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Meereskontamination durch Fukushima

Energie.- Französische und norwegische Forscher simulieren, wie sich radioaktives Abwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima vor der japanischen Ostküste ausbreitet. Und das mit einer bemerkenswerten räumlichen Auflösung: bis auf 600 Meter genau.

Von Volker Mrasek | 12.04.2011
    Ihrem Computermodell gaben sie den wohlklingenden Namen "Symphonie". Damit simulieren Forscher aus dem Labor für Ozeanografie in Toulouse für gewöhnlich Strömungen im Mittelmeer und vor der französischen Atlantikküste. Doch das Modell ist nicht ortsgebunden. Es lässt sich auch mit Daten aus anderen Ozeanbecken betreiben.

    Genau das geschieht im Moment. Auf Bitten der Internationalen Atomenergie-Behörde simulieren die französischen Experten, wie sich radioaktives Abwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima vor der japanischen Ostküste ausbreitet. Und das mit einer bemerkenswerten räumlichen Auflösung: bis auf 600 Meter genau. Der Ozeanograf Patrick Marsaleix:

    "Die Meereszirkulation vor Ort ist sehr komplex. Zum einen sind da die Gezeiten. Mit der Flut werden die Radionuklide im Wasser an Land geschwemmt. Dann haben wir den Wind, der in dieser Region aus wechselnden Richtungen weht. Er kann kontaminiertes Oberflächenwasser im Prinzip überallhin treiben. Weiter weg von der Küste verläuft schließlich der Kuro-Shivo-Strom. Er breitet sich nach Osten aus, Richtung offener Pazifik."

    Nach dem Modell der Forscher ergibt sich dabei im Moment folgendes Bild:

    "Die radioaktive Verschmutzung breitet sich entlang der Küste aus, und zwar sowohl nach Norden wie auch nach Süden. Schauen wir uns den Transport in östlicher Richtung aufs Meer hinaus an, dann wird es komplizierter, denn der Kuro-Shivo-Strom ist sehr turbulent. An seinen Flanken gibt es lauter kleine Wirbel. Immerhin kann man sagen: Radioaktives Wasser, das dort hineingerät, wird auf jeden Fall stark verdünnt."

    Die Forscher können allerdings nicht sagen, wie hoch die akute radioaktive Belastung an der Küste ist. Denn sie wissen nicht, wie stark das Kühlwasser aus der Anlage in Fukushima kontaminiert ist. Und wie viel davon genau austritt. Daten darüber lägen ihnen nicht vor, so die französischen Experten. Ihr Modell beschreibe nur die grundsätzlichen Strömungsverhältnisse vor der Ostküste Japans.

    Die Wissenschaftler warnen aber vor einer Gefahr, die auch nach dem Ende der Einleitungen ins Meer bestehen bleibe. Dazu die Ozeanografin Claude Estournel:

    "Ein Teil der Radionuklide wird im Sediment vor der Küste gebunden und abgelagert. Durch starke Winde oder auch kleinere Tsunamis können diese Bodenpartikel wieder aufgewirbelt und flussaufwärts ins Landesinnere befördert werden. Dort hätte man dann mit zeitlicher Verzögerung erneut erhöhte Radioaktivität."

    Mit längerfristigen Folgen der Kühlwasser-Einleitung beschäftigt man sich auch im Nansen-Zentrum für Umwelt- und Fernerkundung im norwegischen Bergen. Dort betreiben Forscher ebenfalls ein Meeresströmungsmodell. Normalerweise simulieren sie damit, wie sich zum Beispiel Spaltprodukte aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield in der Nordsee ausbreiten.

    Jetzt aber verlegten sie ihre Modellläufe in den Nordpazifik. Um zu sehen, was mit den radioaktiven Wassermassen aus Fukushima passiert, wenn sie mit dem Kuro-Shivo-Strom nach Osten transportiert werden. Ola Johannessen, Professor für Geophysik an der Universität Bergen:

    "Wir haben unterstellt, dass ein Jahr lang radioaktives Wasser austritt, und geschaut, was mit ihm geschieht. In unserem Modell wird es quer über den Pazifik befördert und erreicht nach sieben Jahren die Küste der USA."

    Dort würde sich immer noch das langlebige Cäsium-137 nachweisen lassen. Wenn auch nur in geringen Konzentrationen. In der Computersimulation betrug die Radioaktivität im Wasserkörper nach fünf Jahren nämlich nur noch ein, zwei Prozent des Ausgangswertes – ein Verdünnungseffekt durch die immer stärkere Vermischung mit anderen Wassermassen.

    Johannessen sagt selbst, dass Kühlwasser in Fukushima nicht unbedingt ein ganzes Jahr lang austreten muss. Vielleicht seien es nur ein, zwei Monate. Aber auch dann werde die Strömung Radionuklide aufs Meer hinaus befördern. Die Abwasserfahne sei dann zwar kleiner, nehme aber grundsätzlich dieselbe Fernreiseroute – quer über den Pazifik bis zur nordamerikanischen Küste ...

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