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Rettende Inseln

Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Früher eher selten, nehmen die Zahlen vor allem bei Kindern und Jugendlichen dramatisch zu. Die moderne Insulintherapie ermöglicht ihnen in den allermeisten Fällen ein normales Leben, doch die Patienten müssen schon sehr viel tun, um gesund alt zu werden. Es ist ein täglicher Kampf um die guten Zuckerwerte.

Von Thekla Jahn | 22.02.2015
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    Eine Diabetikerin spritzt sich Insulin. (dpa/picture alliance)
    "Ich heiße Jan Joosten, ich bin 13 Jahre alt und mit zwei Jahren hab ich Diabetes bekommen ... "
    Diabetes Typ 1. Unbehandelt führt die Erkrankung zum Tod.
    Mutter: "Als das bei Jan festgestellt wurde, das war ein ziemlicher Schock."
    Der Körper zerstört lebenswichtige Zellen der Bauspeicheldrüse. In der Folge fehlt Insulin.
    Tim: "Es ist ja in der Forschung derzeit auch, dass eine künstliche Bauchspeicheldrüse irgendwann kommen soll."
    Prof. Ziegler: "Die Diabeteszahlen nehmen so dramatisch zu, wir müssen irgendwas tun."
    Rettende Insel. Wettstreit um die künstliche Bauchspeicheldrüse
    Von Thekla Jahn
    Im Sprechzimmer von Thomas Danne, Chefarzt im Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover. Vor ihm liegt die jüngste Version einer künstlichen Bauchspeicheldrüse:
    "Also auf der einen Seite ist die Insulinpumpe, die - ich sag das mal politisch unkorrekt – so groß wie eine Zigarettenschachtel ist, die man am Gürtel trägt. Und dann gibt es eben einen ganz dünnen durchsichtigen Schlauch, der ins Unterhautfettgewebe führt."
    Noch unterscheidet sich äußerlich nichts von den herkömmlichen Insulinpumpen, wie sie jeder zehnte Typ-1-Diabetiker trägt.
    "Und auf der anderen Seite ein zwei Euro Stück großes Blutzuckermessgerät, was man sich auf den Bauch klebt."
    Dieser Sensor misst kontinuierlich Glukose, also Zucker im Unterhautfettgewebe. Auch diese Messmethode – als Abkürzung aus dem englischen "CGMS" genannt – gibt es schon seit Jahren.
    Prof. Danne: "Das Neue ist nun, dass beide – nämlich wie viel Insulin diese Pumpe abgibt und auch wie hoch der Gewebezucker ist - an einen Computer gesendet werden und dort bestimmte Rechenalgorithmen hinterlegt sind, die voraussagen können, wie viel Insulin der Körper demnächst braucht."
    "Das ist ja ein spannender Wettkampf"
    Die Apparatur ist damit autark, so wie eine gesunde Bauchspeicheldrüse.
    "Beim Closed Loop muss der Patient nicht mehr soviel denken!"
    Closed Loop – geschlossener Kreislauf. So nennt sich die Technik. Im besten aller Fälle weiß das Gerät jederzeit, was zu tun ist. Bislang müssen Patienten noch selber eine Prognose wagen und sich bei Bedarf die notwendige Dosis Insulin spritzen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist das nicht immer ganz einfach. Seit Jahren tüfteln Wissenschaftlerteams in aller Welt an unterschiedlichen Versionen eines Closed-Loop-Systems. Doch jetzt ist Bewegung in der Forschungspipeline.
    "Also ich kann mir kaum vorstellen, dass es noch länger als zwei Jahre dauert. Das ist ja ein spannender Wettkampf, die AG in Cambridge, in Italien, in Boston und wir vom DREAM-Konsortium versuchen natürlich jeder der erste zu sein!"
    Hannover Seelze. Jan Joosten kommt gerade von der Schule nach Hause. Was den 13-Jährigen von seinen Mitschülern unterscheidet:
    "Also mein Körper produziert kein Insulin mehr, und deswegen habe ich auch eine Insulinpumpe und die macht das für mich."
