Freitag, 29. März 2024

Archiv

Medizinische Betreuung
Risiko Kinderanästhesie

Dass Eltern mit ihren kranken Kindern zum Kinderarzt gehen, und nicht zum Hausarzt oder zum Internisten, ist für jeden selbstverständlich. Wenn allerdings operiert werden muss, kann es schon mal schwierig werden, denn Kinderchirurgen gibt es nicht so häufig. Und so operieren Erwachsenenchirurgen die kleinen Patienten - das allerdings ist nicht unbedenklich.

Von Michael Watzke | 08.09.2015
    Die Vorbereitung sowie die Anästhesie in einem OP.
    Die Vorbereitung sowie die Anästhesie in einem OP. (picture-alliance / dpa / Klaus Rose)
    Der kritischste Augenblick bei einer Narkose ist der Beginn. Der Patient erhält ein Narkosemittel, schläft ein und muss künstlich beatmet werden. Bei einem erwachsenen Patienten hat Narkose-Ärztin Dr. Karin Becke dafür sechs bis acht Minuten Zeit.
    "Bei Kindern im ersten Lebensjahr, wenn die Lunge komplett mit Sauerstoff gefüllt ist, haben wir maximal 30 bis 90 Sekunden. Das heißt, die Zeit ist einfach knapper durch die Vorgabe, die der kleine Körper uns gibt."
    Dr. Becke ist Anästhesie-Chefärztin an der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg. Ihre Patienten, vor allem Säuglinge und Kleinkinder, könnten ohne Narkose meist gar nicht behandelt werden. Beispiel: Kernspin-Tomografie.
    "Die Erwachsenen können sich zwanglos in so eine Röhre reinlegen. Ein Zweijähriger macht das nicht. Der braucht dafür einfach eine Form der Narkose."
    Dr.Becke kennt die amerikanische Studie, über die das Deutsche Ärzteblatt mit folgender Schlagzeile berichtete: "Narkose kann die kognitive Entwicklung von Kleinkindern schädigen." Für die Studie wurden Mäuse mit sehr starker Dosis narkotisiert. Das führte zu Veränderungen im Gehirn.
    "Diese Mechanismen erscheinen auch plausibel, die sind in vielen, vielen Studien bestätigt worden. Bis zum heutigen Tage. Es gibt auch immer mehr Studien an Tieren, die dem Menschen sehr ähnlich sind, zum Beispiel Affen, Primaten. Aber die Übertragung dieser Studien auf den Menschen ist natürlich sehr schwierig und problematisch, und damit sind diese Studien auch limitiert."
    Die Nürnberger Narkose-Ärztin verweist auf eine breit angelegte Langzeit-Untersuchung, bei der Forscher die Daten von jungen Narkose-Patienten aus Dänemark analysierten. Die kognitive Entwicklung der Kinder zeigte dabei keine signifikante Auffälligkeit. Wichtig sei, dass die Narkose bei Kindern von erfahrenen Spezialisten eingeleitet werde. Am besten in einer Kinderklinik.
    "Es ist häufig schon ein einfaches Rechenproblem: Wer nicht jeden Tag gewohnt ist, Medikamente für Kinder vorzubereiten, der tut sich schwer in der Umrechnung. Und da passieren bei nicht so erfahrenem Personal viel mehr Fehler als bei erfahrenem Kinderpersonal."
    Doch Eltern muten ihrem kranken Kind ungern eine längere Reise zu - und die nächste Kinder-Klinik ist oft weit entfernt. Professor Stuart Hosie ist Chefarzt der Münchner Klinik für Kinderchirurgie. Hosie weiß, warum es auf dem Land für kleine Patienten so wenige Fachkrankenhäuser gibt.
    "Etwa 40 Prozent der Kinderkrankenhäuser schreiben rote Zahlen in Deutschland. Und das liegt daran, dass die Folgekosten sehr hoch sind. Dass der Aufwand der Behandlung von Kindern enorm hoch ist. Auch der personelle Aufwand. Das ist teuer."
    Die Zahl der Kinderkliniken wird daher weiter abnehmen, Kinder müssen dann verstärkt von der Erwachsenenmedizin betreut werden. Kinderkliniken versuchen jetzt gegenzusteuern und bieten neue Behandlungsmodelle an. Das Ziel: Die Versorgung auch bei schrumpfender Zahl von Kliniken zu sichern und gleichzeitig so kindgerecht wie möglich zu machen.
    "Wir machen das gerade beim Thema Kombinations-Eingriffe: Da fordern wir, dass Kinder, die mehrere Operationen benötigen, zum Beispiel eine Mandelverkleinerung und eine Leistenbruch-OP – dass so was in einer Sitzung gemacht werden kann. Um unnötige Hospitalisation, Trennung, Schmerzen zu vermeiden."
    Denn zu lange Trennungs- oder heftige Schmerzerfahrungen seien nachweislich schlecht für die kognitive Entwicklung kleiner Kinder. Dagegen sei das Risiko einer fachgerecht durchgeführten Kinder-Anästhesie beherrschbar.
    "Und natürlich muss auch diese OP dann finanziell abgebildet werden. Sowohl für den HNO-Arzt als auch für den Chirurgen als auch für den Anästhesisten."