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Meeresbiologie
Kein Chaos unter Bakterien im Ozean

Bakterien und Mikroorganismen leben zu Milliarden im Ozean. Eine Ansammlung dieser einzelligen Lebensformen kann nur reines Chaos sein, oder? US-Forscher haben Stoffwechselaktivitäten von Mikroben im offenen Meer untersucht. Dabei hat sich das vermeintliche Chaos als koordinierte Gemeinschaft entpuppt.

Von Lucian Haas | 14.07.2014
    Korallen im Great Barrier Reef (Australien)
    Nicht sichtbar, aber überall: Mikroben und Bakterien. (picture alliance / dpa - AUSTRALIAN INSTITUTE OF MARINE )
    Wenn Biologen etwas über die Lebensweise von Tieren in freier Wildbahn herausfinden wollen, machen sie Expeditionen in die Wildnis. Doch jene Organismen zu beobachten, für die sich Edward DeLong interessiert, ist schon eine ganz besondere Herausforderung.
    "Man kann sich fragen, wie Jäger-Beute-Beziehungen in der Serengeti funktionieren. Wie das Verhalten der Tiere uns etwas darüber sagt wie sie leben, was sie fressen und wie häufig sie das tun. Fressen sie nachts oder am Tag? Doch bei Mikroorganismen außerhalb eines Labors konnten wir solchen Fragen bisher nicht nachgehen."
    Wie leben und interagieren Bakterien und andere Einzeller im offenen Meer? Das herauszufinden hat sich der Ozeanograph von der Universität von Hawaii auf die Fahnen geschrieben. Bei seinen Expeditionen kommt eine ganz besondere Technik zum Einsatz: ein Environmental Sample Processor, kurz ESP, zu deutsch: ein Umweltprobensammelautomat.
    "Das ist im Grunde ein Roboter, den wir frei im Ozean driften lassen. So kann er einer Gemeinschaft von Organismen einfach mit den Meeresströmungen folgen. Der Roboter zieht automatisch alle zwei Stunden eine Wasserprobe, filtert sie und fixiert den Inhalt. Das ist, als würde man eine Momentaufnahme machen."
    Analyse der Mikroorganismen
    Die Analyse ganzer Zeitreihen solcher Aufnahmen erfolgt später im Labor, und zwar mithilfe genetischer Untersuchungen. In den Proben ist unter anderem RNA aus den Mikroorganismen im Meerwasser enthalten. Und anhand der RNA lässt sich erkennen, welche Gene der Mikroben zum Zeitpunkt der Probennahme gerade aktiv waren. Interessant ist dabei, wann einzelne Gene, die sich bestimmten Stoffwechselfunktionen zuordnen lassen, im Tagesverlauf an- und abgeschaltet werden. Edward DeLong machte hierzu überraschende Beobachtungen.
    "Wir Menschen besitzen zirkadiane Rhythmen. Wir tun manche Dinge in der Nacht, andere tagsüber. Viele Organismen haben so etwas, auch Pflanzen. Und sogar kleine bakterielle Pflanzen, die sogenannten Cyanobakterien. Was wir aber nicht wussten ist, dass alle anderen Arten von Mikroben ebenfalls Aktivitätsmuster besitzen, die sich Tag für Tag wiederholen."
    Bei Prochlorococcus ist das noch leicht nachvollziehbar. Diese im Meer weit verbreiteten Cyanobakterien bauen Biomasse auf, indem sie Fotosynthese betreiben. Ihre Genaktivität folgt deshalb eindeutig dem Wechsel von Licht und Dunkelheit. Edward DeLong beobachtete aber auch bei Bakterien, die kein Licht, sondern externe Kohlenstoffquellen als Energiequelle nutzen, wiederkehrende Genaktivitätsmuster ihres Stoffwechsels - mit einer Besonderheit.
    "Jede Art zeigt das zu einer etwas anderen Tageszeit. Das ist als gäbe es ein geordnetes Fortschreiten der Stoffwechselzyklen, so als vollführte die Mikrobengemeinschaft selbst einen gut choreografierten Tanz."
    Komplexe Gemeinschaft
    Eine solche Ordnung lässt vermuten, dass die Gen-Expressionsmuster der Mikroben im Meer über die Arten hinweg eng miteinander gekoppelt sind. Für Edward DeLong ist das eine Überraschung.
    "Wir tendieren dazu, uns solche mikrobiellen Gemeinschaften immer sehr komplex, vielleicht sogar chaotisch vorzustellen. Wir haben aber eine sehr wohlorganisierte Entwicklung über die Zeit beobachtet. Das deutet auf eine sehr koordinierte Gemeinschaft hin. Eine Gemeinschaft, die gar nicht so chaotisch, sondern sehr gut integriert ist, und das nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich betrachtet."
    Marine Mikroben tragen entscheidend zur Produktivität der Ozeane bei. Das koordinierte Timing der Genaktivitäten verschiedenster Bakterien-Arten könnte einen zentralen Einfluss auf den Energieumsatz im Meer haben. Edward DeLong will nun erforschen, welche Mechanismen die täglich wiederkehrenden Aktivitätsmuster der Mikrobenpopulationen regulieren.