    Jan ist einer von gut 300.000 Menschen in Deutschland, die an Diabetes Typ 1 erkrankt sind. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Dabei greift das Immunsystem eines Menschen bestimmte Zellen des eigenen Körpers an: die sogenannten Betazellen. Sie sitzen in der Bauchspeicheldrüse. Normalerweise sorgen sie dafür, dass der Zuckerspiegel im Blut ausgeglichen ist: Sie messen den Blutzucker. Wenn er zu hoch ist, schütten Sie Insulin aus. Das schleust dann den Zucker in die Zellen.
    Insulin ist lebensnotwendig. Bevor Insulin entdeckt und 1922 zum ersten Mal eingesetzt wurde, sind alle Menschen mit Typ-1-Diabetes gestorben.
    Frank Joosten: "Ja, medizinisch wird man darauf vorbereitet, kriegt auch Schulungen relativ schnell ... worauf man aber nicht vorbereitet wird, ist der psychologische Aspekt der Krankheit. Das eigene Kind hat jetzt eine chronische Krankheit, die geht nie wieder weg, die behält es ein Leben lang und welche Auswirkungen wird das haben ... "
    Auch wenn der Alltag dafür nicht immer Zeit lässt, schwingen bei Jans Eltern unterschwellig doch immer Sorgen mit: Fällt der Zuckerspiegel zu stark ab, droht ein lebensbedrohliches Koma. Ist er zu hoch, leidet das Gewebe. Auch die möglichen Langzeitschäden sind nicht ohne. Netzhautveränderungen bis zur Erblindung, Arteriosklerose und ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Schäden an inneren Organen, Nerven und der Haut. Im schlimmsten Fall kommt es zu Nierenversagen, Impotenz, chronischen Wunden. Es ist eine tägliche Gratwanderung. Die Joostens hoffen auf einen schnellen Fortschritt in der Diabetesforschung, schließlich hat Jan noch 70, 80 Jahre seines Lebens vor sich. Im vergangenen Jahr war er bei der DREAM-Studie dabei, um die künstliche Bauchspeicheldrüse Closed Loop nachts zu Hause zu testen.
    Eine Insulinpumpe versorgt einen Diabetes-Patienten mit Insulin
    Eine Insulinpumpe versorgt einen Diabetes-Patienten mit Insulin (AP Archiv)
    "Also Jan schläft hier. Er musste dann den Sensor, der mit der Pumpe kommuniziert, halt im Bett liegen haben. Das lag immer so an der Seite bei ihm, hat dann die Daten aufgezeichnet und lief dann hier auf dem Notebook alles auf und wurde vom Notebook übers Netz dann an die Bult übertragen."
    Und dort, im Krankenhaus an der Bult, wurden die nächtlichen Werte der Studienteilnehmer überwacht, die Eltern konnten sich die Grafiken ansehen.
    Große Sorge: die nächtliche Unterzuckerung
    Jan Joosten: "Also ich habe jetzt nicht so viel mitbekommen ... fand´s auch ganz gut- kann nicht so viel drüber sagen."
    Frank Joosten: "Du hast das verschlafen, sollte ja auch so sein, solltest ja auch nichts mitkriegen."
    Typ-1-Diabetiker fürchten vor allem die nächtlichen Unterzuckerungen. Man kann ins Koma fallen oder sogar sterben. Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass ein Closed-Loop-System automatisch abschaltet, wenn der Glukosewert sinkt. Aber sich natürlich auch wieder zuschaltet, wenn der Zucker ansteigt. Thomas Danne ist zufrieden mit den Ergebnissen der insgesamt 30 Teilnehmer seiner Studie. Im Vergleich zur Kontrollgruppe gab es: "Weniger Unterzuckerungen, mehr Zeit im Zielbereich und insgesamt weniger Alarme, wenn man ein Closed Loop hatte."
