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Medizin
Simulator gegen Krebs

Jede Krebsbehandlung ist für Ärzte ein gewagtes Experiment. Niemand weiß: Zerstört eine Chemotherapie wirklich die Krebszellen oder verursacht sie nur unnötige Nebenwirkungen? Wissenschaftler aus Berlin entwickeln deshalb Computermodelle, die den Erfolg einer möglichen Behandlung prognostizieren können. Eine Art Flugsimulator für Krebsmediziner.

Von Michael Lange | 27.03.2015
    Was einen Krebspatienten rettet, ist für andere nur eine unnötige Qual. Ein kaum verlängertes Leben, geprägt durch Nebenwirkungen der Medikamente. Denn jeder Tumor ist anders und jeder Krebspatient reagiert anders auf bestimmte Medikamente.
    "Tumore sind viel zu kompliziert, um sie mit den Methoden, die wir momentan zur Verfügung haben, wirklich optimal behandeln zu können."
    Der Genomforscher und Systembiologe Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin setzt deshalb auf Computer-Programme statt auf menschliche Erfahrung. Denn Computer können weit mehr Informationen berücksichtigen und bewerten als jeder Arzt.
    "Die Effekte der Behandlung mit Medikamenten sind viel zu kompliziert, als das wir das einfach voraussagen könnten. Wir sind gezwungen zu experimentieren, und es ist natürlich viel besser solche Experimente am Computermodell zu machen als am echten Patienten."
    Gute Daten über die Biologie der Krebszellen
    Genau wie ein Meteorologe auf gute Satellitendaten angewiesen ist, wenn er das Wetter von Morgen vorhersagen will, braucht Hans Lehrach gute Daten über die Biologie der Krebszellen und über den Patienten. Dazu gehören: Das vollständig entzifferte Erbgut verschiedener Krebszellen, das Genom, die Erfassung der aktiven Gene in den Zellen, das Transkriptom, und der Aufbau und die Aktivität der einzelnen Proteine, das Proteom.
    Noch vor wenigen Jahren, brauchten Wissenschaftler Wochen und Monate, um anhand einer Blut- oder Gewebeprobe an solche Daten zu gelangen. Heute sind es nur noch Tage. Das Sammeln der Biodaten gehört für Systembiologen längst zur täglichen Routine. Aber es ist nicht leicht, die Daten so auszuwerten, dass sie am Patientenbett hilfreiche Informationen liefern.
    Am Ende soll die vollständige Computer-Simulation einer geplanten Behandlung stehen. So können Ärzte verschiedene Medikamente und Therapien, die für einen bestimmten Patienten in Frage kommen, vorab vergleichen, ohne den Patienten zu belasten oder gar zu gefährden. So wie ein Crash-Test für Autos heute zuerst im Computer durchgespielt wird.
    "Alles was im Tumor verändert sein kann, und alles was in der Medikamentenwirkung mit den vielen Medikamenten geschieht, muss im Computermodell repräsentiert sein. Sonst können wir die Einflüsse dieser Änderungen im Genom, Transkriptom oder Proteom und die Einflüsse der verschiedenen Medikamente nicht richtig im Computermodell voraussagen."
    Bioinformatiker und Systembiologen
    Was macht bestimmte Krebszellen so gefährlich? Wo liegen ihre Schwachstellen? Welche Wechselwirkungen zwischen Medikament und Krebszellen können auftreten? Diese Fragen können Bioinformatiker und Systembiologen wie Hans Lehrach schon heute mit Computerhilfe beantworten.
    "Das ist etwas, was im Prinzip jetzt schon in Einzelfällen in der Klinik angewendet wurde, und meiner Ansicht nach der Standard der Behandlung von Krebspatienten innerhalb der nächsten fünf Jahre werden müsste."
    Die Methoden haben Wissenschaftler in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. Aber noch ist der Aufwand zu groß für den medizinischen Alltag. Jetzt müssen die Forscher die Kosten senken und die Vorhersagen so sicher wie eben möglich gestalten. Denn auf ihrer Basis werden Entscheidungen getroffen, die ein Menschenleben retten können oder eben nicht. Die Verantwortung aber wird weiterhin beim behandelnden Arzt liegen. Auf den Computer als Assistenten wird er jedoch in Zukunft immer seltener verzichten können.