurückbleiben, wenn man ihnen mehr von einer bestimmten hoch ungesättigten Fettsäure gibt. In vielen Punkten sei inzwischen klar, wie eine optimale Versorgung aussehen müsste, sagt Koletzko:
    "Das größte Problem, glaub ich, ist, dass die Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Praxis umgesetzt werden müssen."
    Doch auch damit wäre es noch nicht getan. Vor allem bei einigen sogenannten Mikronährstoffen ist nicht klar, wie viel in der Nahrung enthalten sein sollte. Das gilt für Eisen, Vitamin A, einige hoch ungesättigte Fettsäuren und für Cholin. Diese Fettsäuren und das Cholin sind wichtige Bausteine für das Wachstum von Zellen: Sie bilden die Membranen innerhalb der Zellen und um jede Zelle herum. Fehlen sie stockt das Wachstum. Wolfgang Bernhard am Uniklinikum Tübingen beschäftigt sich mit zwei dieser Fettsäuren, Arachidonsäure und Docohexaensäure, und mit Cholin. Vor allem Cholin, glaubt der Ernährungswissenschaftler, wurde bisher viel zu wenig beachtet. Dafür spricht, dass der Fötus über die Plazenta sehr viel Cholin zugeführt bekommt, die Versorgung über die Muttermilch aber viel niedriger ausfällt.
    Bisher kaum Daten zur Cholin-Versorgung
    "Obwohl wir das Stillen von Frühgeborenen für ausgesprochen wichtig halten und es auch zur Cholinversorgung der Frühgeborenen beiträgt, vermuten wir, dass wir die Cholinversorgung durch Supplementierung der Muttermilch verbessern müssen, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten."
    Bisher gibt es kaum Daten dazu, ob Frühchen von einer besseren Versorgung mit Cholin profitieren würden. Das wollen die Tübinger Forscher ändern.
    "Wir beginnen gerade eine Supplementierungsstudie, um erst mal Stoffwechseldaten zu sammeln. Wir warten darauf, dass die ersten Eltern ihre Einverständniserklärung geben. Wir haben ein positives Votum der Ethikkommission, wir dürfen sofort anfangen."
    Sobald die ersten Daten vorliegen, wie die Frühchen das Cholin aufnehmen, wollen die Forscher die Dosierung anpassen und dann im nächsten Schritt prüfen, ob die Entwicklung der Frühchen durch ihre Intervention tatsächlich besser wird. Bernhard Koletzko von der LMU München dämpft die Erwartungen, hält die Studie in Tübingen aber dennoch für wichtig:
    "Welche Wirkung eine erhöhte Cholinzufuhr erreichen kann, das wissen wir heute nicht. Ich bin gespannt, ob sich da etwas zeigen wird."