    Ein respektabler Schritt auf dem Weg zur künstlichen Bauchspeicheldrüse.
    "Erstmals wurde einem Menschen eine künstliche Bauchspeicheldrüse transplantiert. Der Patient in Australien ist vier Jahre alt."
    So lauteten die Schlagzeilen Mitte Januar 2015. Der kleine Junge - und tags darauf ein Mann - bekamen im Princess Margret Hospital in Perth eine technische Zwischenstufe auf dem Weg zum Closed Loop implantiert.
    Eine Insulinpumpe ist dabei mit einem Sensor verbunden, der kontinuierlich den Glukosewert im Gewebe misst. Das integrierte Computerprogramm kann – und das ist das Neue - voraussagen, ob eine Unterzuckerung droht. Dann schaltet sich die Insulinpumpe ab.
    Doch umgekehrt arbeitet das Programm noch nicht selbständig. Es kann nicht auf hohe Glukosewerte reagieren. Überzuckerungen aber sind ebenfalls gefährlich. Patienten können das Bewusstsein verlieren, langfristig drohen Organschäden. Das System ist also erst ein halbes, ein Semi-Closed Loop. Dass die Arbeiten am technischen Ersatz für die Bauchspeicheldrüse nur langsam vorankommen, hat einen guten Grund: Diabetiker müssen diszipliniert leben, aber sie leben gut.
    "Man muss sehen: Wir haben eine Therapie, die diesen Patienten ein fast normales Leben mit einer fast normalen Lebenserwartung ermöglicht. Und dagegen müssen wir uns messen lassen", sagt Elmar Jäckel, Diabetesforscher an der Medizinischen Hochschule Hannover.
    "Würde ich es bei meinem eigenen Kind machen? Man darf bei dem Closed Loop nicht vergessen: Das, was die Pumpe dem Menschen gibt, ist zwar ein lebenswichtiges Hormon Insulin, aber auch ein potenziell tödliches Hormon. Wenn die Pumpe also, weil sie selbst entscheidet, wann Insulin zu geben ist, davon zu viel gibt, kann man daran auch sterben und da müssen wir gute Sicherheitsmechanismen haben, dass das nicht passiert."
    Sobald beim Closed Loop ein technisches Problem auftaucht, schaltet sich der Algorithmus ab und schlägt Alarm. Das signalisiert dem Patienten: Die Insulinpumpe läuft jetzt im herkömmlichen Modus. Auch ein anderes Problem hat die Arbeitsgruppe in Hannover inzwischen weitgehend im Griff. Bei Gesunden reguliert der Körper den Zuckerhaushalt über das Blut. Das Closed Loop misst den Glukosewert stattdessen im Unterhautfettgewebe – und erhält damit verzögerte Werte, aber:
    "Der Vorteil bei der Berechnung im Closed Loop ist, dass wir gerade solche Verzögerungen herausrechnen können. Natürlich ist ein Unterschied zwischen Blut und Gewebe, der wird irgendwo zwischen 5 und 15 Minuten liegen. Andererseits fragt man sich natürlich: Das Gehirn ist ja auch ein Gewebe und auch die Blutgefäße sind am Ende Gewebe: Ist es also wichtig, wie der Zucker im Blut ist oder ist am Ende vielleicht auf lange Sicht der Zucker im Gewebe für alle Fragen mit der Gesundheit viel bedeutender als der Zucker im Blut?"
    Gerade vom Leistungsschwimmen zurück, kommt der ältere Bruder von Jan Josten ins Wohnzimmer.
    "Ich bin Tim Josten und ich bin jetzt 19 Jahre alt und mein Diabetes wurde mit siebzehneinhalb Jahren festgestellt. Das war auch ziemlich lustig. So drei bis vier Tage hatte ich so diese typischen Symptome, also viel trinken, häufig auf Toilette gehen ... und Jan sagte dann irgendwann: Ja hast Du jetzt auch Diabetes? Weil ihm das irgendwann auch aufgefallen war. Letztendlich hat dann Papa irgendwann gesagt: Jetzt messen wir dann doch mal!"
