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Meeresökologie
Seegrassterben an den Küsten

Seegras bietet Kleintieren Schutz und Nahrung, speichert große Mengen Kohlendioxid und festigt am Meeresboden das Sediment. Schon einmal gab es ein Seegrassterben im Nordatlantik. Jetzt deutet sich die nächste Epidemie an, überall an den Küstenstreifen der Erde.

Von Volker Mrasek | 27.02.2019
Ein Füsilierenschwarm über einer Seegraswiese unter dem Meer.
Seegras-Arten gehen weltweit zurück. Im Bild: Füsilierenschwarm über einer Seegraswiese (imago/stock&people/blickwinkel)
Seegras ist wahrscheinlich das wichtigste Ökosytem, von dem Sie noch nie gehört haben! Das sagt der Ökologe James Bull von der Universität Swansea in Wales über die vor vielen Küsten wachsenden Unterwasserpflanzen:
"Die Leute kennen Korallenriffe und Regenwälder und haben gehört, wie wichtig sie sind. Aber ich bin mir sicher: Von Seegras wissen sie das nicht! Dabei kommt es weltweit vor, rund um die Küsten aller Kontinente mit Ausnahme der Antarktis. Die Gras-Teppiche schützen die Küstenlinien vor Erosion, nehmen das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Luft auf, und wichtigen Speisefisch-Arten wie dem Kabeljau bieten sie eine Kinderstube."
"Seegras - das wichtigste Ökosystem, von dem Sie noch nie gehört haben"
Doch die grünen Teppiche dünnen immer mehr aus. Der britische Forscher hält es nicht für abwegig, von einem "Seegrassterben" zu sprechen. Davon hat erst recht kaum jemand etwas gehört:
"Es gibt rund 70 verschiedene Arten von Seegras weltweit. Überall gehen sie zurück."
Auch Bulls Arbeitsgruppe kann diesen Trend bestätigen. Ihr Untersuchungsgebiet liegt vor der Südwestspitze Englands, rund um die Inselgruppe von Scilly:
"Seit 23 Jahren fahren wir dort jeden Sommer hinaus und schauen uns die Seegras-Teppiche genau an. Ich glaube, es ist die weltweit längste Untersuchungsreihe, die es gibt. Das Seegras hat in diesem Zeitraum insgesamt um 20 bis 30 Prozent abgenommen. An manchen Stellen ist es fast ganz verschwunden."
Seegras-Arten gehen weltweit zurück
Als Hauptgrund dafür gilt der zunehmende Schiffsverkehr in Küstennähe. Zum einen kann Seegras durch Anker direkt verletzt oder herausgerissen werden. Zum anderen wirbeln Schiffe das Sediment am Meeresboden auf, so dass sich das Wasser trübt und nicht mehr so viel Sonnenlicht bis zu den Pflanzen durchdringt, die ja Photosynthese betreiben.
Und dann ist da noch ein mysteriöser Parasit mit dem lateinischen Gattungsnamen Labyrinthula: ein einzelliger, mikroskopisch kleiner Schleimpilz, der die sogenannte Kümmerkrankheit auslöst. Befallene Gräser bekommen zunächst schwarze Punkte und sterben dann ab:
"In den Jahren nach 1930 kam es zu einer großen Epidemie der Kümmerkrankheit im ganzen Nordatlantik. 90 Prozent aller Seegräser sollen ihr zum Opfer gefallen sein. Ob das wirklich stimmt, wissen wir nicht genau. Jedenfalls war es ein Massensterben, und an manchen Stellen, die wir genauer kennen, sind die Seegrasbestände heute nicht einmal mehr halb so groß. Warum diese Epidemie? Weshalb wirkte die Krankheit vor 80 Jahren so verheerend und später nie wieder? Das alles ist ein Rätsel."
Kümmerkrankheit hat schon einmal Massensterben ausgelöst
Mysteriös auch die Befunde von Forscherinnen der Cornell University in den USA. Sie untersuchten knapp 20 Seegras-Bestände vor der nordamerikanischen Pazifikküste und entdeckten, dass es offenbar zwei Formen des Erregers gibt: eine aggressive und eine eher harmlose. Beide Varianten kommen gemeinsam vor. Warum das so ist, weiß man noch nicht. Nur eines: Die aggressivere Form der Parasiten scheint von höheren Wassertemperaturen zu profitieren, die Pflanzenschäden sind dann größer.
Weil Seegras auf weiter Flur schwindet, gibt es inzwischen Versuche, die Pflanzen künstlich wieder anzusiedeln. Was aber knifflig ist, wie James Bull sagt:
"In der Chesapeake-Bucht an der US-Ostküste gibt es ein Renaturierungsprogramm, und das ist inzwischen sehr erfolgreich. Man kann Seegras nämlich einpflanzen. Allerdings ist das äußerst arbeitsaufwändig. Man kann es sich auch leichter machen und bloß die Samen aussäen. Aber dabei gehen viele verloren."
Die Seegras-Bestände weiterhin rückläufig und ein Krankheitserreger, der gefährlicher werden könnte, wenn die Meerestemperaturen weiter steigen - keine guten Aussichten für das Ökosystem, von dem kaum jemand ahnt, wie wichtig es ist.