    Frank Joosten: "Nachdem es jetzt auch noch Tim bekommen hat, da war das im Prinzip alles wieder zusammengebrochen, was ich mir so zurecht gelegt hatte: Das hat uns vielleicht zufällig getroffen. Zweimal zufällig ist dann auch zu viel. Also das muss inzwischen eine Erklärung geben, die ich aber nicht kenne."
    "Es müssen Umweltbedingungen sein"
    Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Weshalb aber das Immunsystem die Betazellen des eigenen Körpers bekämpft, ist nicht eindeutig geklärt. Inzwischen sind mehr als 40 Genorte bekannt, die mit Typ-1-Diabetes zusammenhängen. Dabei ist nicht ein einzelnes Gen die Ursache, es müssen mehrere genetische Veränderungen zusammenkommen. Aber auch dann muss Diabetes Typ 1 nicht bei jedem ausbrechen.
    In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Erkrankungen deutlich zugenommen: In Deutschland um jährlich vier Prozent, in anderen Ländern deutlich stärker - vor allem in Osteuropa, wo früher Diabetes Typ 1 sehr selten auftrat. Überproportional betroffen sind Kinder.
    Prof. Ziegler: "Es müssen Umweltbedingungen sein, denn man kann das innerhalb dieser Generationen nicht wirklich rein durch genetische Faktoren erklären."
    Anette-Gabriele Ziegler leitet das Münchner Institut für Diabetesforschung. "Wir nehmen an, dass das Immunsystem sich geändert hat, und da spielen natürlich Faktoren wie Hygiene eine Rolle, Impfungen, aber auch die Viren, die Bakterien, die haben sich natürlich über die letzten Jahrzehnte deutlich verändert."
    Zusammen mit Kollegen aus Skandinavien und den USA führen die Münchner eine groß angelegte Studie zu den möglichen Umweltfaktoren durch. Bei der sogenannten TEDDY-Studie zeichnet sich bereits ab, dass die ersten Lebensjahre entscheidend sind.
    "Wir haben Zusammenhänge gesehen zum Beispiel mit der Anzahl von Infektionen, gerade von Atemwegserkrankungen im ersten Lebensjahr. Wir haben auch gesehen, dass die frühkindliche Ernährung eine Rolle spielt, dass Kinder, die zu früh und gegen jegliche Empfehlung Beikost schon innerhalb der ersten drei Lebensmonate bekommen haben, also die Bayrische Brezn zum Beispiel, dass die ein höheres Risiko hatten für Autoimmunität beim Typ 1 Diabetes."
    Lena Joosten, die 16-jährige Schwester von Jan und Tim, hat kein Diabetes. Aber regelmäßig wird ihr Blut auf Antikörper untersucht. Die Auswertung mehrerer Studien, bei denen insgesamt über 13.000 Kinder von der Geburt an 20 Jahre regelmäßig nachuntersucht wurden, ergab: Es sind vier Antikörper, die auf Diabetes Typ 1 hindeuten, darunter Antikörper gegen Insulin. Meist brechen die ersten Diabetessymptome nach fünf Jahren auf. In Einzelfällen geht es sehr viel schneller, es kann aber auch bis zu 20 Jahre dauern.
    Impfung kann Ausbruch um zehn Jahre verzögern
    Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zeitraum von Prädiabetes, also einer Vorstufe der Erkrankung, bei der bereits Betazellen zerstört werden, aber immer noch genügend Betazellen funktionstüchtig sind.
    Mutter Joosten: "Also ein Marker von vieren ist mittlerweile positiv. Also sie haben angerufen und gesagt ... wir sollten uns halt keine Gedanken machen, dass wahrscheinlich nichts passieren wird."
    Sobald aber zwei der Marker festzustellen sind, wird Lena im Laufe ihres Lebens Diabetes Typ 1 bekommen.
    "Inzwischen würde ich es halt auch nicht mehr ausschließen, dass es jederzeit passieren kann, nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben."
    Eine Studie der Stanford University of Medicine hat gezeigt, dass eine Impfung mit Insulin bei Kindern den Ausbruch der Krankheit um zehn Jahre verzögern kann. Das Helmholtz-Zentrum München ist jetzt an weiteren Impfstudien beteiligt. Eine Art Schluckimpfung mit Insulin in Pulverform können Eltern ihren Kindern in Joghurt oder ein Getränk mischen. Das Insulin wird im Darm in kleine Stücke aufgespalten. So soll das Immunsystem lernen, keine Antikörper mehr gegen Insulin zu bilden. Ähnlich funktioniert die Desensibilisierung bei Allergikern. Auch ein Nasenspray ist vielversprechend. Schließlich sitzen auf der Nasenschleimhaut viele Immunzellen. Und: die Münchner setzen bei ihren Impfstudien nicht nur auf Insulin als Antikörper.Das Enzym GADA ist ein weiterer der vier Diabetesmarker. Es wird ebenfalls als Antikörper gespritzt.
    "Da müssen aber die verschiedenen Formen einfach noch ausgetestet werden, um wirklich zu wissen: Was ist der effektivste Weg?"
    Was jetzt schon klar ist: Sobald Diabetes Typ 1 ausgebrochen ist, bewirkt eine desensibilisierende Impfung nichts mehr.
    "Am schwierigsten ist natürlich, wenn eine Erkrankung manifest ist, und hier kann sein, dass vielleicht doch die Entwicklungen in der Technik, die Entwicklungen bei der Transplantation, bei der Stammzelltherapie, die Immuntherapie überholen."
    Universitätsklinikum Dresden. Das einzige Zentrum in Deutschland, in dem die sogenannten Langerhanschen Inseln der Bauchspeicheldrüse transplantiert werden.
    "Das ist ein ganzer Zellverband. Das ist ein Miniorgan, deswegen sprechen wir auch von Minizelltransplantation."
    Stefan Bornstein ist Direktor der Medizinischen Klinik und des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Dresden. Pro Jahr erhalten hier zwei bis drei Patienten eine Inselzelltransplantation. Die Zellen eines Spenders schwemmt man über einen Katheter in die Leber des Patienten ein. Nach gut einer Woche beginnen sie, Insulin zu produzieren.
    Die Transplantation soll Patienten unterstützen, die ständig mit schweren Unterzuckerungen kämpfen. Wie nach jeder Transplantation müssen sie starke Medikamente nehmen – es sei denn, es gelingt endlich, die transplantierten Zellen zu verpacken und sie so vor den Attacken des Immunsystems zu schützen.
    "Es ist im Prinzip ein relativ einfaches System."
    Vor Stefan Bornstein liegt eine Dose von etwa acht Zentimetern Durchmesser. Die derzeit beste Kapsel, die es gibt. Nach beiden Seiten hin hat sie teflonbeschichtete Membranen. In der Mitte sind mehrere Kammern so angeordnet, dass sich möglichst viele insulinproduzierende Betazellen darin unterbringen lassen.
    "Sie müssen sich vorstellen, man braucht etwa eine halbe Million Inseln, um einen Patienten insulinfrei zu machen."
    In den Kapseln liegen die Betazellen in Alginat, einem aus Meeresalgen hergestellten Material.
    "..weil diese Pflanzen tatsächlich die Eigenschaft eines Immunschutzes haben."
    Die schützende Kapsel mit den Betazellen wird transplantiert:
    "Diese gesamte Dose liegt unter der Haut. Und es wird von unseren Chirurgen so eingesetzt, dass eine Seite schon den Austausch mit dem Bauchfell hat und die andere Seite im Fettgewebe den Austausch hat."
    Durch die Membran sollen die Betazellen Insulin an den Körper abgeben. Andererseits sollen aber auch Nährstoffe in die Kapsel hineinkommen. Schließlich geht es darum, dass die Betazellen weiterleben. In Dresden hatte ein Patient mit einer schweren Form des Typ 1 Diabetes die Miniapparatur fast ein Jahr lang im Körper.
    "Wir sind die ersten weltweit, die zeigen können, dass zum einen tatsächlich aus dieser Kammer Insulin rauskommt, produziert wird, und nach einem Jahr – das ist spektakulär – sind die Zellen vollkommen erhalten."
    Das war nur möglich, weil Stefan Bornstein mit seiner Forschergruppe und einem kleinen biotechnologischen Unternehmen aus Israel eine bestechende Idee hatte:
    "Wir bauen in die Kammer eine Sauerstoffkammer ein. Das bedeutet, dass die Zellen in dieser Kammer weiterleben können, wenn Sauerstoff von außen zugeführt wird. Das erfolgt dadurch, dass die Kammer verbunden ist mit zwei kleinen Schläuchlein und einem Portsystem."
    Um zu wissen, wie viel Insulin sie brauchen, messen Patienten regelmäßig ihren Blutzucker.
    Um zu wissen, wie viel Insulin sie brauchen, messen Patienten regelmäßig ihren Blutzucker. (picture alliance / dpa /Jens Kalaene)
    Portsysteme sind kleine, unter die Haut implantierte Hohlkammern. Der Patient sticht selber mit einer Nadel in den Port, lässt einmal täglich alten Sauerstoff ab und bringt frischen Sauerstoff hinein. Die gesamte Miniapparatur von der Dose bis zum Port nennen die Forscher auch Bioreaktor. In diesem Jahr sollen weitere Studien mit Patienten folgen. Noch setzt Stefan Bornstein auf menschliche Spenderzellen, aber in den USA laufen bereits Versuche mit eingekapselten Stammzellen.
    Helmholtzzentrum München. Heiko Lickert, Direktor des Instituts für Diabetes und Regenerationsforschung, fiebert genauso wie alle seine Mitarbeiter den aktuellen Laborergebnissen entgegen. Es geht um Stammzellen, aus denen Betazellen entstehen sollen: Als Ersatz für die zerstörten Betazellen von Typ-1-Diabetikern.
    Harvard-Forscher haben große Menge reifer Betazellen hergestellt
    In der frühen embryonalen Entwicklung des Menschen sind die Stammzellen pluripotent, das heißt, sie können sich zu vielen verschiedenen Zelltypen, Geweben und Organen weiterentwickeln. So auch zu Betazellen der Bauchspeicheldrüse.
    "Also die größte Herausforderung ist tatsächlich eine große Menge an Betazellen zu generieren. Die zweite große Hürde ist, die Reifung der Betazelle zu steuern. Heutzutage bekommt man eher unreife Betazellen in der Kulturschale."
    Die Münchner beteiligen sich am europäischen Forschungsprojekt HumEn, bei dem Stammzellforscher aus Wissenschaft und Industrie zusammenarbeiten. Sie haben einen Marker gefunden, um reife von unreifen Betazellen zu unterscheiden.
    Prof. Lickert: "Da sind wir weltweit führend. Das erlaubt uns jetzt natürlich, dass wir Wirkstoffforschung betreiben und versuchen können, diese Betazellreifung zu verbessern."
    Forscher von der Harvard University in Boston sind schon einen Schritt weiter und haben ihre Studienergebnisse im Oktober vergangenen Jahres in der Fachzeitschrift "Cell" veröffentlicht. Doug Melton und sein Team haben nach 15 Jahren endlich das richtige Rezept: Innerhalb von vier Wochen und mit elf Wirkstoffen konnten sie eine große Menge reifer Betazellen herstellen.
    "Das war natürlich ein großer Durchbruch in der Stammzellforschung. "
    Allerdings gibt es ein grundsätzliches Problem: Werden aus Stammzellen Betazellen hergestellt, dann können sie sich im Prinzip immer weiter entwickeln. Auf lange Sicht führt das zu Teratomen, zu bösartigen Zellwucherungen.Doch das ist noch nicht alles, denn: Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem zerstört Betazellen. Und so setzt es sich natürlich auch gegen neue, aus Stammzellen hergestellte Betazellen zur Wehr. Mit einer geeigneten Kapsel lässt sich beides verhindern: der Angriff durch das Immunsystem und die mögliche Zellwucherung. Und deshalb transplantierten die Bostoner Forscher ihre Zellen Diabetesmäusen in einer Kapsel.
    Nach wenigen Tagen waren die Mäuse von der Krankheit geheilt. Die Betazellen reagierten auf Glukose im Blut und gaben bei hohen Zuckerwerten Insulin ab. Die Fachwelt ist euphorisch. Dennoch gibt Stefan Bornstein vom Universitätsklinikum Dresden zu bedenken: "Viel geht in der Maus, was noch lange nicht bei größeren Tieren oder gar beim Menschen funktioniert."
    Auch Heiko Lickert ist skeptisch: "Die Frage ist, ob diese Betazellen funktionell transplaniert dann die Funktion einer Langerhanschen Insel tatsächlich wieder herstellen."
    Die Langerhanschen Inseln in der menschlichen Bauchspeicheldrüse bestehen nicht nur aus Betazellen, sondern auch aus anderen Zelltypen. Wie sie genau zusammenarbeiten und sich gegenseitig brauchen, wissen die Forscher noch nicht. Das Miniorgan ist komplex. Lässt es sich technisch nachbauen? Oder kann es der Körper selber nachbauen?
    Im vergangenen Herbst hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA einem ersten Test am Menschen zugestimmt. Das kalifornische Unternehmen ViaCyte und Wissenschaftler der Universität in San Diego haben daraufhin einem Patienten eine Kapsel transplantiert. In der Kapsel sind keine fertigen Betazellen. Die Forscher haben embryonale Stammzellen nur bis zu einem Vorläuferstadium der Langerhanschen Insel entwickelt. Ihre Hoffnung: Im Körper geht es besser weiter als in der Kulturschale. Dann könnten sich nicht nur Betazellen entwickeln, sondern auch andere Zelltypen, die in einer normalen menschlichen Bauchspeicheldrüse vorkommen.
    Prof. Lickert: "Das wird jetzt natürlich eine wichtige Studie sein, um zu zeigen, was immer das wichtigste erstmal ist: Sicherheit."
    Die Firma ViaCyte und die beteiligten Forscher halten sich derzeit auffallend zurück. Bislang haben sie keine Ergebnisse veröffentlicht.
    Hannover Seelze, bei Familie Joosten. Das Closed Loop – die technische Version einer Bauchspeicheldrüse – soll im besten Fall rund um die Uhr laufen – völlig autark. Jan Joosten kann sie vielleicht schon in diesem Jahr testen.
    "Ja, hätt ich Lust dran teilzunehmen, um nochmal zu sehen, ob es tagsüber läuft ... "
    Frank Joosten: "Tagsüber kommt natürlich die Komponente dazu, die das ganze schwieriger macht, das ist die Nahrungsaufnahme. Die hat man nachts nicht, von daher ist das nachts sozusagen zum Üben!"
    Essen – das ist für Diabetiker lebenslang ein großes Thema.
    Mutter Joosten: "Wo Jan angefangen hat, dann mal woanders gegessen hat und wollte nicht anrufen, dann hat er den Kartoffelbrei – war für ihn Kartoffeln, aber dass der Kartoffelbrei normalerweise ja auch noch mit Milch bearbeitet wird, das wusste er dann nicht. Das sind halt diese Lerneffekte."
    Ein technisches Gerät wie das Closed Loop kommt beim Essen schnell ins Hintertreffen:
    Prof. Danne: "Weil der Computer ungefähr 90 Minuten braucht, bis er erkennt, ob ein Blutzuckeranstieg vom Essen kommt. Im Moment, mit dem gegenwärtigen System, ist man besser. Wenn man dem Körper sagt, ich ess' jetzt gerad was, also Closed Loop, du musst darauf gefasst sein, dass da jetzt ein Anstieg nach dem Essen kommt."
    Der Weg zur technischen Version einer Bauchspeicheldrüse ist steinig und längst nicht beendet. Neben dem DREAM-Konsortium, zu dem auch Thomas Danne gehört, arbeiten weitere Forschergruppen an ihren Versionen. Bostoner Wissenschaftler setzen auf ein System mit zwei Hormonen, die im gesunden Zuckerstoffwechsel wie Gegenspieler wirken: Insulin und Glukagon.
    Prof. Danne: "Man muss sich das vorstellen, wie bei einer Dusche, wo sie also einen Kaltwasserhahn und einen Warmwasserhahn haben und mit beiden Hormonen die optimale Temperatur einstellen wollen. Aber genauso wie bei der Dusche bringen zwei Hähne natürlich auch doppelte Probleme. Insulin kennen wir. Und die Infusion von Glukagon ins Unterhautfettgewebe ist etwas ganz Neues und ich würde befürchten, dass wir da auch noch eine ganze Menge Lehrgeld zahlen müssen."
    Das DREAM-Konsortium setzt lieber auf eine verbesserte Steuerungstechnik des Systems mit Insulin. Sie funktioniert nach der fuzzy logic, ist sozusagen verschmiert, was bedeutet: Das Closed Loop ist auf jeden Patienten individuell zugeschnitten. Der Algorithmus nähert sich allmählich der besten Einstellung an, verfeinert seine Parameter stetig. Letztlich ist es ein selbstlernender Algorithmus für die Ausschüttung von Insulin.
    Welcher Ansatz die besten Erfolge bringt, wird sich zeigen. Thomas Danne, Chefarzt am Hannoveraner Kinderkrankenhaus auf der Bult, meint, es dauere nur noch zwei Jahre bis die technische Version der Bauchspeicheldrüse perfekt funktioniert. Andere Forscher fassen den Zeithorizont weiter. Stefan Bornstein vom Dresdner Universitätsklinikum: "Ich denke, dass diese Entwicklung noch einige Jahre brauchen wird. Die Lösung liegt dort vielleicht noch nicht in den nächsten drei bis vier Jahren."
    Der Weg zu einer biologischen Version der Bauchspeicheldrüse, also aus Stammzellen hergestellten Betazellen oder Langerhanschen Inseln, ist ungleich länger. Die Zellentwicklung muss gemeistert werden, dann folgt der Praxistest in einer Kapsel – wie etwa dem Dresdner Bioreaktor.
    "Wie diese Stammzellen in dem Bioreaktor tatsächlich funktionieren werden, das wissen wir nicht. Wir haben jetzt Erfahrungen mit menschlichen Zellen und da kann man sagen, funktioniert das sehr gut."
    "Also damit habe ich mich anfangs natürlich auch beschäftigt. Aber nach einer Weile, denke ich, wird das vom Jetzt überlagert. Weil das halt sehr weit weg ist", sagt Frank Joosten, dessen beide Söhne an Typ-1-Diabetes erkrankt sind. Der Jüngere will das Closed Loop weiter testen, und auch sein Bruder Tim hofft – ganz pragmatisch - auf die naheliegende: die technische Lösung.
    "Also wenn das tatsächlich kommen sollte, wäre das optimal."
    Rettende Inseln – Der Wettstreit um die künstliche Bauchspeicheldrüse
    Eine Sendung von Thekla Jahn
    Regie: Friederike Wigger
    Redaktion: Christiane Knoll